Schwieriger Antifaschismus in Aue

National befreites Gedenken

Nach einem Messerangriff in einem Pfarrhaus nahmen mehr als 2 000 Personen an einer Kundgebung im sächsischen Aue teil. Angemeldet hatte diese ein im rechtsextremen Milieu der Region gut vernetzter NPD-Politiker.

»Wir wollen, dass das Erzgebirge auch in 100 Jahren noch ein deutsch besiedeltes Gebirge sein wird und eben nicht der Muezzin aus jeder kleinen Ortschaft hier brüllt«, wiegelte Stefan Hartung die am vorvergangenen Samstag auf dem Altmarkt im sächsischen Aue versammelte Menge auf. Das zeigt ein Video, das auf Youtube veröffentlicht wurde. Dass das Erzgebirge teilweise in Tschechien liegt, hatte der Redner offenbar vergessen.

Nach Aussagen ortsansässiger Antifaschisten gelang es dem NPD-Politiker Hartung in den vergangenen Jahren, das völkische Milieu im Erzgebirge zu koordinieren.

Hartung ist Vorsitzender des NPD-Kreisverbands Erzgebirge und Stadtrat in Aue. Rund 2 200 Personen kamen nach Angaben der Polizei zur von dem NPD-Politiker angemeldeten Kundgebung. Diese sollte nicht nur dem Protest, sondern »auch dem Gedenken der Opfer« einer »asozialen Überfremdungspolitik« dienen, wie Hartung auf Facebook schrieb. Einer Meldung der Deutschen Presse-Agentur (DPA) zufolge nahmen an der Kundgebung auch Mitglieder der extrem rechten Vereinigung »Pro Chemnitz« und der neon­azistischen Kleinpartei »Der III. Weg« teil.

Anlass des Aufmarschs war eine Körperverletzung, zu der es an Heiligabend auf einer Weihnachtsfeier für Bedürftige im Pfarrhaus einer Auer Kirchengemeinde kam. Offenbar hatte ein ehrenamtlicher Helfer versucht, einen Streit unter Flüchtlingen zu schlichten. Der 51jährige erlitt dabei eine schwere Stichverletzung, ein 34jähriger Iraner wurde leicht verletzt. Bei Redaktionsschluss war die Identität des Angreifers weiterhin unklar. Am vergangenen Montag meldete die DPA, ein 53jähriger Syrer sitze wegen des Verdachts der Anstiftung zum versuchten Totschlag und zur gefährlichen Körperverletzung in Untersuchungshaft. Der MDR hatte am 26. Dezember von der Festnahme des Mannes berichtet.

Am 25. Dezember frohlockte Hartung auf Facebook: »Na, mal schauen, ob dem Klerus nun doch bald die Lust auf menschlichkeitsbewegte Willkommenskultur vergeht.« Matthias Oelke, der Pressesprecher der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsen, verwies einer Meldung des Evangelischen Pressediensts vom 26. Dezember zufol­ge »auf das Gebot des Friedens gerade an diesen Tagen« und appellierte an die Besonnenheit der Bürger. Der Superintendent des Kirchenbezirks, Dieter Bankmann, rief mit anderen Vertretern der Kirche zu einem Friedensgebet gegen die Instrumentalisierung des Messerangriffs auf. Diesem Aufruf folgten am vorvergangenen Samstag nach Polizeiangaben etwa 500 Menschen, darunter auch Pfarrer und Mitglieder von Nachbargemeinden.

Das war ein Achtungserfolg in einer Region, in der das völkische Lager von »Der III. Weg« über die NPD, die AfD und Vereinigungen der Freien Wähler bis weit in bürgerliche Kreise hinein reicht. Nach Aussagen ortsansässiger Antifaschisten gelang es Hartung in den vergangenen Jahren, dieses Milieu unter anderem mit Hilfe seines im März 2016 ­gegründeten Vereins »Freigeist e. V.« (Jungle World 38/2018) zu koordinieren und etliche überregionale Kontakte zu knüpfen, was ihm bei der Mobilisierung kurz vor der Jahreswende geholfen habe. Diese Erfolge stünden nicht immer in direktem Zusammenhang mit seiner Partei, sondern seien zumindest teilweise losgelöst von der NPD. Im Kern gehe es darum, »eine völkisch-nationalistische Bewegung zu schaffen, die parteiunabhängig, entschlossen und schnell mobilisiert und agiert«, sagten die Antifaschisten der Jungle World.

Das Kulturbüro Sachsen stellt in seinem aktuellen Jahresbericht fest, dass die Zahl rechtsextremer Vereinsgründungen in dem Bundesland zunehme, auch »in Südwestsachsen und speziell im Erzgebirge«. Neben Hartungs Gründung sind dort Vereine wie »Unsere Heimat – Unsere Zukunft e. V.« oder »Haamitleit e. V.« aktiv. Der Vorsitzende von »Unsere Heimat – Unsere Zukunft e. V.«, Maik Arnold, war dem Bericht zufolge zuvor Mitglied der inzwischen verbotenen »Nationalen Sozialisten Chemnitz« und ist derzeit bei »Der III. Weg« aktiv.

Vordergründig träten die rechtsextremen Vereine in den Kommunen oft als Organisationen für »Kulturveranstaltungen, Heimat- und Brauchtumspflege oder durch vermeintliches soziales Engagement in Erscheinung«. Letztlich, so der Bericht, dienten sie aber einer kleinteiligen überregionalen Vernetzung und sollen zur Etablierung einer »Zivilgesellschaft von rechts« beitragen.

Im vorvergangenen Jahr sagte ein Antifaschist aus dem bei Aue gelegenen Schwarzenberg dem Zeit Online-Blog »Störungsmelder«, die westlich von Aue gelegenen Dörfer seien »praktisch national befreite Zone«. Zwar teilten die wenigsten Bewohner die Ansichten der Neonazis, »aber es gibt keine aktive Zivilgesellschaft, die ihnen widerspricht«.

Die ortsansässigen Antifaschisten sagten der Jungle World, sie hätten am vorvergangenen Samstag auf eine eigenständige Kundgebung verzichtet, um angesichts der »geringen Mobilisierungskraft durch zivilgesellschaftliche Akteure« im Erzgebirgskreis keine »›Spaltung‹ durch verschiedene Proteste« herbeizuführen. Stattdessen hätten sie und Antifaschisten aus anderen sächsischen Orten an diesem Tag »ihre Solidarität mit dem Pfarrer und mit Geflüchteten« gezeigt.