Eine neue Verfassung soll die Macht des russischen Präsidenten Putin sichern

Für immer Präsident

In einer reformierten Verfassung will der russische Präsident Wladimir Putin Gott erwähnen und die traditionelle Ehe festschreiben – und sich nicht zuletzt weitere Amtszeiten ermöglichen.

Wladimir Lenin hätte es nicht besser inszenieren können. Am 22. April, ­seinem 150. Geburtstag, sind alle Wahlberechtigten in Russland zur Abstimmung über einschneidende Verfassungsänderungen aufgerufen, die Präsident Wladimir Putin auf den Weg gebracht hat. Selbstverständlich dürfen sie auch mit Nein stimmen. Sollten sich aber unter den zahlreichen Punkten, über die pauschal in einem Wahlgang entschieden wird, aus Perspektive der Bevölkerung auch ein paar attraktive finden, werden sich die meisten wohl kaum gegen die Verfassungsreform stellen. Zumal trotz öffentlicher Debatten nicht der Eindruck entsteht, dass einer Mehrheit an der Verfassung wirklich viel liegt. Für die Abstimmung wurde der 22. April zum arbeitsfreien Tag erklärt. Eine einfache Mehrheit ­genügt für die Annahme der Verfassungsänderung; fraglich ist, wie hoch die Beteiligung an der Abstimmung ausfällt.

Vor Bürgern bezeichnete Putin am Freitag vergangener Woche in Iwanowo »Sputniknews« zufolge »seine Präsidentenfunktion nicht als Job, sondern als Schicksal«.

Die eigentliche Entscheidung fällt bereits in diesem Monat. Alles soll so schnell wie möglich über die Bühne gehen. Am 23. Januar stimmten alle anwesenden Abgeordneten im Parlament für Putins Verfassungsprojekt – ohne eine einzige Enthaltung. Für den 10. und 11. März wurden die zweite und dritte Lesung im Parlament angesetzt, die Zustimmung gilt als sicher. Danach sollen der Föderationsrat und die Regionalparlamente abstimmen. Bereits am 18. März, dem Jahrestag der russischen Annexion der Krim, der in Russland wie kein anderes Datum für Glanz und Gloria steht, will der Präsident mit seiner Unterschrift besiegeln, was er zu Beginn seiner ersten Amtszeit als Staatsoberhaupt kategorisch ausschloss – eine Änderung der russischen Verfassung, die letztlich zu nichts anderem dient als der Festigung seiner Macht.

Pro forma darf danach auch das Verfassungsgericht seinen prüfenden Blick auf das neue Dokument werfen, das in der Duma unter der Bezeichnung »Über die weitere Ausgestaltung der Regulierung einzelner Aspekte zur Funktionsweise der öffentlichen Gewalt« läuft.

Anfang März hatte Putin auf 24 Seiten seine jüngsten Änderungswünsche vorgelegt. Neben sozialpolitischen Regelungen wie dem Mindestlohn und Rentenanpassungen, die die institutionellen Veränderungen versüßen sollen, sollen auch konservative Moralvorstellungen in die Verfassung aufgenommen ­werden. Die Ehe soll als Bund zwischen Mann und Frau festgeschrieben werden, gleichgeschlechtliche Ehen sind damit verfassungsrechtlich ausgeschlossen. Das kommt auch den rechten Gruppen entgegen, die gegen »homosexuelle Propaganda« kämpfen. Auch Gott soll einen Platz in der Verfassung erhalten, wie es sich Patriarch Kyrill, das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, sehnlichst wünschte. Die Russische Föderation, »durch eine tausendjährige Geschichte ­vereint«, soll als Rechtsnachfolgerin der Sowjetunion in Erscheinung treten. Überdies enthält der Entwurf ein Verbot, russisches Territorium aufzugeben. Das würde unter anderem Russlands Zugriff auf die im Jahr 2015 annektierte ukrainische Region Krim festigen, wie Wladimir Maschkow, der an der Ausarbeitung des Verfassungsentwurfs beteiligt war, der BBC sagte.

Wegen der verbreiteten Korruption könnte sich das Verbot für Staatsbedienstete, Vermögen auf ausländischen Konten zu parken und eine zweite Staatsbürgerschaft zu besitzen, als populär erweisen. Das russische Recht soll gegenüber dem internationalen gestärkt werden. Dessen Vorrang vor nationalem Recht sei veraltet, hieß es in der Duma zustimmend, nachdem Putin am 15. Januar überraschend angekündigt hatte, es sei an der Zeit, die Verfassung an die heutigen Gegebenheiten anzupassen, worauf die Regierung unter Ministerpräsident Dmitrij Medwedjew zurücktrat.

Institutionell werden die Zuständigkeiten zwischen Präsident, Regierung und Parlament etwas verschoben; was das in der Praxis bedeutet, ist noch unklar. Was sich Putin von einer Aufwertung des Staatsrats in dem Verfassungsentwurf verspricht, ebenso. Zunächst wurde spekuliert, Putin werde sich nach seinem Ausscheiden aus dem Präsidentenamt als Vorsitzender des aufgewerteten Staatsrats eine neue Schlüsselstellung in der russischen Exekutive verschaffen. Doch erst vor wenigen Tagen erklärte Putin, er beabsichtige nicht, das Amt des Staatsratsvorsitzenden einzunehmen, denn das führe zu einer doppelten Machtstruktur. Aber die Regel, dass ein Präsident nicht mehr als zwei aufeinanderfolgende Amtszeiten absolvieren darf, will er ebenfalls nicht aufheben. Sich ins Privatleben zurückzuziehen, plant er offensichtlich nicht. Es blieb zunächst nur Rätselraten, welche Optionen ihm noch offenstehen.

Bereits im Januar veröffentlichte der Politologe Andrej Piontkowskij in einem Blogeintrag auf der Seite des Radiosenders Echo Moskwy folgende Vermutung: Die Verfassungsänderung könne als eine Art verfassungsrechtlicher Neustart gewertet werden, die bisherigen Amtszeiten Putins als Präsident könnten nicht mehr zählen; Putin blieben dann zwei weitere Amtszeiten von jeweils sechs Jahren. Sollten die kommenden Präsidentschaftswahlen wie vorgesehen 2024 stattfinden, eröffnete sich Putin nach diesem Szenario eine präsidiale Perspektive bis zum Jahr 2036 – dann wäre er 84. Das könnte eine etwas rätselhafte Aussage Putins vom Freitag vergangener Woche in Iwanowo erklären, in der er dem Nachrichtenportal Sputniknews zufolge »seine Präsidentenfunktion nicht als Job, sondern als Schicksal bezeichnete«. Am Dienstag trat Putin überraschend im russischen Unterhaus während der zweiten Anhörung über die Verfassungsänderung auf und plädierte dafür, seine bisherigen Amtszeiten mit der neuen Verfassung zu annullieren.

Detailfragen, so hat es den Anschein, lenken vom Wesentlichen ab. Man muss die alte Verfassung von 1993 nicht in allen Punkten verteidigen, zumal der damalige Präsident Boris Jelzin damals die Gunst der Stunde – die Gefahr eines Bürgerkriegs – nutzte, um sich im Präsidentenamt festzusetzen. Aber es gilt eben auch, dass selbst in der Verfassung verbriefte Rechte immer wieder neu erkämpft werden müssen. Und damit steht es trotz Protesten derzeit nicht allein in Russland nicht zum Besten.