Zeitreisen: Ja, gut - aber in welche Zeit?

Zukunft oder Vergangenheit?

Der Traum, sich nicht nur im Raum, sondern auch in der Zeit frei bewegen zu können, beschäftigt seit langem Künstler, Literatinnen, Ivo Bozic und Elke Wittich. Aber wer möchte wohin reisen und zu welchem Zweck? Und was kann alles passieren, wenn man mit einer Reise in die Vergangenheit die Zukunft verändert? Der sogenannte Butterfly-Effekt (wie im Film »Back to the Future«) ist allerdings nicht die einzige Gefahr, auf die sich Zeitreisende einstellen müssen.
Disko Von

Unterwegs mit der Zeitreisegruppe

Die organisierte Zeitreise zu den historischen Ereignissen der Weltgeschichte scheint wenig erstrebenswert. Dann doch lieber individuell verreisen. Warum nicht auch mal in die Zukunft?

Von Elke Wittich

Da hatte man kürzlich diesen als verrückt verlachten, in Wirklichkeit aber hochgenialen Wissenschaftler kennengelernt, und nun sitzt man da in dem von ihm konstruierten Dings, um sich auf eine Reise zu machen, die … Halt, stopp, so ähnlich fangen sie zwar in aller Regel an, die einschlägigen Schilderungen in Science-Fiction-Romanen, aber vor 100 Jahren stellten sich die Menschen auch vor, dass wir auf anderen Planeten wohnen und was nicht alles würden.

Eine wirkliche Zeitreise wird dereinst vermutlich im Zeitreisebüro beginnen. Pauschalzeitreisen, drei Jahrhunderte in fünf Tagen, Zweierappartements. Bettwäsche kostet extra, Endreinigung inklusive, zeitgerechte Basiskleidung wird gestellt.

Zeitreisende werden ein großes Elend sein, das mitzuerleben man den armen Menschen in den kommenden Jahrhunderten eigentlich nicht wünscht.

Und weil alle immer Hitler angucken wollen, wird es ein straffes Programm geben. Tag eins: Braunau Juni 1889, Punkt zwölf Uhr Spazierfahrt mit Baby Hitler im zeitgenössischen Kinderwagen. Freie Platzwahl, es wird empfohlen, wegen des zu erwartenden Andrangs ab neun vor dem Geburtshaus zu sein. Es besteht die Möglichkeit, Lunchpakete zu erwerben, vegan auf Anfrage. Tag zwei: vormittags von zehn bis zwölf Erster Weltkrieg mit Mittagessen in Verdun, anschließend Friedensvertragsunterzeichnung, bitte beachten, das Schloss ist nicht geheizt. Tag drei: Paris, Französische Revolution, der Nachmittag steht zur freien Verfügung. Tag vier: Ein Besuch im Jahr 2200. Tag fünf: Heimreise, für die Mehrwertsteuerrückerstattung bitte die erforderlichen Belege bereithalten.

Aber nein, so würde man natürlich nie reisen, man ist doch kein Tourist, sondern was viel Besseres, nämlich kein Tourist, sondern mehr so eine Art irgendwas anderes, viel Cooleres. Und deswegen würde man natürlich ganz individuell die Zukunft erforschen, hier in einem hippen kleinen Cafe des Jahres 2120 einkehren und danach schauen, wie die Strände des Jahres 2170 aussehen, und in dieser superauthen­tischen Bodega essen gehen, Geheimtipp, unverfälschtes Essen, Oma steht noch selbst am Herd.

Und selbstverständlich würde man sich nicht nur ganz bewusst auf die Zukunft einlassen, sondern auch viel mitnehmen für die Zeit danach, An­regungen, Träume, wichtige Erkenntnisse. Und Geschäftsideen, hoppela, haha, nein, natürlich nicht. Das soll ja kein Egotrip sein, sondern ganz was Besonderes, nachhaltig und die Phantasie anregend, man würde mit allen Sinnen erfahren, was die Menschen in der Zukunft bewegt und vielleicht ihnen abends beim Bier ein, zwei kleine Vorträge halten, was sie alles falsch machen, denn so wirklich verständig wirken diese nachfolgenden Genera­tionen, bei denen man zu Besuch ist, eigentlich nicht. Aber gut, das ist ja bei denen, die man in der eigenen Zeit mitbekommt, auch nicht anders.

Mit anderen Worten: Zeitreisende werden ein großes Elend sein, das mitzuerleben man den armen Menschen in den kommenden Jahrhunderten eigentlich nicht wünscht.

Andererseits ist nicht ausgeschlossen, dass die meisten derjenigen, die sich die Zukunft angucken wollen würden, gar nicht so wirklich an den großen dereinstigen Ereignissen interessiert sein werden, sondern eine solche Reise genauso mies gelaunt und nickelig und manierenlos antreten würden, wie sie sich für gewöhnlich präsentieren. Und dann das, was sie in den Jahren erfahren haben, in denen sie schon tot sind, nach der Rückkehr dazu nutzen werden, ihren Mitmenschen das Leben zur Hölle zu machen. Es gibt ja viele Möglichkeiten dazu. Zur eigenen Beerdigung zu reisen, zum Beispiel, und zu gucken, wer alles nicht kommt oder nicht hinreichend gramgebeugt wirkt. Gut, dass so ein Testament schnell geändert ist.

Oder nachschauen, ob die blöde Dingens oder der blöde Dangens die im Internet gerade vorgestern so groß herausposaunten Vorhaben wirklich umgesetzt hat. Haha. Oder zu Gretas Hochzeit mit einem tja, hihihi. Und dann bei Twitter dauernd hämische Andeutungen machen und anschließend so tun, als sei nichts gewesen. Oder die SPD in der Zukunft besuchen, also im Jahr 2022, und anschließlich vielleicht in Halbjahresschritten gucken, ob sie noch existiert. Und dann bei Facebook – hmmm, vielleicht sind Zeitreisen ja schon längst möglich, aber diejenigen, die schon unterwegs waren in andere Zeiten, mussten ein non-disclosure agreement unterschreiben?

Na, eher nicht. Warum auch, Reisen in der eigenen Zeit ist ja nun wirklich schon anstrengend genug, all das Kofferpacken und bloß nix vergessen und wie wohl das Wetter sein wird, na lieber doch noch die dicke Jacke mitnehmen. Gut, der letzte Punkt spräche immerhin nicht gegen Reisen in die Vergangenheit. Die Zukunft soll jedenfalls bleiben, wo sie ist: weit weg.

 

Last Sunday for Future

Die Zukunft ist Drohung und dunkles Versprechen. Für sie braucht es keine Zeitmaschine, dazu haben wir schließlich Ideologie, wo wir gehen und stehen. Deshalb lieber: Ab in die Vergangenheit!

Von Ivo Bozic

Natürlich treibt uns vor allem die Neugierde an, und natürlich sind wir vor allem neugierig auf die Zukunft. Wir sitzen nicht nervös am Bundesliga-Live­ticker, um zu erfahren, wer 1958 Meister wurde. Wir schauen nicht um 18 Uhr gebannt auf die Prognose, um zu sehen, wie die Wahl 1969 ausging. Obwohl: Zum Mauerfalljubiläum im Herbst gab es tatsächlich bei Bild Online einen Liveticker mit den Ereignissen aus dem Jahr 1989. Wer weiß, vielleicht ist das ein zukunftsfähiges Genre: »Die besten Wetterberichte und Lottoziehungen aus den siebziger und achtziger Jahren, jetzt bei Radio Plusquamperfekt.« Aber machen wir uns nichts vor: Das, was war, weiß irgendjemand schon, oder hat irgendjemand mal gewusst, und wenn es nur ein Dinosaurier war. Das, was kommt, weiß kein Mensch – und schon gar keine Echse. Das macht es spannend. Das ist aber auch schon das einzig Positive, was man über die Zukunft sagen kann.

 

Ansonsten ist sie eine Taube auf dem Dach, ein Versprechen, eine Hoffnung, eine Drohung, ein Glaube, eine Modellrechnung; kurzum: Hokuspokus. Sie ist die Sphäre der Ideologie und der Propaganda. Selbstredend könnte man hier einwenden, die Vergangenheit sei doch auch nicht besser: Die Sphäre der Verklärung und des Gewissens, der Moral, der Zuschreibung – letztlich auch alles Ideologie. Doch die Verklärung von Vergangenheit, selbst die Verfälschung von Geschichte, könnte uns völlig egal sein, wenn wir ihr nicht Bedeutung für die Zukunft beimäßen. Das Unangenehme an der Zukunft ist, dass in ihrem Namen alles erlaubt ist und dass wirklich jeder Depp im Land »Zukunft wagen« und »zukunftsfähig werden« möchte. Klar, wenn man sonst nichts wagt und sonst keine Fähigkeiten hat. Das Problem: Die Zukunft liegt unsichtbar vor uns, sonst wäre sie ja keine, man kann sie nicht greifen. Unsere Vergangenheit ist zwar auch vergangen, aber nicht nur. Sie ist als Erfahrung, als Erinnerung, als Prägung in unserem gegenwärtigen Ich eingebrannt.

»Auf die Zukunft setzen« ist für die meisten nur ein Synonym für’s Kinderkriegen.

Seien wir ehrlich: »Auf die Zukunft setzen« ist für die meisten nur ein Synonym für’s Kinderkriegen. Sie setzen Kinder in die Welt und meinen, sie hätten etwas zur Zukunft beigetragen, dabei geht es jetzt erst los, denn für diese Zukunft, das heißt ihre Kinder, müsse man nun bitteschön die Gesellschaft oder die Erde hübsch machen. »Es gibt zu wenig Kitaplätze!« Ja, aber es sind nicht weniger geworden die letzten Jahre … – Na, fällt der Groschen? Zukunft ist verantwortungslos. Dinge anfangen, die dann irgendjemand für einen fertig machen muss, weil man selbst bald in Rente geht und etwas später die Radieschen von unten anschaut. Aber der zuvor gepflanzte Baum will bitteschön weiter gegossen werden und die Kanzlerin, die man gewählt hat, regiert immer noch. Überall in der Stadt gibt es Spielplätze für Kinder, für Hunde fast keine. Warum? Weil Kinder »die Zukunft sind«. Hunde nicht. Die sind nur Gegenwart. Darum haben Punker Hunde und Spießer Kinder. »Es gibt nicht nur die ewig Gestrigen, es gibt auch die ewig Morgigen«, sagte Erich Kästner, wie immer treffend, in der Vergangenheit. In der Zukunft hat noch niemand etwas Treffendes gesagt.

Wer also nichts als Zukunft hat, hat nichts, und dem bleibt nur Hoffnung. Hat man nicht mal die, wird es tragisch. Fragt man die Kinder auf der »Fridays for Future«-Demonstration, in welches Jahr in der Zukunft sie mit einer Zeitmaschine würden reisen wollen, rufen sie erschrocken: Oh je, lieber gar nicht, da ist bestimmt alles verseucht und man braucht eine Gasmaske!

Das Einzige, was man wirklich hat, ist, was man hatte. Das kann einem keiner nehmen. Alte Texte etwa. Ich kenne einen ehemaligen Kollegen, jetzt bei einer Tageszeitung beschäftigt, der bei Facebook mindestens einmal die Woche zu einem aktuellen Thema eine 15 Jahre alte Glosse von sich aus der Jungle World postet, und ja, verdammt, die sind immer noch gut. Warum sollte der Mann Pläne schmieden, wozu? Die Gegenwart ist immer noch die echteste Zeit, sie weidet sich an der Vergangenheit. Oder, damit es auch Ihr Gesprächspartner am Tresen versteht: Welches Geld ist Ihnen am liebsten: Das, was sie vielleicht eines Tages haben werden? Das, welches Sie gehabt haben? Oder das, welches Sie haben? Na also.

Ich reise mit meiner Zeitmaschine daher in die Gegenwart. Oder in die Vergangenheit, um zu sehen, wie es dazu kam. Vielleicht ins Mittelalter? Obwohl: Dorthin kann man womöglich in beide Richtungen reisen.