Über den Philosophen Georges Bataille als eigenwilliger Pionier der Postwachstumsideologie

Verschwende dein Vermögen

In seinen Schriften zur Ökonomie zeigt sich der französische Schriftsteller und Philosoph Georges Bataille als eigenwilliger Pionier der Postwachstumsideologie mit einem Hang zu Maßlosigkeit und Verschwendung.

Schon was seine Themen angeht, ist Georges Bataille fast eine Art Antiphilosoph. Vorzugsweise befasst er sich mit Erotik, Ethnologie, Politik, Anthropologie und Religionsgeschichte. Erst recht zeigt sich sein Außenseitertum aber in der Behandlung solcher Sujets, die sprunghaft, traumatisch und irrationalistisch ist, auch wenn Bataille in seinen späteren Jahren – vergeblich – von einer umfassenderen Systematik träumte. Gerade deshalb aber wurde er besonders für bekannte französische Denker zu einem maßgeblichen Anreger, Foucault, Derrida und Baudrillard lernten viel von ihm.

 »Der beleidigende Glanz der Reichen setzt die Menschennatur der Unterklasse herab und ruiniert sie.« Georges Bataille

Schon bevor die Vertreter des Dekonstruktivismus einflussreich wurden, hatte Bataille, seinerseits von Nietzsche, de Sade, Breton, Kojève und Sartre beeinflusst, einen grundlegenden Richtungswechsel in der Geschichte des Denkens eingeleitet. Auch im Bereich der Wirtschaftstheorie machte er sich daran, »das ökonomische Problem gegen den Strich« zu bürsten, wie es in seinem Aufsatz »Die Ökonomie im Rahmen des Universums« heißt. Der Verlag Matthes & Seitz, bei dem viele Texte des 1962 in Paris ­gestorbenen Franzosen in deutscher Übersetzung erschienen sind, hat nun auch die Schriften Batailles zur Ökonomie veröffentlicht.

Bataille bearbeitet gerade nicht die klassischen Felder der Wirtschaftstheorie, ihm geht es nicht um Wertschöpfung oder die Gestaltung von Handelsbeziehungen, sondern ganz im Gegenteil um Verschwendung, um Verausgabung, um das Verschleudern von Energie und Besitz­tümern. In dem eben erschienenden Band wird die Entwicklung von Batailles ökonomischen Ideen anschaulich gemacht: Es beginnt mit dem Aufsatz »Das verschwundene Amerika« von 1928, der vordergründig wenig mit dem Thema Wirtschaft zu tun hat.

Er weidet sich an der phantasiereichen Grausamkeit der aztekischen Kultur und der Blutrünstigkeit ihrer Götter, was etwa in der recht expliziten Schilderung indianischer Opfer­rituale gipfelt: »Nachdem die Knochen durchtrennt waren, griff er (der Priester) mit bloßen Händen nach dem Herz und riss es aus der bluttriefenden Öffnung heraus, mit einer solchen Geschicklichkeit und Flinkheit, dass diese blutige Muskelmasse einige Sekunden über der roten Glut organisch weiterpochte.« Ganz so, wie hier das Leben der Menschen verschwendet wird, habe sich, Batailles Ansicht nach, am Ende die gesamte Kultur in einem einzigartigen Akt der Selbstauslöschung geopfert: »Wie es scheint, fand dieses außergewöhnlich tapfere Volk einen überzogenen Geschmack am Tod. Von einem hypnotischen Wahn befallen hat es sich den Spaniern ausgeliefert. (…) Als ob diese Leute irgendwie begriffen hätten, dass es – an diesem Ausmaß glücklicher Gewalt angelangt – für sie wie für die Opfer, mit denen sie ihre tobsüchtigen Götter beschwichtigten, nur einen Ausweg gab: sich jählings in einen schrecklichen Tod zu stürzen.« Der Untergang der Azteken wäre demnach lediglich eine grandiose Abschlussperformance, ein »Spektakel« zum Zweck des »Vergnügens« und der »Zerstreuung«. Es handelt sich sicherlich um eine eigenwillige Interpretation, die dennoch ­folgenschwer ist, denn aus der Beschreibung dieses Akts vollkommener und sinnloser Vergeudung extrahiert Bataille wenig später den Zentralbegriff seiner Ökonomie, den er fünf Jahre später in dem Aufsatz »Der Begriff der Verausgabung« exemp­lifiziert.

»Die Konstitution eines ­positiven Verlust-Vermögens (…) verleiht dieser Institution ihren bezeichnenden Wert.« Georges Bataille

Dieser beinhaltet nicht zuletzt eine Kritik des Rationalitätsprinzips. Die bürgerliche Gesellschaft sei ganz auf Nützlichkeit abgestellt, so »dass jede partikulare Anstrengung nur dann einen Wert hat, wenn sie auf die grundlegenden Erfordernisse von Produktion und Erhaltung zurückzuführen ist«. Lust dagegen wird gemeinhin als reines Epiphänomen betrachtet. Bataille jedoch stellt sie ins Zentrum, die Lust an der reinen Vergeudung, wie sie zum Beispiel manche Jugendliche ausagierten, die sich für eine kurze Zeit der totalen Ent­ladung um alle weiteren Chancen in ihrem Leben brächten. Hier kommt also eine psychoanalytische Dimension ins Spiel, die Verschwendung als Rebellion gegen die Welt der Väter, gewissermaßen eine Form von Punk. Als erstrebenswert führt Bataille nun den Potlatch an: Dabei handele es sich um einen Wettstreit verfeindeter »Indianerstämme«, die ihren Reichtum dadurch dokumentieren, dass sie den Gegner durch große Geschenke zu düpieren suchen, dafür notfalls sogar alles opfern, was sie besitzen.

Für Bataille stellt diese Praxis eine völlig andere Form von Vermögen dar: »Die Konstitution eines ­positiven Verlust-Vermögens (…) verleiht dieser Institution ihren bezeichnenden Wert.« Er ist überzeugt, dass auch in der westlichen Welt nicht etwa Mangel, sondern Überfluss herrsche und dass es daher auf die größtmögliche Verausgabung ankäme. Ihr misst Bataille zudem eine ­revolutionäre Kraft bei, denn »der Hass auf die Verschwendung ist der Daseinsgrund und die Rechtfertigung der Bourgeoisie«. Gerade dieser (anale) Geiz, allen Reichtum bei sich zu behalten, sei die größte Herausforderung für die arbeitende Klasse: »Der beleidigende Glanz der Reichen setzt die Menschennatur der Unterklasse herab und ruiniert sie.« Daraus resultiert die Notwendigkeit des Klassenkampfes. Dessen einziges Ziel sei »das Verderben jener, die daran gearbeitet haben, die ›menschliche Natur‹ zu verderben«. Er soll zum Ende der Ausbeutung führen, um die Möglichkeit zu einer freien Verausgabung zu bieten, die sich nicht mehr dem Nützlichkeitsprinzip unterwirft und damit innere Freiheit erlangt.

In komprimierter Form fasst Bataille diesen Gedanken in dem 1947 ­geschriebenen Exposé »Der Gebrauch der Reichtümer« zusammen: »Entweder man verwendet den größten Teil der menschlichen Ressourcen (das heißt der Arbeit) dazu, neue Produktionsmittel herzustellen – und man hat die kapitalistische Ökonomie (die Akkumulation, das Anwachsen der Reichtümer) –, oder man vergeudet den Überschuss, ohne zu versuchen, das Produktionspotential zu vergrößern – und man hat die Ökonomie des Festes.« Die von Bataille propagierte Idee einer nicht am Wachstum orientierten Ökonomie ist heute unter dem Begriff »degrowth« beziehungsweise »Postwachstum« durchaus einflussreich geworden. Gemäß seines Paradigmas des Potlatchs ist für Bataille der freieste Mensch jener, der sich seiner sämtlichen Besitztümer entäußert. Alle anderen sind abhängig von externen Entitäten: »Wer den Zweck eines Gegenstands, den er besitzt, akzeptiert, anerkennt in diesem Gegenstand, was ihn selbst diesem Zweck subordiniert.« Auch hierin steckt also nicht zuletzt eine psychologische Konsequenz, der Versuch, sich frei zu machen, gewissermaßen die »letzte Lockerung«, wie der Dada-Schriftsteller Walter Serner das nannte.

Natürlich ist diese Theorie nicht viel mehr als bloßes Gedankenspiel, die vollkommene Unabhängigkeit führte, wie bei Herman Melvilles Schreiber Bartleby, zum Tod. Auch müssen die Menschen zunächst einmal Verfügungsmasse zur Vergeudung besitzen, das ist gerade heute bei vielen nicht mehr der Fall. In diesem Sinne hat man es mit einem eher poetischen Zugriff auf die Ökonomie zu tun; nicht umsonst bringt Bataille Poesie auch unmittelbar mit seinem Wirtschaftskonzept in Verbindung, sieht er in ihr doch das »Synonym der Verausgabung«, »nichts anderes als Schöpfung durch Verlust«. Aufgrund dieses nicht zuletzt recht kombinatorischen, spielerischen Charakters seiner Gedanken ist es nicht verwunderlich, dass Bataille auch den Begriff des Spiels unmittelbar in seine Ökonomiekonzeption einbringt. Er markiert für ihn den direkten Gegensatz zum Begriff der Arbeit, indem Spiel den absichtslosen Verbrauch kultiviere. So wird das Spiel für ­Bataille auch zu einer Funktion des befreiten Denkens außerhalb der Zwänge und Zwecke, womit er implizit auch seine eigene Praxis des antisystematischen Theoretisierens begründet. Nicht bei allen Texten des Bandes ist der Bezug zur Ökonomie klar, aber im Großen und Ganzen verschafft er doch einen guten Überblick über die eigenwillige Ökonomiekritik des Georges Bataille.

Georges Bataille: Der Fluch der Ökonomie. Herausgegeben von Michel Surya und Tim Trzaskalik. Matthes & Seitz, Berlin 2020, 238 Seiten, 16 Euro