Aufstieg und Fall von Diego Maradona

Abriss einer Ikone

Seite 2

Das Interesse am tiefen Fall hat immer auch etwas unangenehm Voyeuristisches. Brauchte es wirklich noch einen Film, der aus der Tragödie Maradonas Kapital schlägt? Eigentlich nicht. Gut ist er trotzdem. Kapadia ist einer, der historische Aufnahmen wunderbar und manipulativ zu arrangieren weiß. »Diego Maradona« spielt fast nur in der Zeit von 1984 bis 1991, als der Fußballer bei der SSC Neapel unter Vertrag stand. Man sieht, wie die Fans nach Siegen ungehindert aufs Feld strömen, die Stars umarmen, mitfeiern, ein bisschen irre aus heutiger Sicht. Sie sind ständig dran, und anfangs wirkt das romantisch, aus einer guten alten Zeit. Maradona, der junge Held, ist anfassbar und genießt es.

Nach und nach wird die Bildsprache intensiver, die Nähe rücksichtslos aufdringlich. Die Masse erdrückt den Spieler – im übertragenen Sinn und im wörtlichen – mit ihrer Verehrung, die Presse ist dauernd mit Kamera in der Kabine. Als Maradona dem Club alles gegeben hat an Erfolgen, bittet er ihn erschöpft um die Freigabe.

Aber der Präsident lässt ihn nicht gehen. Das ist der Wendepunkt. Gott ist nur eine Ware. Die Nutznießer verlangen immer mehr Gegenwert für ihre Liebe, die dann doch nicht so bedingungslos ist und in Hass umschlägt, weil Diego nicht demütig genug zurückliebt. Die Stadt Neapel wird zum Menschen, das ist stark gemacht. Mit Impulsivität, Minderwertigkeitskomplex und ungeschriebenen sozialen Gesetzen zwischen Mafia und Nachbarschaft ist diese Stadt Maradona in einer leidenschaftlichen, zerstörerischen Liebe verbunden. Der Spieler muss dabei verlieren.

Es gibt reichlich weniger bekanntes Filmmaterial zu sehen, mitunter sehr hübsches. In einer Szene tanzen die neapolitanischen Spieler nach der gewonnenen Meisterschaft zusammen in der Kabine und singen unterwürfig den Maradona-Song, und Maradona tanzt mit und singt über sich selbst; man fragt sich, wie bekloppt das eigentlich ist. Der Film hat eine verlockende, wenn auch etwas simple Erklärung für die Entwicklung des Argentiniers: Er attestiert ihm eine Art gespaltene Persönlichkeit. Der persönliche Trainer berichtet früh, die Personen Diego und Maradona seien völlig gegensätzlich. Diego – ein schüchterner, verantwortungsbewusster Junge mit Selbstzweifeln, der raus will aus dem Ghetto und alles für seine Familie tut; Maradona – ein exzentrischer Kerl, beinahe die Parodie eines abgehobenen Superstars, der sich keine Schwäche erlaubt und kein Eingeständnis seiner Fehler, ein Schutzmechanismus. Im Laufe der Zeit, berichtet die Ex-Frau, sei Diego allmählich verschwunden: »Er wurde nur noch Maradona.«