Nachruf auf Sophinette Becker

Denken, Sprechen, Handeln

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Hinzu tritt deutlich in ihren Texten wie in ihren Auftritten die Lust an der Debatte, die gerne auch polemisch werden durfte, doch immer am Argument orientiert bleiben musste. Erarbeitete man einen neuen Vortrag oder bereitete einen Artikel vor, konnte man sich sicher sein, würde man sich an sie damit wenden, würde man eine durchdachte kritische Würdigung des eigenen Schaffens erhalten. Sie forderte das Denken heraus, rief zum Diskurs auf, indem sie ihrem Gegenüber zumutete, die eigene Position in Bewegung versetzen zu lassen. So erklärt sich auch ihr Beharren auf der Notwendigkeit des Durcharbeitens von Konflikten, ohne das sie sich eine dauerhaft wirksame Veränderung nicht vorstellen konnte. Hierzu zog sie gerne das Beispiel eines Kollegen heran, der ihr anvertraute, zwar nichts gegen Schwule zu haben, sich jedoch insgeheim auch weiterhin an deren psychische Unreife zu glauben. Dies nahm Becker zum Anlass, mit ihm über längere Zeit intensiv ins Gespräch zu gehen, seiner eigenen Schwulenfeindlichkeit auf den Grund zu gehen, um diese statt ein Lippenbekenntnis abzugeben, durchzuarbeiten und dann auch tatsächlich davon distanzieren zu können.

Das Denken machte ihr, so drückte sie es einmal pragmatisch aus, schlichtweg Spaß und ihre Zeit wollte sie mit Menschen verbringen, die ihr darin ähnelten. Mit diesem Ansinnen lud sie regelmäßig zu sich ein und verbrachte angeregt unterhaltsame Abende. Nicht nur zum Nachdenken, auch zum gemeinsamen Genießen – immer beim aufbrausenden und tiefsinnigen Gespräch – regte sie an. Als leidenschaftliche Raucherin servierte sie (nicht nur) bei besonderen Anlässen Creme-Törtchen in den schönsten Farben, die man mit ihr am Tisch sitzend auf einer Etagere garniert, zu ihrem einzigartig trockenen und klugen Humor genießen konnte.

Mit Sophinette Becker ist am 24. Oktober eine tiefsinnige Denkerin, liebevolle Mentorin und engagierte Therapeutin verstorben. Sie hinterlässt ihre Lebensgefährtin und mit ihr bis zuletzt im Diskurs stehende Kolleg_innen, Freund_innen und Zuhörer_innen. Diesen Diskurs heißt es in ihrem Gedenken weiterzuführen, von Herzen und leidenschaftlich zu debattieren, das kritische Denken zu koppeln an die Möglichkeit eines echten Durcharbeitens.