Ist die Sitcom »Friends« schwulenfeindlich?

Homophil statt homophob

»Friends« wurde vor 25 Jahren erstmals ausgestrahlt. Die Sitcom ist derzeit die beliebteste Serie auf Netflix, doch Kritiker nennen sie schwulen- und transfeindlich. Dabei war sie queerer, als manch ein Millennial heute glaubt.

»Jedes Mal, wenn ich eine Episode schaue, sehe ich etwas, das ich gerne geändert hätte«, erzählte die Fernsehproduzentin Martha Kaufmann Ende April der Zeitung USA Today. Die Episoden, von denen Kaufmann hier spricht, gehören zu einer Serie, die sie selbst erfunden und produziert hat: »Friends«. Die Sitcom, deren erste Folge im September 1994 ausgestrahlt wurde, erscheint ihrer Schöpferin und erst recht unzähligen Kommentatoren im Jahr 2019 »pro­blematisch«. Seit die 236 Folgen seit 2015 bei Netflix gezeigt werden, häufen sich die Artikel und Blogeinträge, die »Friends« unter anderem den Vorwurf der Homo- und Transphobie machen.

Die Beschwerden gegen »Friends« entspringen keiner Analyse, sondern dem Trend zum Beleidigtsein. 

Die gesamte Serie beginnt allerdings mit der Demütigung von Männern: Die Frau von Ross Geller ist lesbisch und hat ihn verlassen, seine alte Jugendliebe Rachel wiederum hat ihren Mann vor dem Traualtar stehen gelassen. Rachel, die nun ohne Ehemann dasitzt, zieht bei Ross’ Schwester Monica in deren Wohnung in Manhattan ein, ihre Vormieterin und Freundin Phoebe und die Nachbarn Joey und Chandler machen die Truppe komplett. Zehn Staffeln liefen beim US-Sender NBC.

Die Vorwürfe der Homo- und Trans­phobie hängen sich meist an Chandler Bing auf, dem bei Frauen höchst erfolglosen Klassenclown der Sechsertruppe. Sein Vater ist schwul und hat seine Mutter, als Chandler ein Kind war, verlassen, um unter dem Künstlernamen Helena Handbasket seine Dragshow in Las Vegas aufzuführen, worunter Chandler fortwährend leidet – nicht jedoch an der devianten Sexualität seines Vaters, sondern an der Tatsache, dass er die Familie verlassen hat. Chandlers Mutter, eine durch ihre Obszönität dem Sohn peinliche Autorin von ­Erotikliteratur, kommt ebenfalls nicht gut weg. Nicht nur die Figur seines Vater nährt den Vorwurf der Homophobie, auch die Figur selbst, denn Chandler wird im Laufe der Serie fortwährend für schwul gehalten oder verhält sich feminin, was ihm, wenn er darauf aufmerksam gemacht wird, unangenehm ist.

Ein über 600.000mal angeklicktes Video auf Youtube breitet in 50 Minuten einen Haufen von Szenen aus »Friends« aus, in denen Homo­sexualität eine Rolle spielt. »Homophobic Friends«, so der Titel, will den entsprechenden Beweis führen, doch die kurzen, schnell aneinander gereihten Clips ergeben im Resultat ein krudes Bild. Nicht nur besteht das Video im wahrsten Sinne des Wortes aus Ausschnitten, die nicht mehr in die Geschichte der jeweiligen Episode eingebettet sind, auch suggeriert der Name, das man hier die Schmähung von Homosexuellen zu sehen bekommt. De facto wäre ein Titel wie »Jokes about homosexuality in Friends« viel passender.

 

Und diese Witze sehen beispielsweise folgendermaßen aus: Phoebe trifft einen schwulen Freund, in den sie heimlich verliebt ist. Die beiden haben geheiratet, damit er, ein Kanadier, eine Green Card bekommen konnte. Er gesteht der schockierten Phoebe, dass er die Scheidung wolle, denn er habe eine Frau kennengelernt. Phoebes schwuler Schwarm entpuppt sich als Hetero, und genau so, wie normalerweise Schwule ihre ­Sexualität beim Coming-out gestehen, redet er jetzt darüber, in eine Frau verliebt zu sein: »Ich habe mich betrunken, bin in eine Hetero-Bar ­gegangen und am nächsten Morgen neben einer Frau aufgewacht. Ich habe mir gesagt, es sei der Alkohol gewesen, und jeder experimentiert mal. Aber ich habe keine Macht darüber.« Was soll an dieser klugen und witzigen Umkehrung homophob sein?

Weibliche Superhelden: Monica als Catwoman und Phoebe als Superwoman liefern sich auf einer Party ein Wortgefecht.

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action press

Auch eine andere Szene wird gezeigt, in der Chandler von einer Arbeitskollegin für schwul gehalten wird. Als er das seinen Freunden ­erzählt und sie fragt, woran das liegen könnte, ob es vielleicht an seinen Haaren liege, antwortet Phoebe spröde: »Ja, du hast homosexuelles Haar.« Der Witz ist am Ende nicht der, dass Chandler für schwul gehalten wird, sondern dass seine Kollegin ihn mit einem Arbeitskollegen verkuppeln wollte, der Chandler nicht gefällt, was ihn beleidigt zurücklässt, weil die Kollegin ihm keinen hübscheren Mann ausgesucht hat.

Nur in einer Sitcom vorher, nämlich in »Roseanne«, hatte es eine Ehe nicht zwischen Frau und Mann, sondern in dem Fall zwischen zwei Männern gegeben.

Dass Homosexualität in »Friends« nicht als etwas dargestellt wird, das hassenswert oder angsteinflößend ist, dafür lassen sich unzählige Beispiele finden. Eins davon ist die Hochzeit von Ross' ehemaliger Frau Carol mit ihrer Lebensgefährtin Susan, mit der sie auch den Sohn von Ross aufzieht (Patchwork-Familie anno 1994). Zwar war die Ehe für homosexuelle Paare damals noch gar nicht möglich, trotzdem wurde 1996 in der entsprechenden Episode eine große Feier für das Paar ausgerichtet. Einen Kuss durfte es zwischen den Neu­vermählten allerdings nicht geben, denn dafür, so nahm man an, sei das Fernsehpublikum noch nicht bereit gewesen.

Nur in einer Sitcom vorher, nämlich in »Roseanne«, hatte es eine Ehe nicht zwischen Frau und Mann, sondern in dem Fall zwischen zwei Männern gegeben. Getraut wurden Carol und Susan in der Folge ausgerechnet von Candace Gingrich, der LGBT-Aktivistin und Schwester des konservativen Republikaners Newt Gingrich. Von Susan-Darstellerin Jane Sibbett stammt auch ein Statement zu den Vorwürfen, das sie erst in diesem Jahr gegenüber dem NBC-Magazin »Today« machte: »Wir haben uns nie über das Schwulsein lustig gemacht. Wir haben uns über Leute lustig gemacht, die es nicht verstanden haben, denen die Idee unangenehm war, dass wir zusammen waren.«

 

Eine Serie wie die 1998 ebenfalls auf NBC gestartete Sitcom »Will & ­Grace« mit ihrer schwulen Hauptfigur Will ist ohne die Vorarbeit von »Friends« überhaupt nicht denkbar, denn erst das Thematisieren von Homosexua­lität in »Friends« machte die Etablierung einer tragenden homosexuellen Serienfigur erst möglich. Tatsächlich ist »Friends« viel schwuler als »Will & Grace«, ist Hauptfigur Will doch oft genug darauf bedacht, dass man ihm seine Homosexualität gar nicht erst anmerkt.

Zur Kritik in großen Ausmaß führte das nicht, was wohl daran liegt, dass Wills Identität im Gegensatz zu den Hauptfiguren bei »Friends« eine explizit homo­sexuelle ist und Identitäten heute eben sakrosankt sind. Eine dumme oder witzige Bemerkung über Homosexualität, die, wie Jane Sibbett sagt, dazu dient, Homophobie zu ent­larven, kann gar nicht mehr als solche erkannt werden, wenn selbst den fiktiven Gestalten einer Serie Sprech­orte zugewiesen werden.

Unter der harten Schale verbirgt sich ein weicher Kern: Joey, Ross und Chandler schauen Football.

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action press

Die Vorwürfe gegen »Friends« stammen allesamt aus den letzten Jahren, und schon an den Überschriften kann man ablesen, dass es sich bei den Kommentaren nicht um eine historische Analyse handelt, die den Witz in seinem Kontext untersucht, sondern dass die Beschwerden gegen »Friends« dem Trend zum Beleidigtsein entspringen. »Warum Millennials nicht über ›Friends‹ lachen können« titelte der Stern, das Magazin Vice legte mit dem Titel »Warum ist ›Friends‹ aus heutiger Sicht so problematisch?« nach und der Focus überschrieb seine Meldung mit »Millennials finden: Die Serie ›Friends‹ ist nicht zeitgemäß«.

Die durch die Serie ­gestiftete Verwirrung ist zu viel für sich als sensibel verstehende Mille­nnials.

Nur diese drei deutschsprachigen Überschriften (in den US-Medien lassen sich Dutzende mehr finden) zeigen an, dass »Friends« nicht schon immer »problematisch« war, sondern durch eine veränderte diskursive Ausgangslage geworden ist. Dies lässt sich sehr gut an der Figur von Chandlers Vater zeigen: Zu Beginn der Serie wird er als schwul eingeführt, später ist er Drag Queen, und als er dann endlich auftritt (unnachahmlich gespielt von Kathleen Turner), scheint er als Frau zu leben. Das, wofür die Queer The­ory Anfang der Neunziger plädierte, nämlich die »Instabilisierung« von Geschlecht und damit einhergehenden Rollen und Normen, ist in dieser Figur realisiert, denn die Serie vermeidet es tunlichst, ganz genau zu sagen, was Charles Bing ist: schwul, Drag Queen oder doch transsexuell? Diese Uneindeutigkeit wird für viele queere Erben zum Problem, und Martha Kaufmann erklärte reumütig dazu: »Ich glaube, es gab damals nicht das Wissen über Transmenschen, also weiß ich nicht, ob wir die richtigen Begriffe benutzt haben. Ich weiß nicht, ob ich damals die richtigen Begriffe gekannt hätte.«

Aber wie soll Kaufmann als Serienchefin die »richtigen« Wörter kennen und benutzen, wenn es sie damals überhaupt nicht in der Form gab? Abgesehen von den Begrifflichkeiten, aus dem Spiel mit Sexualität und Geschlecht ist mittlerweile eine detektivische Geschlechtsrecherche geworden: Auf dem Internetportal Reddit gibt es allen Ernstes eine Diskussion darüber, »was« Chandlers Vater denn nun »wirklich« sei. Ein Diskutant schreibt, er beziehungsweise sie sei definitiv Transgender, weil sie Brustimplantate zu haben scheint. Diese angeblichen Brustimplantate sind keine, sondern gehören zu ­Kathleen Turner, und so antwortet ein anderer User folgerichtig: »Das liegt daran, dass Kathleen Turner Brüste hat!« Diese durch die Serie ­gestiftete Verwirrung ist zu viel für sich als sensibel verstehende Mille­nnials.

 

Dass die Besetzung durch Turner, deren burschikose Art und tiefe Stimme sie auszeichnen, ebenfalls ein Witz über Geschlechtsstereotype ist, scheint vergessen. Turner selbst gab zwar in einem Interview mit dem Magazin Gay Times an, »Friends« sei nicht so gut gealtert, stellt aber ebenfalls fest, dass ihre Figur »wegweisend« gewesen sei. Sie erzählte weiter: »Ich habe die Rolle angenommen, weil es zu der Zeit nicht viele Drags oder Transmenschen im Fernsehen zu sehen gab.« Aber auch hier wieder die Krux mit der Repräsentation, denn die ist nach heutigen Maßstäben nur »richtig«, wenn ein Transmensch einen Transmenschen spielt. Erst kürzlich sagte die Schauspielerin Scarlett Johansson eine Rolle nach Protesten ab; sie sollte in einem Film einen Transgender spielen.

Alternative Familie, hier nicht nur im übertragenen Sinne: Rachel bekommt ein Kind mit Ross, obwohl die beiden kein Paar mehr sind. Später werden Monica und Chandler ihren Kinderwunsch mit Hilfe einer Leihmutter erfüllen.

Bild:
ddp / interTOPICS / Capital Pictures

Das »Reden über« ist zum großen Problem geworden, der Unterschied zwischen Realität und Fik­tion eingeebnet, und alles wird für bare Münze genommen. Dabei muss man sich gar nicht groß verrenken, um »Friends« als eine durch und durch queere Serie zu interpretieren, nämlich als eine, die Normverletzung zum Prinzip der Geschichte erhebt.

»Friends« ist eine Serie des Übergangs von den achtziger in die neunziger Jahre, und dieser Übergang wird aufklärerisch für das Publikum dargeboten.

Diese Interpretation könnte folgendermaßen aussehen: Sechs Freunde leben in Manhattan, allesamt sind sie leicht anachronistische Figuren – Ross ist ein Geek, Monica eine Neurotikerin, Chandler ist ein Pausenclown, Rachel eine Tussi, Joey ist ein Casanova und Phoebe ein Hippie. Diese sechs Figuren sitzen in ihrer heterosexuellen Welt der neunziger Jahre und werden ständig mit Neuem bombardiert: Mit Homo-und Transsexualität, mit Familienmodellen und Verhaltensweisen, mit kulturellen Codes und Symbolen, und dazu müssen sie sich verhalten. Viele der Nebenfiguren in »Friends« sind auf ihre Weise deviant: Phoebes Zwillingsschwester Ursula (beide Rollen werden gespielt von der groß­artigen Lisa Kudrow) dreht Pornofilme, die Eltern von Ross und Monica reden andauernd über ihre sexuellen Eskapaden und Joeys Schwestern ­bilden eine messerschwingende Girlgang.

»Friends« ist eine Serie des Übergangs von den achtziger in die neunziger Jahre, und dieser Übergang wird hier aufklärerisch für das Publikum dargeboten (für viele ­Zuschauer wird es wohl das erste Mal gewesen sein, dass sie überhaupt mit Homosexualität konfrontiert wurden). Und er bleibt nicht ohne Folgen: Alle sechs Freunde haben sich im Laufe der Serie mindestens ein Mal geküsst (ja, das gilt auch für die Männer). Joey und Chandler leben in den ersten Staffeln in ihrer WG wie ein Ehepaar zusammen, plus Kinder, nämlich dem Huhn und der Ente, die als tierische Sidekicks immer wieder durchs Bild laufen oder watscheln. Das Internet ist voll von Fan-Fiction über die beiden Freunde, in der sie eine romantische und sexuelle ­Beziehung miteinander eingehen. Monica hat eine durch und durch souveräne Beziehung mit einem deutlich älteren Mann und Phoebe trägt die Kinder für ihren Stiefbruder aus.

Die Serie entwickelt sich von einer Fabel über das Geschlechterverhältnis, in der scheinbare emotionale Unterschiede zwischen Männern und Frauen erörtert werden, zu einer alternativen Familienerzählung. Und nicht ­zuletzt ist es eine Serie über Männlichkeit, und zwar über eine kriselnde Männlichkeit, die sensible Männer wie Joey, Ross und Chandler hervorbringt, die zwar fortwährend ver­suchen, knallharte Typen zu sein, aber damit immer wieder charmant und witzig scheitern. Chandler sagt bereits in den ersten Minuten der allerersten Folge gedankenverloren den Satz »Manchmal wünsche ich mir, ich wäre eine Lesbe«, und Ross erklärt seine gescheiterte Beziehung mit Carol folgendermaßen: »Meine Ehe ist vorbei, weil Carol eine Lesbe ist … und ich nicht.«

 

Schon 1997, also drei Jahre nach dem Start von »Friends« und Jahre, bevor die Empörung begann, machte sich die Fernsehshow »Saturday Night Life« in einem Sketch über die Sitcom lustig. Niemand Geringeres als Matthew Perry, der Darsteller von Chandler, spielte mit, allerdings nicht diese Figur, sondern Joey. In der kurzen Sequenz tritt gleich nach ihm Chandler auf, der allerdings mit dem Charakter der Originalfigur nichts gemein hat, sondern in völlig übertrieben affektierter Weise einen klischeehaften Schwulen spielt, bis Perry erst in der Rolle als Joey, dann aus der Erzählung aussteigend den Schauspieler für seine Darbietung kritisiert, er selbst würde Chandler nicht wie einen »affigen Schwulen« spielen. Als ihm der Darsteller von Chandler entgegenhält, Perrys Darbietung würde aber genau dazu inspirieren und sogar an das Spiel des berühmten und heimlich homosexuellen Schauspielers Edward Everett Horton erinnern, gefällt das Perry so sehr, dass man ihn nach einem Schnitt in einer nächsten Szene sieht, in der er selbst tatsächlich affektiert spielt. Statt Reue zu zeigen, wie es heutzutage der Fall wäre, wird die Situation, wie schon in »Friends«, ­sogar noch zugespitzt. Der scheinbar homophobe Witz – die affektierte Darstellung eines Schwulen –, führt überhaupt erst dazu, das, was daran homophob ist, zu desavouieren. Oder, um es mit den Worten des Bloggers James Baldock auszudrücken, der in einem Beitrag die Serie verteidigte: »Warum sollte man kein Stereotyp darstellen, wenn man es dekonstruieren will?«

Erst kürzlich hatte Netflix 100 Millionen Dollar gezahlt, um »Friends« streamen zu dürfen. Doch 2020 wird die Sitcom schon wieder den Dienst wechseln und von da an bei dem neuen Streamingdienst HBO Max zu sehen sein. Net­flix gibt zwar keine offiziellen Zahlen bekannt, inoffiziellen Erhebungen zufolge aber ist sie auch 25 Jahre nach ihrer Erstausstrahlung die beliebteste Serie bei dem Streamingdienst. Das überrascht, ist sie doch nicht nur alt, sondern auch oft gescholten worden. Bestimmt spielt Nostalgie dabei eine Rolle, sicher ist es auch so, dass grade die Abwesenheit brutaler ökonomischer Unsicherheit im Plot für ein junges Pub­likum extrem attraktiv ist, das vor dem Bildschirm die eigenen Sorgen vergisst. Auch ist die Übersättigung an bombastischen Fantasy-Serien wie »Game of Thrones« bestimmt ein Faktor, der zur Beliebtheit von »Friends« beiträgt. Doch tatsächlich darf man auch mutmaßen, dass das, was heutzutage an »Friends« als politisch unkorrekt gilt, gerade die Attraktivität der Serie ausmacht: nicht nur die Tatsache, dass sich dort Menschen übereinander lustig machen, was ihrer engen Freundschaft aber gar nichts anhaben kann, sondern auch, dass die Figuren in der Lage sind, über sich selbst zu lachen – eine Qualität, die Millennials anscheinend vollkommen abhanden gekommen ist.

Dass eine solche Empörung überhaupt erst entstehen kann, weil das Streaming es ermöglicht, viele ­Folgen hintereinander zu schauen, wodurch Plots stärker auffallen, ­gehört ebenfalls zu der Geschichte dazu. Doch ganz allgemein erzählt »Friends« heute, wie schon bemerkt, sehr viel über die Gegenwart und ihre dauerbeleidigten Subjekte. Die angebliche Homophobie ist nur der gewichtigste einer Vielzahl von Vorwürfen. Fatshaming (Monica war als Jugendliche dick) wurde der Serie ebenso vorgehalten wie Rassismus aufgrund der wenigen schwarzen Figuren. Selbst der Vorwurf, die Serie sei antiintellektuell, da sich oft über Ross' Arbeit als Paläontologe lustig gemacht wird, lässt sich finden. Ja, es gibt alberne, blöde, nicht funktionierende Witze bei »Friends«, und die Fixierung auf Homosexualität kann ganz schön enervierend sein. Nur ist die Kritik daran wohlfeil, denn so oft die Sprechort-Karte derzeit ausgespielt wird, wird sie selten da gebraucht, wo es den Kritikern nicht in den Kram passt: Denn zusammen mit Martha Kaufmann ­erfand und schrieb der schwule David Crane die Serie. Und es scheint dann kein einfacher Zufall zu sein, dass das Appartement von Monica, der zentrale Ort der Serie, mitten im Greenwich Village liegt, nur eine Straße von der Christopher Street entfernt, wo sich 1969 aus Protesten ­heraus die Lesben- und Schwulenbewegung bildete.