Debatte um chinesische Industriespionage

China am Apparat

Am Aufbau des 5G-Netzes in Deutschland sollen chinesische Unter­nehmen wie Huawei voraussichtlich doch beteiligt werden. Kritiker befürchten Industriespionage. Einige Länder, allen voran die USA, schließen chinesische Unternehmen bereits aus Bereichen ihres Technologiesektors aus.

Es klingt wie ein langweiliger Verwaltungsakt: Vor einigen Wochen ver­öffentlichten die Bundesnetzagentur und das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) einen Entwurf für die Sicherheitsanforderungen beim Aufbau des 5G-Netzes in Deutschland. Doch in diesem Fall sorgte das Dokument für Schlagzeilen und ­vehemente Proteste aus fast allen Parteien. Es enthielt nämlich einen über­raschenden Vorschlag: Chinesische Konzerne, allen voran Huawei, sollen am Aufbau des 5G-Netzes in Deutschland beteiligt werden.

Huawei müsse man als Instrument des chinesischen Staats verstehen, der den Westen ausspionieren und überwachen könne, so die US-Regierung.

Die Entscheidung ging wohl direkt vom Kanzleramt aus, das sich damit über Bedenken des Außenministeriums und der Geheimdienste hinweggesetzt hat. Nils Schmid, ein Außenpolitiker der SPD, sprach von einem »schweren Fehler«, auch der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, Norbert Röttgen (CDU), protestierte. Gemeinsam mit fünf anderen CDU-­Abgeordneten kritisierte Röttgen die Entscheidung in einem Gastbeitrag für das Handelsblatt scharf und forderte eine Abstimmung im Bundestag. Es gehe schließlich darum, »wem wir unser digitales Nervensystem überlassen wollen und ob wir unsere technologische Souveränität langfristig verteidigen können«. In Reaktion auf die Kritik kündigten Bundesaußenminister ­Heiko Maas (SPD) und Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) eine ­Verschärfung der Sicherheitsbestimmungen an. Die rein technischen ­Bedingungen würden um eine »politische Bewertung« ergänzt, berichtet das Handelsblatt. Das Kanzleramt scheint damit jedoch nicht einverstanden zu sein, hieß es Ende Oktober; der Ausgang ist offen.

Parteidisziplin ist ein hohes Gut in Deutschland. Die öffentlich ausge­tragenen Konflikte machen insofern deutlich, wie bedeutend diese Angelegenheit ist. 5G ist eine enorm wichtige Infrastruktur, nicht nur für selbstfahrende Autos, sondern auch für die immer stärker automatisierte Industrie. Kritiker befürchten, dass der chinesische Staat durch Technologie von Huawei Zugang zu deutschen Netzen erhalten und dies zu Sabotage- oder Spionagezwecken nutzen könnte.

 

Besonders die USA drängen ihre Verbündeten dazu, auf chinesische 5G-Technik zu verzichten. Im September war der Vorsitzende der US-Telekommunikationsbehörde, Ajit Pai, wegen des Themas zu Gast in Berlin. Japan, Australien, Neuseeland und Taiwan haben bereits entsprechende Gesetze erlassen. Auch die EU-Kommission hatte Anfang des Jahres erwogen, ein europäisches Cybersicherheitsgesetz so zu ändern, dass Huawei in der EU vollständig aus 5G-Netzwerken ferngehalten würde. Daraus wurde jedoch nichts, und inzwischen scheinen sowohl Frankreich als auch Deutschland Huawei beim Netzaufbau zulassen zu wollen. Ausschlaggebend für die Entscheidung dürften die wirtschaftlichen Interessen europäischer Großkonzerne sein. Für Siemens, Bosch, VW und Daimler ist China ein enorm wichtiger Markt mit riesigem Wachstumspoten­tial. Für VW ist China mit einem vor­aussichtlichen Umsatz von rund 65 Milliarden Euro im Jahr 2019 sogar der wichtigste Absatzmarkt überhaupt. Daher will man es sich mit dem Land nicht verscherzen.

In Deutschland formiert sich dagegen der Widerstand derjenigen, die für eine harte Politik gegenüber China sind. Diese Kreise haben auch wirtschaft­spolitische Argumente vorzubringen: Wolle man die technologische Sou­veränität und Eigenständigkeit Europas schützen, wie es der deutsche Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) immer betont, müsse man sich für die europäischen Anbieter der 5G-Technologie entscheiden, nämlich die skandinavischen Firmen Ericsson und Nokia.

Die deutschen Telekommunikationsfirmen, etwa die Deutsche Telekom, sprechen sich hingegen dafür aus, Technologie von Huawei zu nutzen. Sie haben bei der Versteigerung der 5G-Lizenzen in Deutschland etwa 6,5 Milliarden Euro ausgegeben und wollen den Ausbau des Netzes künftig so günstig wie möglich gestalten. Huawei ist tatsächlich billiger als die europäische Konkurrenz. Eine vom Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom) in Auftrag gegebene Studie besagt, dass ein Verbot chinesischer Technik den Ausbau des europäischen 5G-Netzes um 55 Milliarden Euro verteuern und um etwa 18 Monate verzögern würde. Allerdings legte die Consulting-Firma Strand kürzlich eine Studie vor, der zufolge der Netzausbau nicht verzögert und kaum verteuert würde, sollte Huawei ausgeschlossen werden.

 

Welche Studie recht hat, dürfte kaum eine Rolle spielen. Für die Gegner von Huawei handelt es sich sowieso nicht um eine rein wirtschaftliche Frage, für sie steht Wichtigeres auf dem Spiel. »Im Konfliktfall mit dem Westen könnte Huawei nicht nur theoretisch zu Sabotagehandlungen an deutschen Netzen gezwungen werden«, warnten Thorsten Benner vom Think Tank Global Public Policy Institute und Janka Oertel vom Think Tank German Marshall Fund in der FAZ. Auch Bruno Kahl, der Leiter des Auslandsgeheimdiensts BND, sagte in einer Anhörung des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestags, dass Huawei von Infrastruktur ferngehalten werden sollte, die die »Kernsicherheitsinteressen« Deutschlands betreffe. Diese seien kein tauglicher Gegenstand für einen Konzern, dem man nicht voll vertrauen könne.

Der bisherige Entwurf des BSI sieht vor, dass die Hersteller der 5G-Techno­logie eine Vertrauenswürdigkeitserklärung abgeben müssen; sollte es zu Spionage oder dergleichen kommen, könnte die Bundesregierung dann rechtlich gegen Huawei vorgehen. Außerdem soll das BSI alle zentralen Komponenten auf Sicherheitsrisiken überprüfen. Dass eine solche Überprüfung zuverlässig möglich ist, muss ­bezweifelt werden. Noch 2012 hatte die Bundesregierung genau das verneint.

Auch die US-Regierung betont, dass Huawei ein Sicherheitsrisiko darstelle. Man müsse den Konzern als Instrument des chinesischen Staats verstehen, der den Westen ausspionieren und überwachen könne. Huawei bestreitet das: Man sei ein unabhängiges, privat geführtes Unternehmen. Aber Huawei ist wie jedes bedeutende chinesische Unternehmen eng an die Kommunistische Partei Chinas gebunden. Und schließlich können auch im Westen nominell unabhängige Unternehmen leicht zum Werkzeug ihrer Staaten werden. Das hatte der NSA-Skandal gezeigt, bei dem enthüllt wurde, dass Firmen wie Google und Facebook dem US-amerikanischen Staat bei der globalen Überwachung halfen. Dass die USA sogar das Mobiltelefon der Bundeskanzlerin Angela Merkel heimlich ­abgehört hatte, kommentierte diese damals mit dem Satz: »Ausspähen unter Freunden – das geht gar nicht.« Die Überwachung durch die USA war für Deutschland aber relativ unproble­matisch, weil es sich um einen strategischen Partner handelte.

 

Bei China sieht das anders aus. Deutsche Konzernvorstände machen sich große Sorgen, dass chinesische Konzerne technologisch aufschließen und zu Konkurrenten der deutschen ­Industrie werden. Nachdem chinesische Investoren 2016 den deutschen Robotikhersteller Kuka aufgekauft hatten, wurden deshalb die entsprechenden Auflagen verschärft. Man fürchtet ­chinesische Industriespionage. Bereits 2014 erging ein Urteil gegen Mitarbeiter Huaweis, die in einem Labor der Deutschen Telekom spioniert haben sollen. In den USA läuft derzeit ein weiteres Verfahren gegen Huawei, in erster Linie wegen Verstößen gegen die Iran-Sanktionen, doch auch wegen Spionage.

Auch in der europäischen Peripherie gewinnt China an Einfluss, indem es in krisengeschüttelten Ländern in Ost- und Südeuropa und auf dem West­balkan wichtige Infrastruktur baut oder aufkauft. Der wichtigste Hafen Griechenlands in Piräus wurde zum Beispiel im Zuge der Schuldenkrise an einen chinesischen Konzern verkauft. Sogar Italien hatte sich Anfang des Jahres über die Bedenken anderer EU-Staaten hinweggesetzt und sich als erstes G7-Land der chinesischen »Belt and Road«-Initiative angeschlossen. Eine ein­heitliche europäische Politik gegenüber China wird so immer schwieriger.

Die USA sind hingegen bereit, enorme Kosten in Kauf zu nehmen, um wirtschaftlichen Druck auf China auszuüben. Gegen Huawei geht die US-­Regierung ganz direkt vor. Im Mai setzte sie den chinesischen Konzern auf eine schwarze Liste: Ab dem 19. November soll Huawei keinerlei Technologie mehr von US-Unternehmen erhalten. Dabei geht es um hochspezialisierte Mikrochips, die in China nicht hergestellt werden können, sowie um das Betriebssystem Android von Google, auf das alle Hua­wei-Smartphones angewiesen sind. Ob dieses Verbot wirklich in Kraft tritt, ist wohl derzeit Gegenstand von Verhandlungen zwischen China und den USA.

Im Umgang mit China stehen wirtschaftliche Interessen manchmal im Konflikt mit langfristigen strategischen Prioritäten – darum geht es letztlich auch im deutschen Streit um das 5G- Netz. Für die deutsche Regierung stellt sich die Frage, wie man sich im neuen Konflikt zwischen den USA und China positioniert. China ist kein potentieller Verbündeter, sondern ein Konkurrent, den man sich lediglich nicht zum Feind machen will. Die Diskussion über 5G ist da eine strategische Herausforderung – ähnlich wie jene über die Pipeline »Nord Stream 2« für das deutsche Verhältnis zu Russland.