Rockmusikerin PJ Harvey in Afghanistan

Befreit unter der Burka

Eine neue Dokumentation zeigt die britische Musikerin PJ Harvey beim Elendstourismus in Afghanistan. Dort gab sie sich kultursensibel. Später erzählte sie, wie befreiend es sich anfühle, ein Kopftuch zu tragen.

Kaum jemand hat in den vergangenen 30 Jahren so berührend, so innig und so konsequent über die Liebe gesungen wie PJ Harvey. Um ihren Geliebten zu erreichen, war ihr kein Weg zu weit, sei es durch eine Flut, die Wüste oder gleich die Hölle (»To Bring You My Love«); sie wunderte sich über die Komplexität des Lebens, wenn sie doch einfach nur Sex haben wollte (»This Is Love«) oder erkannte, dass Liebeskummer dazu führt, dass alles auseinanderbricht (»It’s You«). Sie sang über Hoffnung, Trauer und Wut, kurz: Sie setzte sich als Subjekt und brachte das zu Papier, was sie dachte, erlebte, träumte, um es dann nicht als ihre exclusiv ureigene, sondern als eine universelle Erfahrung in Musik zu übersetzen.

In den Lehmhütten und tristen Landschaften, die Harvey besucht, scheinen ihr ehrlichere, bessere Menschen zu leben, deren Elend sie besingt, anstatt es zu kritisieren.

Doch mit der Liebe ist jetzt Schluss. Seit ein paar Jahren widmet sich die Musikerin nur noch den scheinbar wichtigen, großen Themen, das bedeutendste davon: Krieg. Diese Entwicklung scheint nicht einfach so eingetreten zu sein, sie passt zu gut zu einer gesellschaftlichen Stimmung, in der alles Individuelle abgewertet und alles Kollektive hochgejubelt wird, in der Kritik und Ästhetik durch sozialen Kommentar und Dekonstruktion abgelöst wurden, was sich eben besonders deutlich in Literatur, Kunst, Film und Musik zeigt.

2016 erschien Harveys neuntes Studioalbum, »The Hope Six Demolition Project«, auf dem man tatsächlich vergeblich nach einem Lied sucht, in dem es um die unergründliche Sonderbarkeit geht, dass zwei Menschen einander lieben. Stattdessen: Armut, Krieg, das »einfache Leben« der »einfachen Leute«. Es wurde Harveys erstes Album, dass Rang eins in den britischen Charts erklomm.

Harvey bereiste in den Jahren 2011 bis 2014 gemeinsam mit ihrem Freund, dem Fotografen und Filmemacher Seamus Murphy, den Kosovo, Afghanistan und die USA. Aus den Notizen, die sie machte, entstand dann das Album von 2016. Und aus den Filmaufnahmen, die Murphy machte, entstand der Film »A Dog Called Money«, der nicht nur von den Reisen, sondern auch von der Entstehung und Aufnahme des Albums erzählt. Der Regisseur Murphy hatte schon die Musikvideos für Harveys Album »Let England Shake« von 2011 gedreht.

»The Hope Six Demolition Project« wurde in einem eigens dafür gebauten Raum im Keller des Sommerset House in London aufgenommen. Der Raum war durch Spiegelglas an mehreren Seiten einsehbar, das Einspielen verkam zur Installation mit dem Titel »Recording in Progress«. Besucher konnten Harvey und ihrer Band beim Arbeiten zuschauen, das Spiegelglas wiederum sorgte dafür, dass die sich im Raum befindenden Musiker nichts von ihrem Publikum mitbekamen. Eine klaustrophobische Situation, könnte man meinen, doch in Zeiten entgrenzter Kunst nur ein weiterer guter Anlass, um seine Arbeit zu »performen« und aus ihr ein Spektakel zu machen.

 

Der Film springt unvermittelt zwischen dem Londoner Studio, Kabul, dem Kosovo und Washington D.C. hin und her. Elendstourismus ist das beste Wort für das, was Harvey und Murphy hier tun. Und zum Elendstourismus gehört das schlechte Gewissen der Touristen, dem man allerdings unverhohlen frönt. Harvey läuft beispielsweise durch ein verlassenes, heruntergekommenes Haus im Kosovo und schaut sich die verrotteten Habseligkeiten der ehemaligen Bewohner an, die wohl wegen des Kriegs fliehen mussten, während sie aus dem Off darüber lamentiert, mit ihren teuren Sandalen auf den Sachen dieser »Leute vom Land« herumzutreten. Gebrochene Herzen haben sich bei Harvey mittlerweile in gebrochene Beine verwandelt, was einem nämlich passieren kann, wenn man in Kabul in einen der vielen Gräben am Fußgängerweg fällt. Und in Washington besucht sie den Südosten, in dem viele Schwarze leben und die Kriminalität hoch ist. Man wundert sich eh über die Auswahl gerade dieser drei Ziele, als wären Kids in Washington D.C. so arm dran wie Ausgebombte im Kosovo. Während ein schwarzes Mädchen über ihre Ghetto-Erfahrung rappt, steht Harvey daneben und lächelt wohlwollend wie eine stolze Sozialarbeiterin. Das erste Lied auf dem Album, »The Community of Hope«, schrieb sie über diesen Teil der Stadt Washington: Es gebe »nur ein Restaurant«, er sei »drug town«, die Schule sehe wie ein »shithole« aus. Das Lied endet mit der acht Mal vorgetragenen Zeile: »They’re gonna put a Walmart here«. Örtliche Politiker und Geistliche kritisierten daraufhin die Musikerin, Verzerrungen und Unwahrheiten über den Bezirk Ward 7 zu verbreiten.

Für jeden Kritiker der sogenannten cultural appropiation muss das Betrachten dieses Films dem Besuch einer Geisterbahn gleichkommen. In einer Szene sieht man beispielsweise, wie Männer in Afghanistan, vermutlich in einer Moschee, zusammen singen. »Hey-Ha-Ha-Ho« tönt es aus ihren Mündern, so lange bis ein Kind schon die Augen verdreht, eine Art Trance einsetzt. Ein harter Schnitt führt den Zuschauer wieder zurück ins britische Studio, in dem Harvey mit ihren Musikern den gleichen Gesang aufnimmt. Aber Harvey hat keine bösen Absichten, wie sich die Leute, die sich über »kulturelle Aneignung« echauffieren, das meist vorstellen. Mit dem Habitus der Kultursensiblen ist Harvey durch die Länder gereist, was zu ziemlich unappetitlichen Aussagen führt, die sie kürzlich im Radio der BBC anlässlich des Filmstarts äußerte. »Einen Schleier zu tragen, war für mich als Frau sehr interessant«, sagte sie da, und führte weiter aus, dass es sich »wie eine Maske anfühlte, und dadurch befreit es einen, denn niemand kann dich sehen, und man schaut nur aus einem kleinen Bereich seines Gesichts heraus, und das befreite mich, um mich ganz im Moment zu fühlen.« Dass Frauen die Burka in Afghanistan nicht tragen, um sich »ganz im Moment« zu fühlen, sondern dazu gezwungen werden – auf die Idee kommt sie nicht, und es wundert sie anscheinend auch nicht, dass sie als westliche Frau zu allen Räumen Zutritt hat, während andere Frauen – außer ebenfalls schon Kopftuch tragende Mädchen – im Film kein einziges Mal mit ihr in Kontakt treten. Man möchte es einen romantischen Orientalismus nennen, dem Harvey verfallen ist: In den Lehmhütten und tristen Landschaften, die sie besucht, scheinen ihr ehrlichere, bessere Menschen zu leben, deren Elend sie besingt, anstatt es zu kritisieren. Im Interview mit der BBC führte sie sogar fast stolz aus, dass sie häufig selbst für eine Afghanin gehalten worden sei, da sie sehr dunkle Augen hat. Apropos Augen: Harvey gab auch zu Protokoll, in Afghanistan sei sie »nur ein weibliches Augenpaar« gewesen.

Dreimal darf man raten, womit der Film endet. Richtig: mit der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten. Nach Washington ist man laut Murphy gefahren, weil es »das Zentrum westlicher Macht« sei, eine »Stadt, in der wesentliche Entscheidungen über das Schicksal von Ländern auf der ganzen Welt gefällt werden«. Dass das porträtierte Album im April 2016 erschien, also ganze sieben Monate vor der Wahl Trumps, passt zwar nicht so ganz, gibt dem Film aber die gewünschte antiamerikanisch angehauchte Dramaturgie (wie auch dem Album, dessen letzter Titel »Dollar, Dollar« heißt). Und es passt gut zur wokeness, die Harvey mittlerweile zeigt, für die sie allerdings ihre lyrischen Fähigkeiten und ihre Einfühlsamkeit eingebüßt und durch bloßes Registrieren und einen moralisch gefärbten Tonfall ersetzt hat.

A Dog Called Money. IR/UK 2019. Regie: Seamus Murphy. Darsteller: PJ Harvey.