Die Band Wasted Shirt schwitzte während der Aufnahme ihres neues Albums

Shirt mit Schweißflecken

Als Brian Chippendale und Ty Segall sich in einem Aufnahmestudio ohne Klimaanlage trafen, kam dabei ein überwältigendes Album heraus.

Eine ausgeprägte Liebe zu Effektgeräten verband Brian Chippendale und Ty Segall bereits, bevor sie gemeinsame Sache machten: die beiden US-Musiker testeten mit ihren jeweiligen Bands genüsslich die Grenzen dessen aus, was mit Fuzz-, Delay-, Phaser- und sonstigen Filtern möglich ist. Sie taten das bislang auf ihre je ureigene Art und Weise: Der eine, der Kalifornier Ty Segall, spielt einen schmutzig-zähflüssigen Garagenrock. Seine Musik produziert er wie am Fließband, seit 2008 hat Segall allein elf eigene Studio­alben veröffentlicht, dazu kommen etliche Kollaborationen, zum Beispiel mit Tim Presley (alias White Fence). Der andere, der aus Providence stammende Brian Chippendale, steht als Sänger und Schlagzeuger des Duos Lightning Bolt sowie als Solokünstler (alias Black Pus) für Hau-drauf-Sound zwischen Post-Punk, Metal und ­Noiserock. Er selbst singt dabei durch ein Kontaktmikrophon, mit dem er sein Kreischen mit Stimmverfremdungseffekten versieht. Insbesondere den Liveauftritten von Lightning Bolt eilt ein entsprechender Ruf voraus.

Nun haben Chippendale und Segall eine gemeinsame Band gegründet, die Wasted Shirt heißt. »Fungus II« ist das erste Album dieses Projekts. Eingespielt wurde es bereits im Juli 2018 in Segalls Heimstudio, und der Umstand, dass er dort über keine Klimaanlage verfügt, könnte sich durchaus auf den Sound ausgewirkt haben. Denn es ist weniger überraschend als vielmehr überwältigend und (über-)fordernd, was in diesen neun überhitzen Songs zu hören ist. Das Weirdeste aus beiden Welten trifft aufeinander, die Stile Noise, Metal, Post-/Synth-Punk, Prog und Jazz kommen zu einer chaotischen Sause zusammen.

Den Ton setzt dabei gleich das einleitende »All Is Lost«. Mit einem kurzen Urschrei geht es los, Ty Segall legt ein völlig dreckiges Gitarrensolo hin, dem während der insgesamt 32 Minuten des Albums weitere dieses Kalibers folgen sollen. Chippendale steigt mit Tomtom-Wirbeln ein, die genauso over the top sind. Dann kurz Luft holen, Schlagzeugsolo, trockener Snare-Sound, es folgt Gebölke und Geschrei. Nur ein paar wuchtige, mit Fuzz überzogene Gitarrenakkorde verleihen dieser Krachcollage etwas Struktur.

Es folgen aber auch etwas eingängigere Stücke. In »Zeppelin 5« etwa reitet das Duo zunächst auf einem Stoner-Rock-Gitarrenriff herum, ehe es mit Scat-Gesang sogar in eine Art Refrain überleitet (»Dädädädä-dää-dädä-däädää … «). In »Fist Is My Ward« trifft Black-Metal-Gesang dann auf völlig übersteuerte Synthies und Gitarren, ehe man zu Beginn des Stücks »The Purple One« tatsächlich einen kurzen Augenblick glaubt, es könne nun gemächlicher zugehen. Denn da schrammelt Segall auf der Akustikgitarre ein paar Akkorde, das Ganze wirkt fast erholsam, bis das Stück dann doch wieder mit Noise-Eskapaden endet. Der Titeltrack »Fungus II« kommt nur mit Schlagzeug, zerhäckselten Synthie-Parts und verzerrtem Micky-Maus-Gesang aus; das abschließende »Four Strangers Entered the Cement at Dusk«, mit mehr als sieben Minuten der mit Abstand längste Track, verharrt erst einmal drei Minuten bei wenigen, langsamen Metal-Riffs, dann geht es in einen Prog-Jazz-Teil über, bis ganz am Ende nur noch ein einziger Ton übrigbleibt – mit diesem Drone verabschieden Chippendale und Segall den Teil der Hörerschaft, der bis dahin durchgehalten hat.

»Fungus II« klingt eher nach einem Experiment als nach einem konzipierten Album – was aber auch gar nicht schlimm ist, wenn zwei Musiker gemeinsame Sache machen, die ­ohnehin immer nach neuen Klängen und neuen Extremen suchen. Für Fans beider Musiker ist das Album ohnehin unverzichtbar, aber auch für alle anderen, die sich für Experimentalmusik begeistern, dürfte »Fungus II« ein erster Höhepunkt des Noise-Jahres 2020 sein.

Wasted Shirt: Fungus II (Famous Class ­Records)