China versucht, in der Corona­krise eine internationale Führungsrolle einzunehmen

Die Geopolitik von Covid-19

In der Coronakrise versucht China, mit Hilfslieferungen eine inter­nationale Führungsrolle einzunehmen.

Man ist vom US-amerikanischen Präsidenten gewohnt, dass er gelegentlich abrupt seine Meinung ändert. Nachdem er in jüngster Zeit China wiederholt scharf kritisiert hatte, bekundete Donald Trump Ende vergangener Woche plötzlich seinen »großen Respekt« für den Umgang des Landes mit dem Coronavirus. Man wolle in Zukunft eng zusammenarbeiten. Zuvor hatten Trump mit seinem chinesischen Amtskollegen Xi Jinping telefoniert. Auch die chinesischen Medien berichteten von dem Gespräch; Xi habe darin den USA Unterstützung angeboten. Das Tele­fonat dürfte als Zeichen einer gewissen Entspannung zu werten sein, doch bleibt der geopolitische Konflikt zwischen den USA und China immer auch einer der medialen Darstellung. China hatte anfangs den Ausbruch der Epidemie vertuscht und sogar Ärzte unter Androhung von Gefängnisstrafen gezwungen, über das Virus zu schweigen. Das sorgte nicht nur bei der chinesischen Bevölkerung für Empörung, sondern auch international. Ein gewaltiger Reputationsverlust drohte. Dann gelang China allerdings die Eindämmung des Virus besser als den meisten anderen Ländern, und das Regime versucht nun, sich auch international als Vorreiter im Kampf gegen die Covid-19-­Pandemie zu inszenieren.

Bereits bei der Ebolaepidemie 2014 hatte China Ärzte und Material nach Westafrika geschickt – aber unter Anleitung der USA, die damals den Kampf gegen die Ausbreitung des Ebolavirus koordinierten.

In diesem Kontext betonte Trump ab Mitte März immer wieder, China sei für das neuartige Coronavirus Sars-CoV-2 verantwortlich – zu einem Zeitpunkt also, als endgültig klar war, dass es auch in den USA zu einer Epidemie kommen würde und dass die Regierung darauf nicht adäquat vorbereitet war. Beim G7-Treffen Ende März kam keine gemeinsame Abschlusserklärung zustande, weil die USA darauf ­bestanden hatten, darin die chinesische Herkunft des Virus zu betonen. Um die jeweils andere Seite anzuschwärzen, wurden Verschwörungstheorien in die Welt gesetzt. Bereits am 26. Februar hatte in China der bekannte Epidemiologe Zhong Nanshan angedeutet, das Virus könne womöglich außerhalb Chinas entstanden sein. In der Staatspresse wurde diese Theorie wiederholt, später war es insbesondere der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Zhao Lijian, der auf Twitter immer wieder die Theorie verbreitete, in Wirklichkeit hätten US-amerikanische Soldaten das Virus nach China eingeschleppt, als sie im Oktober vorigen Jahres an der Militärolympiade in Wuhan teilnahmen. Daraufhin begann Trump, vom »Wuhan-Virus« und »China-Virus« zu sprechen. In den USA kursierten bereits zuvor Verschwörungstheorien; der republikanische Senator Tom Cotton etwa hatte spekuliert, das Virus könne aus einem chinesischen Biowaffen­labor entwichen sein.

Doch was im jeweils eigenen Land nationalistische Stimmungen bedienen mag, ruft international oft nur Irrita­tionen hervor. So musste Trump seine Rhetorik mäßigen, nachdem es in den vergangenen Wochen zu einer Welle rassistischer Angriffe auf asiatisch aussehende US-Bürger gekommen war. Anfang der Woche stellte er bei einer Pressekonferenz und auf Twitter klar, dass Amerikaner asiatischer Abstammung »unglaubliche Menschen seien«, die man »total beschützen müsse« – die Verbreitung des Virus sei »nicht ihre Schuld, in keiner Weise«. Auch von der Bezeichnung des Coronavirus als »China-Virus« scheint Trump vorerst Abstand genommen zu haben.

Kurz zuvor hatte sich der chinesische Botschafter in den USA mit deutlichen Worten von jenem Sprecher des chinesischen Außenministeriums distanziert, der Theorien über einen US-amerikanischen Ursprung des Virus verbreitet hatte. Das deutet darauf hin, dass auch der chinesische Staat nicht immer mit einer Stimme spricht. Vielleicht steht dahinter auch die Einsicht, dass solche Verschwörungstheorien dem Anliegen Chinas, durch Anwendung von soft power Einfluss zu gewinnen, derzeit nicht dienlich sind. China versucht nun, nachdem es sich zu Beginn der Krise regelrecht blamiert hatte, als verlässlicher und seriöser Krisenbewältiger aufzutreten, auch international. Nachdem das Regime zunächst durch Heimlichtuerei die Ausbreitung des Virus begünstigte, arbeiten chinesische Behörden inzwischen eng mit Gesundheitsbehörden in aller Welt zusammen, um über das Virus zu informieren und beratend zur Seite zu stehen. Öffentlichkeitswirksam schickte China Ärzte und Material nach Italien und zahlreiche andere Länder auf der ganzen Welt.

Damit stößt das Land in eine Lücke, die die USA hinterlassen haben. Bereits bei der Ebolaepidemie 2014 hatte China Ärzte und Material nach Westafrika ­geschickt – aber unter Anleitung der USA, die damals noch wie selbstverständlich den Kampf gegen die Ausbreitung des Ebolavirus koordinierten. In der derzeitigen Krise ist von einer solchen Führungsrolle der USA nichts zu spüren, im Gegenteil. Es wird bereits spekuliert, dass die Coronakrise »die globale Ordnung transformieren« könnte, weil China nun versuche, eine internationale Führungsrolle einzunehmen. So argumentierte etwa der Leiter des China-Programms der renommierten Brookings Institution, Rush Doshi, in der US-amerikanischen Zeitschrift Foreign Affairs.

Das wird auch in Europa registriert, dem Erdteil, der derzeit mehr als jeder andere unter dem Virus leidet. Der Außenbeauftragte der EU, Josep Borrell, veröffentlichte vorige Woche eine Erklärung, der zufolge die Coronakrise auch eine »geopolitische Komponente« habe, sie sei nämlich »ein Kampf um Einfluss mit Mitteln des Spins und der ›Politik der Großzügigkeit‹«. China versuche »auf aggressive Weise«, sich als »verlässlicher Partner« zu inszenieren, während das Krisenmanagement der EU diskreditiert werde. Diese müsse sich in diesem »globalen Kampf um die Narrative« zur Wehr setzen.

Doch in Italien schien man keineswegs bestürzt darüber zu sein, dass China versucht, sich in aggressiver Weise als verlässlicher Partner zu geben. China war zur Stelle, als die an­deren EU-Länder die Bitte der italienischen Regierung, über den sogenannten EU-Katastrophenschutzmechanismus dringend benötigtes Material ­bereitzustellen, noch ignorierten. Der italienische Außenminister Luigi Di Maio von der Partei Fünf-Sterne-Bewegung war bei der Entladung eines ­chinesischen Transportflugzeugs persönlich zugegen und sprach in die ­Kamera: »Wir sind nicht allein.«

Italien ist für die chinesische Außenpolitik von großer Bedeutung, da es sich als einziges Mitgliedsland der G7 offiziell an der chinesischen »Belt and Road Initiative« beteiligt. Ähnlich wichtig ist Serbien, ein Land, in dem China hohe Summen investiert, was die EU kritisch sieht. Der serbische Präsident Aleksandar Vučić äußerte sich noch deutlicher als Italiens Außenminister. »Europäische Solidarität existiert nicht. Das ist ein Märchen«, sagte er bei einer Pressekonferenz. »Der Einzige, der uns jetzt helfen kann, das ist China.« Die EU habe dagegen den Export me­dizinischer Güter nach Serbien eingeschränkt.

Der chinesische Präsident Xi Jinping bot schriftlich auch der französischen und der deutschen Regierung Hilfe an. Der EU-Kommission versprach China die Lieferung Hunderttausender Schutzmasken und Diagnose-Sets. Die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte dazu, sie sei »sehr dankbar«, erwähnte aber auch, dass die EU im Januar selbst 50 Tonnen medi­zinische Ausrüstung nach Wuhan geschickt hatte. Da klang schon der Vorwurf durch, China mache eine zu große Show aus der eigenen Hilfsbereitschaft. Der chinesische Telekommunikationskonzern Huawei spendete ­Millionen Schutzmasken an verschiedene EU-Staaten. In der EU wird seit ­einiger Zeit sehr kontrovers diskutiert, ob man Huawei am Ausbau des 5G-­Mobilfunknetzes beteiligen solle. Deshalb darf man wohl davon auszugehen, dass Huawei mit ostentativer Hilfsbereitschaft in dieser Frage Einfluss nehmen wollte. Nach Borrells scharfem Kommentar zum »Kampf um die Narrative« kündigte die Firma nun an, ihre Hilfen für europäische Länder einzuschränken.

Kritiker weisen außerdem darauf hin, dass China nur deshalb große Mengen medizinischen Materials schicken könne, weil eben ein Großteil der globalen Produktion dieses Materials in China stattfindet. Zudem hatte China als Reaktion auf den Covid-19-Ausbruch bereits frühzeitig große Mengen Material gebunkert und war deshalb in einer besseren Position zu helfen als etwa Deutschland, das ja selbst gerade erst richtig von der Krise getroffen wurde. Hinzu kommt, dass sich Hunderttausende chinesische Schutz­masken, die an die Niederlande gingen, als defekt herausstellten; Spanien hat 58 000 Diagnose-Sets aus China zurückgeschickt, weil sie unzuverlässig waren.

Doch wenn man in der EU so sehr fürchtet, dass China die mangelnde europäische Solidarität zu Propagandazwecken ausschlachtet, wäre es naheliegend, für mehr europäische Solidarität zu sorgen. Das krisengebeutelte Italien könnte dringend finanzielle Unterstützung gebrauchen, etwa durch eine gemeinsame Garantie für Staatsanleihen in der Euro-Zone. In einem offenen Brief hatten neun Euro-Länder, darunter Frankreich, Italien und Spanien, solche »Coronabonds« gefordert. Doch die üblichen Kandidaten – die Niederlande und Deutschland – lassen sich nicht einmal durch die Pandemie und die präzedenzlose Wirtschaftskrise erweichen, sie lehnen dieses Instrument weiterhin ab. Zudem sagte die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in einem Interview mit der Nachrichtenagentur DPA, bei der Bezeichnung »Coronabonds« handele es sich ja nur um »ein Schlagwort«, dahinter stünde »die größere Frage der Haftung. Und da sind die Vorbehalte in Deutschland, aber auch in anderen Ländern berechtigt.«