Das Kondom wird zum wichtigsten Verhütungsmittel

Gib Gummi

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In früheren Referenzstatistiken hatte die BzgA nach der Hauptverantwortung gefragt und so die geschlechtliche Arbeitsteilung in der Verhütungs­praxis aufgezeigt. So hielten sich 2007 63 Prozent der Frauen, aber nur 21 Prozent der Männer für hauptverantwortlich. 2011 wurden diese Zahlen bedau­erlicherweise nicht mehr erfasst, auch in der aktuellen Studie waren sie ­offenbar nicht von Interesse. Spielt Geschlecht also keine Rolle mehr? Oder ist die weibliche Zuständigkeit so selbstverständlich, dass die Frage nach der Hauptverantwortung wenig Neues bringt? Könnte der Bedeutungsgewinn des Kondoms darauf hindeuten, dass Männer in wachsendem Maße ihrer Verantwortung gerecht werden? Dies alles geht aus der aktuellen Studie leider nicht hervor. Denn wer es drüberzieht, hat nicht unbedingt nach seiner Anwendung verlangt. Er hat nicht notwendigerweise die Kommunikation über Verhütung angeregt und schon gar nicht muss er das Kondom auch bezahlt haben. Aus anderen Studien weiß man zwar, dass immer weniger Menschen, auch Männer, davon ausgehen, dass Verhütung Frauensache sei, und Verhütung daher immer mehr zu einer Aushandlungssache in Paarbeziehungen wird. An der Asymmetrie bei der Zahl der zur Verfügung stehenden Methoden – Frauen stehen verschiedene effektive, reversible Methoden zur Verfügung, Männern allein das Kondom – lässt sich dennoch erkennen, wer letztlich hauptverantwortlich bleibt. Paare handeln zwar aus, aber angesichts der Tatsache, dass viele Menschen den Kondomgebrauch als eine Einschränkung ihrer Lust erfahren, bleibt Verhütung meist der Frau überlassen.


In der aktuellen Studie der BzgA zeigt sich, wie ausgeprägt die weibliche Ambivalenz bei hormoneller Verhütung heute ist: Einerseits verhüten noch immer die meisten befragten Frauen hormonell, greifen also entweder zur Pille oder Spirale, andererseits glauben nur wenige (20 Prozent), dass dies langfristig unbedenklich sei. Hormonellen Mitteln werden mehrheitlich »negative Auswirkungen auf Körper und Seele« attestiert. Nur ein Drittel der Befragten glaubt, dass auch sehr junge Mädchen risikofrei mit Ovulationshemmern verhüten können.


In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatten Feministinnen für die Entwicklung hormoneller Mittel zur Schwangerschaftsverhütung gestritten und die Forschung sowohl politisch als auch finanziell unterstützt. Als chronisches Verhütungsmittel erlaubte die Anfang der sechziger Jahre auf den Markt kommende Pille eine von der Praxis beim Sexualakt unabhängige, ­diskrete Lösung. Der Partner musste, im Gegensatz zu den vormals statistisch dominierenden Methoden Kondom und Coitus interruptus, nicht ­länger in die Entscheidung einbezogen werden. Verhütung wurde erst mit dem kommerziellen Erfolg der Pille zu einer vornehmlich weiblichen Ange­legenheit. Somit wurden die ebenfalls bereits in den sechziger Jahren bekannt werdenden gesundheitlichen Nebenwirkungen zu einer Last, die ­vornehmlich Frauen zu tragen hatten. Die radikalfeministische Behauptung, Frauen würden als Versuchskaninchen Risiken ausgesetzt, die sich Männer nie im Leben zumuten würden, steht in schroffem Gegensatz zu der modernistischen Euphorie, mit der Feministinnen vormals für die Pille stritten. Barbara Sichermann fasste den Blick der deutschen Frauenbewegung der siebziger Jahre auf die Pille so zusammen: »Einerseits wünscht frau die ­Lösung von den Fesseln der Naturbestimmung, andererseits ist alles, was mit dem weiblichen Körper und dessen Natürlichkeit zu tun hat, ein schützenswertes Gut.« Obwohl die feministische Kritik an der Pille fast so alt ist wie das Mittel selbst, avancierte die Pille nicht nur in Deutschland zum meistverwendeten Verhütungsmittel. Daran änderte sich in den vergangenen Jahrzehnten wenig.