Sechs Jahre nach der Annexion ­kostet die Krim Russland immer noch Milliarden

Putins teure Sommerfrische

Vor sechs Jahren annektierte Russland die Krim. Finanziell ist die Halbinsel für den russischen Staat noch immer ein Verlustgeschäft.

Wladimir Putin ließ es sich im Dezember nicht nehmen, persönlich auch den letzten Abschnitt der 3,3 Milliarden Euro teuren Brücke zu eröffnen, die das russische Festland mit der 2014 annektierten Halbinsel Krim verbindet. Der Präsident Russlands stand im Führerhaus des ersten Zugs, der nach der offiziellen Eröffnung des gewaltigen Bauwerks über das Schwarze Meer fuhr.

Dem war 2018 die ebenfalls feierlich inszenierte Fahrt Putins in einem LKW vorausgegangen, als der Autobahnteil der Brücke fertiggestellt war. Auch eine Stromverbindung vom Festland gibt es mittlerweile. Nur Frischwasser kann Russland schwer in die Krim bringen; seit die Ukraine die Wasserversorgung gekappt hat, dorren immer größere Teile der Halbinsel aus. Ukrainische Medien berichten, Russland habe die Wasserversorgung der Krim zu einer Bedingung dafür gemacht, die Verhandlungen über einen Frieden in der Ost­ukraine fortzuführen.

Die Krim-Halbinsel ist interna­tional isoliert, zahlreiche Menschenrechtsverstöße und Repression sind dokumentiert.

Dort wird immer noch fast jeden Tag geschossen. Als der neue ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal Anfang März erklärte, eine Versorgung der Krim-Bewohner mit Wasser sei aus humanitären Gründen notwendig, wurde er vor allem im Internet heftig kritisiert. Schnell relativierte er seine Aussage: Die Wasserversorgung nur für Krim-Bürger, aber nicht für »Invasoren«, sei »technisch« nicht möglich, »bis die Besatzung beendet sei«. Der Zwischenfall zeigt, wie angespannt vor allem die sich als patriotisch verstehenden Teile der ukrainischen Gesellschaft auf jeden Schritt reagieren, der als eine Anerkennung der russischen Hoheit verstanden werden könnte.

Sechs Jahre nach der Annexion der Krim will die russische Regierung ­demonstrieren, dass sich die Halbinsel entwickelt hat und unumkehrbar in den prosperierenden russischen Staats integriert worden ist. Die Krim erhielt mehrere neue Flughafenterminals und Kraftwerke. Zusätzlich zu solchen großen Infrastrukturprojekten subventioniert Russland die Halbinsel mit Beträgen zwischen einer und 2,7 Milliarden US-Dollar jährlich, wie die Wirtschaftsagentur Bloomberg errechnet hat. Finanziell ist die Krim für Russland ein gewaltiges Verlustgeschäft.

Fast alle Ukrainer, viele Russen und ganze Generationen von Sowjetbürgern verbinden mit der Krim Erinnerungen an Sommerferien, das einzig­artige, fast subtropische Klima und die mediterran anmutenden Strände. Ins bekannteste Jugendsommerlager, das 1925 gegründete Artek, kamen jedes Jahr Tausende Pioniere, vor allem der Nachwuchs der sowjetischen Nomenklatura. Nach dem Ende der Sowjetunion büßte Artek viel von seinem Glanz ein, doch mittlerweile verbringen dort wieder Jugendliche aus Russland im Schatten von Lenin-Statuen den Sommer – auf Kosten der russichen Regierung, die Millionen in die Renovierung des Lagers steckte. Selbst der syrische Dikator Bashar al-Assad schickte seine Kinder, wie die britische Tageszeitung The Times berichtete.

Viele Bewohner profitieren offenbar von den Investitionen. Das hilft zu verstehen, warum viele 2014 die Trennung von der Ukraine unterstützten. Die Ukraine ist ein armes Land ist, das kaum in der Krim investierte. Russland ist mit seinem Öl- und Gasreichtum zumindest wohlhabend genug, um sich die mit viel patriotischem Pathos zelebrierte Annexion der Krim leisten zu können, auch wenn sie den Staatshaushalt belastet. Das russische Bruttoinlandsprodukt pro Kopf ist Schätzungen des Internationalen Währungsfonds zufolge etwa dreimal so hoch wie das ukrainische.

Vieles deutet darauf hin, dass die Annexion der Krim bei deren Bevölkerung immer noch populär ist – wobei man fragen muss, unter welchen Umständen sich diese Überzeugungen ­gebildet haben. Zum sechsten Jahrestag der Annexion präsentierten die Professoren Gerard Toal und John O’Loughlin sowie die Professorin Kristin Bakke in der Washington Post die Ergebnisse einer Umfrage, die das renommierte russische Meinungsforschungsinstitut Levada für sie auf der Krim durchgeführt hatte. Levada hatte 2014 im Auftrag von Toal, O’Loughlin und Bakke herausgefunden, dass 86 Prozent der Bevölkerung der Halbinsel die Annexion befürworten. 2019 sagten 82 Prozent der Befragten, dass sie die in der zweiten Umfrage als »Beitritt« zu Russland bezeichnete Annexion positiv sähen. Selbst die Minderheit der Krimtataren, die 2014 die Annexion mehrheitlich ablehnte und seitdem besonders von staatlicher Repression und teils willkürlichen Verhaftungen betroffen war, unterstützt diese der Umfrage zufolge mittlerweile zu 58 Prozent.

War die Annexion der Krim also eine Erfolgsgeschichte? Tatsächlich schien sie ein großer außenpolitischer Sieg Putins zu sein. Es gab nur wenige Tote, der Westen war überrascht und die ukrainische Regierung zeigte keine Gegenwehr. Putin war es offenbar gelungen, die demütigende Niederlage gegen die Maidan-Bewegung, den Verlust der Kontrolle über die Ukraine an eine prowestliche Regierung, mit so etwas wie einem Triumph zu kontern. Inzwischen ist die Krim ein sicherer Stützpunkt für die russische Schwarzmeerflotte, die von dort aus bequem das Mittelmeer erreichen kann.

Aber man muss auch berücksichtigen, was danach passierte: die Eskalation des Kriegs im Donbass, die Tausenden Todesopfer, Flucht und Vertreibung von Hunderttausenden sowie die Spannungen in den Beziehungen zum Westen. Schon der russische Zugriff auf die Krim war eine kaum bemäntelte Demonstration staatlicher Gewalt und wäre ohne die Präsenz Tausender rus­sischer Soldaten undenkbar gewesen. 2016 veröffentlichte die ukrainische Regierung das Protokoll der Notfallsitzung des Nationalen Sicherheitsrates vom 28. Februar 2014. Zwei Tage zuvor hatte es auf der Krim noch Zusammenstöße von prorussischen und pro­ukrainischen Demonstranten gegeben. Am 27. Februar begannen die »grünen Männchen«, bewaffnete Einheiten ohne russisches Hoheitszeichen, Fakten zu schaffen. Sie hissten eine russische Flagge auf dem Gebäude des regionalen Parlaments, das ein Referendum über die Sezession im Mai ansetzte.

Dem ukrainischem Verteidigungsminister zufolge teilte der Befehls­haber der russischen Truppen auf der Krim zu diesem Zeitpunkt in einem persönlichen Gespräch mit: »Ich habe keine Befugnis, mit Ihnen zu verhandeln, aber ich werde Folgendes sagen: Wir werden bis zum Ende gehen. Alle Truppen sind in Alarmbereitschaft. Wenn Sie sich uns nicht entgegenstellen, wird kein Blut fließen.« 20 000 russische Soldaten seien damals auf der Krim gewesen. Der Minister musste der gerade erst ins Amt gekommenen Übergangsregierung in Kiew erklären, dass die ukrainische Armee nicht nur auf der Krim, sondern landesweit kaum kampffähig sei.

Im April 2014 kam es auch in der Ost­ukraine zu bewaffneten Machtergreifungen prorussischer Separatisten. Die ukrainischen Regierungstruppen und Milizen leisteten heftige Gegenwehr und trugen so dazu bei, den Krieg zu entfesseln. Diese Reaktion erklärt sich auch daraus, dass der Regierung in Kiew Ende Februar 2014 klargemacht wurde, weder das Völkerrecht noch die Proteste westlicher Staaten und vor allem nicht die Präsenz der zahlenmäßig unterlegenen ukrainischen Truppen würden Russland daran hindern, die Kontrolle über ukrainisches Staatsgebiet zu übernehmen. Den Plan zur Annexion der Krim, erwähnte ­Putin ein Jahr später beiläufig, habe er übrigens schon Wochen vorher gefasst.

Die Halbinsel ist international isoliert, zahlreiche Menschenrechtsverstöße und Repression sind dokumentiert, etwa durch die UN-Menschenrechtskommission. Viele ukrainische Bürger haben die Krim verlassen, viele Russen haben sich angesiedelt. Dass Russland die Krim freiwillig wieder räumen wird, erwartet niemand mehr. Die von Putin geplante neue Verfassung soll sogar explizit verbieten, russisches Territorium aufzugeben. Die Ukraine und westliche Länder bestehen darauf, dass die Annexion um keinen Preis anerkannt werden dürfe, deshalb gelten weiterhin umfassende Sanktionen der EU und der USA.