Neurechte Denk­fabriken des Terrors

Mörderischer Mythos

Die Verschwörungstheorie vom »Großen Austausch« dient verschiedenen Strömungen der extremen Rechten als ideologisches Bindeglied. Antifaschisten müssen daraus Konsequenzen ziehen.

Auf dem Transparent stand »Stoppt den Austausch«. Etwa 200 extreme Rechte trugen es am 6. Juni 2015 vor sich her, als sie durch den migrantisch geprägten Wiener Gemeindebezirk Favoriten marschierten. Die Demonstration war der Höhepunkt einer Kampagne der neofaschistischen Identitären Bewegung in Österreich. Sie zielte darauf, den Verschwörungsmythos vom »Großen Austausch« zu populariseren, der auf den französischen rechtsextremen Philosophen Renaud Camus zurückgeht (»Le grand remplacement«). Der inzwischen in verschiedenen Varianten global wirkmächtige Mythos besagt, es gebe den geheimen Plan, weiße Mehrheitsbevölkerungen gegen muslimische oder nichtweiße Migrantinnen und Migranten auszutauschen. Dahinter stünden »die Globalisten«, »die kosmopolitischen Eliten«, »die Zionisten« oder auch Institutionen wie die Vereinten Nationen, die mittels Feminismus und Antirasssimus die Wehrhaftigkeit des Abendlands gegen die anstürmenden Horden aus dem globalen Süden zu zersetzen suchten. 

Die Wegbereiter des rechtsextremen Terrors findet man in Deutschland in Schnellroda und in Halle.

Die Vorstellung, bestimmte Juden oder die Juden ganz generell seien als personifizierte Moderne für Aufklärung, Liberalismus und Kommunismus verantwortlich und lenkten im Ver­borgenen das Weltgeschick, ist nicht neu. Der Autauschmythos ist die auf ­einen vergleichsweise neuen, eingängigen und unverbrauchten Begriff ­gebrachte alte Verschwörungstheorie vom »internationalen Juden« in neuem Gewand. Der historisch weniger vorbelastete Begriff »Großer Austausch« ersetzt eindeutig rechtsextreme Begriffe wie »Umvolkung«, »Volkstod« und »Überfremdung« allerdings durch einen mindestens ebenso gefährlichen.

Anders als der Aufmarsch der Identitären in Wien, der nach wenigen ­hundert Metern von Antifaschistinnen und Antifaschisten blockiert wurde, hat es der Verschwörungsmythos des »Großen Austauschs« weit gebracht. Als Agitationsschwerpunkt der sogenannten Neuen Rechten dient er mittlerweile als Bindeglied zwischen dem breit gefächerten und heterogenen ­Lager des weißen Ethnonationalismus. Populistische Politiker wie Viktor ­Orbán, Norbert Hofer, Donald Trump oder Alexander Gauland haben in ­ihren Äußerungen den Mythos aufgegriffen oder Anspielungen auf ihn ­gemacht.

Seit der Austauschmythos sich zu verbreiten begann, diente er aber auch immer wieder der Legitimation tödlicher Angriffe. Am Abend des 11. August 2017 skandierten Teilnehmende der Demonstration »Unite the Right« in Charlottesville im US-Bundesstaat Virginia: »You will not replace us!« (»Ihr werdet uns nicht austauschen!«) Einige machten deutlich, wer mit »you« ­gemeint war und riefen: »Jews will not replace us!« (»Die Juden werden uns nicht austauschen!«) Am nächsten Tag fuhr ein Neonazi mit einem Auto in eine antifaschistische Demonstration und tötet dabei die 32jährige Heather Heyer. Es folgten 2018 der Angriff auf die Tree-of-Life-Synagoge in Pittsburgh mit elf Toten, im März 2019 der Angriff auf zwei Moscheen im neuseeländischen Christchurch mit 51 Toten und 50 teils schwer Verletzten und im August eine Schießerei in El Paso mit 22 Toten, deren Täter alle als Motiv für ihre Tat Bekenntnisse hinterließen, die sich mal mehr, mal weniger ausführlich auf die Vorstellung eines bevorstehenden »Bevölkerungsaustausch« bezogen; das umfangreiche Tatbekenntnis des Attentäters von Christchurch trägt den Titel »The Great Replacement«.