Proteste in Bolivien gegen eine weitere Amtszeit von Evo Morales

Morales machts noch einmal

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Condori will Ingenieurin werden, Catacora interessiert sich für Naturwissenschaften. Biologie, Chemie, Physik – etwas in dieser Richtung wolle er studieren und rechnet sich gute Chancen aus, irgendwann einmal im Lithiumsektor des Landes zu arbeiten. »Das ist der große Traum, in Bolivien Batterien für die Welt zu produzieren, und da wäre ich gern dabei«, sagt der hochgewachsene junge Mann. Doch dafür bräuchte es im Bildungssystem mehr Förderung. »An unserer Schule fehlt ein Laboratorium, wir machen mehr Theorie als Praxis und die naturwissenschaftlichen Fächer genießen nicht gerade Priorität«, kritisiert Catacora. Er kommt aus einer einfachen Familie, seine Mutter trägt die tradi­tionelle Kleidung der Aymara, einen pollera genannten Faltenrock, ein Umhängetuch und einen bombín genannten Melonenhut. Früher wurden traditionell gekleidete Indigene oft spöttisch belächelt und herablassend behandelt, heutzutage ist diese Kleidung aber selbst in Ministerien und im Parlament ein üblicher Anblick. »Wir bekennen uns zu unserer Geschichte, drücken uns aus, haben eine Stimme und erheben sie auch«, sagt Catacora selbstbewusst.

»Mesa lügt«. Graffiti gegen den Oppositionskandidaten.

Bild:
Knut Henkel

Diese Entwicklung hat etwas mit Morales’ Einzug in den Präsidentenpalast 2006 zu tun. Dieser hat Bolivien grundlegend verändert, die traditionellen Hierarchien wurden aufgebrochen. Diesen Erfolg schreiben auch viele in der jungen Generation Morales zu. »Seine Bilanz kann sich durchaus sehen lassen, aber in den vergangenen Jahren ist wenig passiert, um uns zu fördern. Wir brauchen mehr und bessere Per­spektiven«, meint die Schülerin Mamani. Sie wolle Ärztin werden, interessiere sich aber auch für Politik. Sie lese ­gerade ein Buch über die Geschichte des Landes aus indigener Perspektive und fordert auch den MAS auf, sich weiter für die Jugend zu öffnen. »Früher gab es für uns Indigene keinen Zutritt zur Politik, alles war hierarchisch organisiert, aber mittlerweile ist der Führungszirkel um Evo auch ziemlich abgeschlossen«, kritisiert sie. Dazu gehöre auch, dass Arbeitsplätze immer öfter nach Parteibuch vergeben werden, so die drei Jugendlichen. Das kennen sie nicht nur aus dem Schulalltag, wo gute Lehrer schon einmal gehen müssten. »Das wirft uns zurück. Wer qualifiziert ist, sollte eine Chance in Bolivien haben und nicht gehen müssen«, ärgert sich Condori. Zu viel Stagnation wirft sie der Regierung in Morales’ dritter Amtszeit vor, die hinsichtlich der verfassungsmäßigen Beschränkung der Zahl der Amtszeiten als zweite gezählt wird, weil seine erste Wahl unter der alten Verfassung stattgefunden hat, die bis 2009 galt.

Konkurrenz für Morales

Ähnlich äußern auch Anhänger und ehemalige Mitarbeiter der Regierung Morales, etwa Pablo Solón. Der Sozio­loge leitet die Stiftung Solón, die nach seinem Vater, einem kritischen Künstler, benannt ist und sich für nachhaltige Entwicklung engagiert. Pablo Solón, einst UN-Botschafter und persönlich mit Morales befreundet, zählt mittlerweile zu dessen Kritikern. Zu konventionell und zu wenig nachhaltig sei seine Wirtschaftspolitik, sagt Solón. Er kritisiert beispielsweise die Megaprojekte zur Nutzung der Wasserkraft in der Amazonasregion, die Bolivien zu einem bedeutenden Energielieferanten der Region machen sollen. »Die geplanten Staudämme El Bala und El Chepete, die über Kredite finanziert werden sollen, rechnen sich nicht, weil es keine Verträge mit potentiellen Abnehmern gibt und die derzeitigen Energiepreise keine Gewinne ermöglichen«, sagt ­Solón. Er findet, dass das Land einen Wechsel, neue Ideen, neue Konzepte brauche. Einige Tage vor den Wahlen ist er davon überzeugt, dass Morales abgewählt wird. »Dass Potential des MAS liegt bei mindestens 35 Prozent der Wählerstimmen und die Anhänger werden auf allen Kanälen darauf ein­geschworen, der Partei die Stange zu halten – die Wahlpropaganda ist gigantisch.«