Aachener Nazis haben die dortige Frauentagsdemonstration angegriffen

Selbstschutz gegen Messer

In Aachen provozierten zwei Neonazis die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Demonstration zum Frauenkampftag. In der Stadt gibt es seit längerer Zeit Probleme mit Rechtsextremen.

Es waren martialische Bilder: Ein junger Mann steht kampfbereit in Angriffsposition mitten in der Fußgängerzone. Seine Jacke und Bauchtasche sind als Produkte der Firma Thor Steinar zu erkennen. Sein Gesicht ist vermummt, mit der linken Hand zeigt er den Mittelfinger, in der rechten hält er mit drohender Geste ein Messer. Sein Kamerad neben ihm scheint nicht mehr so angriffslustig zu sein. Blut tropft von seinem lädierten Gesicht auf seine Jacke. Er ist am Kopf verletzt, die Nase sitzt leicht schief. Seine Quarzsandhandschuhe sind ihm etwas zu groß.

Vor zweieinhalb Wochen wurden diese Bilder über Twitter verbreitet, mit der Nachricht, dass es auf der Demonstration zum Frauenkampftag in Aachen zu einem Angriff von Neonazis gekommen sei. Man habe sie nur durch »Selbstschutz« aufhalten können. Ein Link führte zu einer anonymen Erklärung auf der Plattform Indymedia.

Auf der Straße zeigt sich die Gruppe »Syndikat 52«. Sie ist die »Freizeit­organisation« des Kreisverbands Heinsberg/Aachen von »Die Rechte«.

»Der Staatsschutz ermittelt«, sagte die Pressesprecherin der Polizei Aachen der Jungle World und verwies auf eine Pressemitteilung, die bereits am Montag nach dem Vorfall erschienen war. Ob es seither neue Erkenntnisse gibt, sei ihr nicht bekannt. In der Mitteilung schreibt die Polizei von einer »körperlichen Auseinandersetzung zwischen Angehörigen der linken und der rechten Szene«. Die beiden Rechten hätten sich noch am Tatort befunden, als die Polizei eintraf; die Beamtinnen und Beamte hätten bei ihnen ein Taschenmesser, Pfefferspray und Quarzsandhandschuhe sichergestellt. Die Rechten seien bisherigen Ermittlungen zufolge von einer Gruppe von »etwa bis zu 30« Personen angegriffen worden.

Dem widerspricht der örtliche Antifaschist Tim T.*, der seinen richtigen Namen nicht öffentlich nennen möchte: »Es wurden Leute mit einem Messer angegriffen.« Die Auseinandersetzung hätten die beiden Neonazis geplant gehabt, sagt der junge Mann im Gespräch mit der Jungle World. Sie hätten sich in auffälliger Weise in der Umgebung der Demonstration bewegt, um zu provozieren und Linke anzugreifen. Die beiden Nazis hätten die Versammlung allerdings nicht direkt angegriffen, wie im Internet berichtet worden sei, sondern es sei in einer gewissen Entfernung zu der Auseinandersetzung gekommen. Der genaue Ablauf lässt sich anhand der widersprüchlichen Angaben nicht eindeutig rekonstruieren.

Neonazistische Angriffe sind in der Region nichts Neues. 2012 hatte das nordrhein-westfälische Innenministerium mehrere Kameradschaften verboten, neben dem »Nationalen Widerstand Dortmund« (NWDO) auch die »Kameradschaft Aachener Land« (KAL), eine der auffälligsten Nazigruppen in Westdeutschland. Zu diesem Zeitpunkt wurde gegen sie wegen einer versuchten Tötung ermittelt, zahlreiche Angriffe können der KAL zugeordnet werden. Sie spielte auch eine maßgebliche Rolle bei der Organisation von Aufmärschen in Stolberg, einem Vorort von Aachen, an denen Nazis aus dem gesamten Bundesgebiet teilnahmen. Dort kamen von 2008 bis 2012 jährlich bis zu 500 Neonazis zusammen. 2013 wurde der Aufmarsch verboten.

Auch die Geschichte der linken »Aachen Ultras« machte bundesweit Schlagzeilen. Sie gaben 2013 den Kampf in der Fankurve gegen die rechtsextreme »Karlsbande« auf und zogen sich aus dem Stadion zurück, da sie keine Unterstützung vom Verein Alemannia Aachen und aus dem Fanmilieu erhielten (Jungle World 4/2013). Zuvor waren die »Aachen Ultras« an beinahe jedem Spieltag des Clubs von Hooligans aus dem Umfeld der KAL bedroht und mehrfach auch angegriffen worden. Mittlerweile hat sich die Situation auf dem »Tivoli«, wie das Aachener Stadion auch genannt wird, beruhigt, allerdings unterstützen Ultras aus dem Umfeld der »Karlsbande« den Verein weiterhin.

Das Verbot der KAL hat das Milieu geschwächt; derzeit zeigen sich Neonazis in Aachen nicht mehr so souverän wie noch vor zehn Jahren. Doch von einer Zerschlagung der rechten Szene kann keine Rede sein. Wie auch in anderen Städten organisierten sich die Anführer der KAL in der Kleinpartei »Die Rechte«. Selbst die Polizei musste in der Lokalpresse zugeben, dass die gleiche Personengruppe ihre Tätigkeiten einfach unter anderem Namen fortführt. Parteipolitisch relevant ist der Kreisverband von »Die Rechte« nicht. Bei der Europawahl 2019 erhielt er 101 Stimmen in der Städteregion Aachen mit ihren ungefähr 400 000 Wahlberechtigten.

Auf der Straße zeigt sich eher die Gruppe »Syndik 52«. Eigenen Angaben zufolge ist sie die »Freizeitorganisation« des Kreisverbands Heinsberg/Aachen von »Die Rechte«. Die Zahl 52 steht für die ersten beiden Ziffern der Aachener Postleitzahlen. Die Gruppe organisiert Ausflüge und Ähnliches, tritt aber auch bei Aufmärschen in Erscheinung und betreibt Propaganda. Außerdem organisieren ihre Anführer Veranstaltungen unter unverdächtigen Bezeichnungen wie »Ballermann-Party«, um Geld einzunehmen und Jugendliche zu rekrutieren. Die rechtsextreme Band Kategorie C und der Rapper Makss Damage sind ebenfalls gerngesehene Gäste.

Zu »Syndikat 52« gehörten auch die beiden jungen Neonazis Norman S. und Kayan H., sagte der Antifaschist T. der Jungle World; in den Augen von Antifaschistinnen und Antifaschisten kämen nur sie als Täter des Angriffs am Frauenkampftag in Frage. Die beiden seien bereits des Öfteren mit Provokationen aufgefallen und hätten auch schon Linken aufgelauert. Dabei sei eine Person mit einem Teleskopschlagstock am Kopf verletzt worden, so T. Feindbilder seien vor allem Linke in der Stadt und ihre Räume. Häufig seien in jüngster Zeit vor dem örtlichen Autonomen Zentrum und dem Infoladen faschistische Aufkleber angebracht und Sachbeschädigungen begangen worden.

S. und H. haben auch Kontakt zu älteren Führungsfiguren. So gibt es Fotos, auf denen sie mit dem Neonazi Timm M. zu sehen sind, der vor kurzem erst aus dem Gefängnis entlassen wurde, wo er eine Strafe wegen bandenmäßigen Drogenhandels absaß. Er gilt als Anführer von »Die Rechte« in Aachen.
Weitere Nazis waren in der jüngeren Vergangenheit in Auseinandersetzungen verwickelt. Im Jahr 2018 kam es zu einem Angriff im alternativen Frankenberger Viertel. Mitteilungen des Autonomen Zentrums Aachen zufolge griffen damals zwei bewaffnete Neonazis Linke an. Die Attacke konnten abgewehrt werden, jedoch nahmen hinzugerufene Polizisten zwei Antifaschisten fest, die anschließend für zwei Wochen in Untersuchungshaft saßen.

Dass diejenigen, die sich gegen Naziangriffe wehren, schnell Ärger mit der Polizei bekommen, bemerkten auch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Demonstration am Frauenkampftag. Die Polizei zog nach der Auseinandersetzung eine Hundertschaft aus Köln hinzu und kontrollierte eine Vielzahl der Demonstrantinnen und Demonstranten, um die Personen aufzuspüren, die sich gegen die Neonazis zu Wehr gesetzt hatten.

* Name von der Redaktion geändert.