Regierungskritiker landen im Kast

Der Zweifrontenkrieg

Erdogans Offensive im syrischen Kurdistan geht weiter. Wer in der Türkei nicht applaudiert, landet schnell im Gefängnis.

Die türkische Armee rückt gemeinsam mit der von der Türkei unterstützten Freien Syrischen Armee (FSA) in Gebiete vor, die bislang von den kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) kontrolliert wurden, dem Hauptverbündeten der internationalen Allianz gegen den IS-Terror in der Region. Begleitet wird die Militäroffensive von einem Propagandaspektakel der regierungsnahen türkischen Medien, einer Twitter-Kampagne sowie schwerer Behinderungen der Berichterstattung unabhängiger Medien aus der Region.

Die Offensive wird von heftiger Einschüchterung nicht regierungs­treuer Medien begleitet.

Mindestens hundert Menschen sollen in der Türkei bereits wegen ihrer kritischen Kommentare in sozialen Medien festgenommen worden sein, meldet die zivilgesellschaftliche Organisation Netblocks. 

Zugleich beschweren sich kriegseuphorische Twitter-User über die Sperre einiger ihrer Tweets. »Huysuzteyze«, die »unartige Tante«, fragt etwa unter dem Hashtag »Andımız« (»unser Eid«), ob das Twitter-Team tatsächlich gegen die Diktatur sei, wenn es doch selbst gegen unbescholtene Nutzer vorgehe, die sich für Freiheit und Vielfalt einsetzten. Die Tante stammt nicht aus dem Lager der Islamisch-Konservativen, sondern ist Anhängerin der »Vatan Partisi«, der Vaterlandspartei, die sich noch eifriger als die Republikanische Volkspartei (CHP), die größte Oppositionspartei im Land, für den »Kampf gegen den Terror« in Nordsyrien einsetzt. Die »Tante« fabuliert in ihren Tweets über imperialistische Mächte wie die USA, die aus Syrien vertrieben werden müssten, und feuert mit anderen »Friedensboten« im Netz den Vormarsch der türkischen Armee gegen die syrischen Kurden an.

Wieder einmal beteiligt sich auch die türkische Opposition an der Kriegstreiberei des Präsidenten, den sie sonst gern als Diktator beschimpft. Der CHP-Abgeordnete Sezgin Tanrıkulu, der einzige Abgeordnete der Partei, der die Militäroffensive als Feldzug gegen die Kurden kritisiert, muss sich mittlerweile wegen Volksverhetzung vor Gericht verantworten und twittert weiter, dass er sich auch nicht von den Angriffen aus der eigenen Partei einschüchtern lasse. Präsident Recep Tayyip Erdoğan lenkt mit dem Angriff von der Krise in der eigenen Partei und im ganzen Land ab. Zugleich versucht er, über syrische Bündnispartner einen Anspruch auf die Einrichtung einer Sicherheitszone durchzusetzen, von der sich die türkische Regierung Aufträge für die heimische Bauindustrie erhofft, um der Wirtschaftskrise im Land zu begegnen.
Derweil berichten die regierungs­nahen türkischen Medien, die Armee gehe weiterhin erfolgreich gegen Menschenrechtsverletzungen der PKK und der YPG vor. Teile der FSA werden von der türkischen Armee und den regierungsnahen Medien mittlerweile als »Syrische Nationalarmee« bezeichnet, eine nicht unwesentliche Änderung, denn die türkische Regierung rechtfertigt ihren blutigen Feldzug mit der Wahrung syrischer Interessen.