Das Album »Feral« von RVG

Mit Nachdruck

Platte Buch Von

Wenn eine Indierockband aus Aus­tralien stammt, liegt es nahe, dass sie mit anderen entfernt ähnlichen Bands vom fünften Kontinent verglichen wird, selbst wenn es stilistisch nicht so recht passt. So ergeht es auch RVG aus Melbourne, die Rezensenten wiederholt in die Nachfolge der Go-Betweens aus Brisbane gestellt haben. Ganz so sehr nach jangle pop wie diese klingt die nach ihrer Sängerin benannte Romy Vager Group – kurz RVG – aber nicht. Vielmehr erinnert Vagers ausdrucksstarke, leicht nasale Stimme etwa an die Brett Andersons von der Britpop-Band Suede und die sich elegant umspielenden Wave-Gitarren von Vager selbst und Reuben Bloxham lassen an die markanten Shoegaze-Riffs von Andy Bell und Mark Gardener von den aus Oxford stammenden Ride denken. Oftmals verfügen Vagers Songs über Spannungsbögen, die sie durch ihren Stimmumfang ausgestaltet, indem sie im Lauf der Stücke eine Oktave nach oben springt und die Dringlichkeit steigert. Bei Auftritten schreckt sie dagegen auch vor einem Wechsel in den Schreigesang nicht zurück, um ihren Worten Nachdruck zu verleihen.

In »Alexandra«, dem ersten Lied des zweiten RVG-Albums »Feral«, ist die emotionale Spannung überdeutlich zu hören. Das Lied richtet sich an die kleine Schwester, die bei den Eltern geblieben ist, nachdem diese das ältere Kind, aus dessen Perspektive gesungen wird, verstoßen haben. Offen bleibt, ob der Song von Romy Vagers Coming-out als Transperson handelt. Die vorwurfsvollen Aussagen, die sie der Schwester in den Mund legt, sind drastisch: So, wie die Ältere sich kleide, müsse sie sich nicht wundern, wenn Leute sie anzünden wollten. Trotz aller Schuldzuweisungen möchte die Gescholtene aber an ihrer kleinen Schwester festhalten: »I just want you to see me/You don’t have to love me too/Alexandra/Little sister/I’m holding on to you.« Vager gelingt es, die ganze Tragik dieser Szene zum Ausdruck zu bringen. Und der Titel des Albums erscheint in seiner Ambiguität sogleich noch passender, heißt »feral« doch einerseits »ungezähmt«, andererseits aber auch »düster« oder gar »tödlich«.

RVG: Feral (Fire Records)