Małgorzata Ciernioch, polnische Anarchistin und Abtreibungsbefürworterin, über Proteste gegen eine Verschärfung der Abtreibungsgesetzgebung in Polen

»Die Versammlungsfreiheit verteidigen«

Mitte vorigen Monats wurden im polnischen Poznań vier Personen, die am 3. Oktober 2016 gegen einen Gesetzentwurf zu Schwangerschaftsabbrüchen demonstriert hatten, zu Sozialstunden verurteilt. Der letztlich nicht beschlossene Entwurf sah vor, Schwangerschaftsabbrüche auch dann zu verbieten, wenn die Schwangerschaft das Resultat einer Vergewaltigung oder das Leben der Schwangeren ­gefährdet wäre. Die »Jungle World« sprach mit Małgorzata Ciernioch, einer der Verurteilten.
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Warum wurden Sie dem Gericht zufolge verurteilt?

Vier von uns wurden verurteilt, weil sie an einer Versammlung teilgenommen haben, aus der heraus Polizisten angegriffen worden sein sollen. Dem Gericht zufolge war es für die Verurteilung ausreichend, mit dem Wissen, dass die Versammlungsteilnehmer gemeinsam einen gewalttätigen Angriff auf die Polizei begehen würden, an der Versammlung teilzunehmen. Drei von uns – ich ein­geschlossen – sollen zudem persönlich Polizisten angegriffen haben.

Wie bewerten Sie dieses Urteil?

Vor allem der erste Vorwurf ist absurd, denn um diesen zu beweisen, müsste man zeigen, dass jeder, der an der Versammlung teilgenommen hat, sich darüber im Klaren war, was geschehen würde. Dafür wurden aus unserer Sicht nicht genügend Indizien vorgelegt. Auch der zweite Vorwurf wurde aus unserer Sicht nicht ausreichend belegt. Eine Freundin und ich hielten bei der Demonstration ein Transparent. Im Laufe des Prozesses wurden Videoaufnahmen gezeigt, die belegen, dass wir die Polizisten nicht angegriffen haben.

Wie verlief Ihr Prozess?

Der Prozess begann rund ein Jahr nach der Demonstration. Er dauerte etwa zwei Jahre. Die Richterin war von Anfang an gegen uns, weil wir Anarchisten sind. So wollte sie etwa die rund 30 Zeugen, die in unserem Sinne aussagten, zunächst nicht anhören. Die Staatsanwaltschaft rief etwa 60 Personen in den Zeugenstand, größtenteils Polizisten. Diese behaupteten, wir seien als organisierte Gruppe aufgetreten und hätten als solche einen Angriff auf sie vorbereitet. Das Gerichtsurteil beruht ausschließlich auf Polizeiaussagen.

Was ist aus Ihrer Sicht am 3. Oktober 2016 in Poznań geschehen?

An diesem Tag gab es zwei Demonstrationen in der Stadt. Zunächst fand eine angemeldete Demonstration im Stadtzentrum statt, an der etwa 10 000 Personen teilnahmen. Daraus entwickelte sich eine spontane, unangemeldete Demonstration. Etwa 1 500 bis 2 000 Per­sonen zogen vor das Parteibüro der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS). Die Leute waren friedlich, aber nicht ruhig. Dann warfen einige Leute Nebelkerzen. Die Polizei versetzte die Leute in Panik, es kam zu einer chaotischen Situation. Drei Personen wurden festgenommen. Es gab einen Aufruhr, aber niemand griff die Polizei an oder versuchte, in das Parteibüro der PiS einzudringen. Die drei festgenommenen Personen wurden angeklagt. Zudem wurden drei weitere Personen, die Strafanzeige gegen Polizisten er­stattet hatten, später selbst angeklagt. Das Verfahren gegen die Polizisten wurde schnell eingestellt.

Werden Sie in Berufung gehen?

Ja, und zwar nicht nur weil wir das Urteil für falsch halten, sondern auch weil eine der Angeklagten Universitätsdozentin ist. Wenn es uns nicht gelingt, das Urteil abzuwenden, verliert sie ihre Stelle. Der Prozess hat zudem eine symbolische Bedeutung. Wir wurden zu­fällig aufgegriffen und festgenommen, weil wir an einer spontanen Demonstration teilgenommen haben. Es geht also in diesem Prozess auch darum, die Versammlungsfreiheit zu verteidigen.