Regionale Ungleichheit in Deutschland

Abgehängte und Ängstliche

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Die AfD erreichte bei den vergangenen Bundestags- und Europawahlen in dem traditionell konservativen Landkreis doppelt so hohe Stimmenanteile wie im benachbarten Stuttgart, obwohl die sozialen und wirtschaftlichen Voraussetzung vergleichbar sind. Die Vermutung liegt nahe, dass sich hier nicht die »Abgehängten« und von der Teilhabe Ausgeschlossenen artikulierten. Vielmehr existiert eine oft diffuse Sorge, den erreichten Wohlstand verlieren zu können und kulturelle Gewohnheiten aufgeben zu müssen. »Ängste sind stark subjektiv und müssen nicht mit der objektiven, messbaren Faktenlage übereinstimmen«, heißt es dazu etwas ­lapidar in der Studie.

Festhalten lässt sich allerdings, dass sich die Lebensbedingungen künftig noch stärker unterscheiden werden. Die erfolgreichen Regionen und Kommunen ziehen Menschen und Unternehmen an, während die abgehängten Gegenden weiter an Attraktivität verlieren dürften. »Die Politik wird den demographischen Wandel und den Bevölkerungsschwund in peripheren Regionen kaum aufhalten oder gar umkehren können. Die Erfahrung im Umgang mit dem Strukturwandel zeigt, dass sich dieser auch mit viel Geld nicht stoppen lässt«, kommentieren die Autoren nüchtern.

An der Ungleichheit der Lebensverhältnisse wird deshalb wohl auch das eigens dafür geschaffene Heimat­ressort im Innenministerium nichts ändern können. Da sich die materiellen Bedingungen wenig verändern lassen, wird der Begriff der Heimat seit geraumer Zeit aufgewertet. Die Identifikation mit den örtlichen Gebräuchen und Sitten, den Sprachgewohnheiten und ­kulinarischen Besonderheiten, und sei es auch nur die Vielzahl der lokalen Biersorten, helfen schließlich dabei, über manche Defizite hinwegzusehen. Für die Konjunktur des Heimatbegriffs bietet die Studie zumindest indirekt eine Erklärung. Heimat liefert für jene, die nicht in der Lage oder willens sind, ihre abgehängte Region zu verlassen, eine Ausrede. Und ebenso für die ­Bewohner der Wohlstandsinseln, die um ihre materiellen Privilegien ­fürchten, aber vorgeben, ihre kulturelle Eigenheiten zu verteidigen.