Sexismus im Profisport

»Dünner, dünner, dünner«

Hungern bis die Knochen brechen: Die US-Läuferin Mary Cain soll im Camp des Sportherstellers Nike schwer misshandelt worden sein. Was passiert, wenn Männer über die Karrieren junger Frauen bestimmen.

Mary Cain sieht auf einigen Bildern aus Zeiten des Nike Oregon Project (NOP) nicht gesund aus. Dürr und erschöpft wirkt die US-amerikanische Mittel- und Langstreckenläuferin; etwa 52 Kilo soll sie damals gewogen haben – bei einer Körpergröße von 1,70 Meter. Ihr Trainer Alberto Salazar aber fand sie meistens zu fett. Was sich bei der von Nike finanzierten Elitetrainingsgruppe für Läuferinnen und Läufer abspielte, ist noch nicht vollends aufgeklärt. Viele persönliche Berichte zeichnen ein Bild von Einschüchterung, Sexismus und öffentlicher Verhöhnung. Trainer konnten sich demnach fast alles erlauben  – vor allem Salazar, der Cheftrainer des 2001 gegründeten NOP. Von einem »Kult« sprachen ehemalige Mitglieder in der US-amerikanischen Zeitschrift Sports Illustrated. 

Das NOP war ein Projekt von Männern, die die Karrieren junger Frauen steuern und bestimmen wollten.

Mary Cain hat Anfang dieses Monats erstmals öffentlich über ihre Erfahrungen beim NOP gesprochen. Ihre Enthüllungen treffen auch deshalb einen Nerv, weil sie zu den Ursachen des Machtgefälles und des Leistungsdrucks führen, die den Spitzensport insbesondere der Frauen heutzutage prägen. Einige von Cains Berichten wurden bisher in der öffentlichen Debatte nicht einmal ansatzweise aufgegriffen. Immerhin wird überhaupt über die Missstände gesprochen. Auch das ist in diesem Ausmaß neu. 

2013 galt Cain als große Laufhoffnung der USA. Mit 17 Jahren nahm sie in Moskau als jüngste US-amerikanische Athletin der Geschichte an der Leichtathletik-WM teil. Im selben Jahr trat sie dem NOP bei. »Ein Traum wurde wahr«, sagte Cain der New York Times. Salazar soll den Atheletinnen und Athleten Dopingmittel verabreicht haben; Anfang Oktober wurde er für vier Jahre gesperrt. Ebenfalls im Oktober beendete Nike das Projekt. Von Salazar distanzierte sich der Sportartikelhersteller allerdings nicht. Das Unternehmen soll bis zu zehn Millionen US-Dollar Anwaltskosten für ihn und den ehemaligen, ebenfalls gesperrten NOP-Arzt Jeffery Brown gezahlt haben.

Falls Nike gehofft haben sollte, mit der Beendigung des Projekts aus den Schlagzeilen zu kommen, hat der Sportartikelherrsteller geirrt. Cain berichtete, dass die an dem Projekt beteiligten Trainer für sie vor allem eines vorgesehen hatten: »Dünner und dünner und dünner« sollte sie werden. Vor anderen Teammitgliedern gewogen zu werden, sei ebenso üblich gewesen wie herabwürdigende Kommentare von den Trainern zu bekommen. Cain entwickelte durch den Gewichtsverlust das RED-S-Syndrom (»Relative Energy Deficiency in Sport«). Dies führte dazu, dass Cain drei Jahre lang ihre Periode nicht mehr bekam und insgesamt fünf Knochenbrüche erlitt. »Ich hatte solche Angst, ich fühlte mich so allein und so gefangen. Ich entwickelte Suizidgedanken, ich begann damit, mich zu ritzen«, so Cain. Nach ihren Angaben erzählte sie den Trainern, dass sie sich selbst verletzte. Salazar sei nicht darauf eingegangen.