In Israel steht die Archäologie unter Ideologieverdacht

Tollgeworden vor der Mauer

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Die überlieferten Wunder der späteren Zeit sind weit weniger spektakulär als die des Exodus. Die Überlieferung wird realitätsnäher, und nun finden sich auch archäologische Belege – bislang allerdings keine für einen Ersten Tempel in Jerusalem. Viele Archäologen vermuten, dass das Königreich Salomons und Davids keine Regionalmacht war, die Monumentalbauten errichtete, sondern ein Kleinkönigreich, dessen Bedeutung die spätere Überlieferung erheblich übertrieb. Allerdings berichtet der Tanach, dass die Errichtung des Tempels ohne die Hilfe der verhassten Phönizier nicht möglich gewesen wäre – ein ungewöhnliches Geständnis, wenn es sich um ein erfundenes Bauwerk handelte.

Abgesehen von einer in Tell Dan ­gefundenen hebräischen Inschrift »Beit David« (Haus des David), deren Zuordnung umstritten ist, gibt es ­keinen archäologischen Beleg für die Existenz dieses jüdischen Königs. ­Einem historischen Verständnis der Überlieferung näher als jene, die buchstabengetreu interpretieren wollen, kommt wohl Aren Maeir, dessen Team jüngst unter den bereits erforschten Schichten des antiken Gath über­raschend eine ältere Stadt fand, gebaut mit weitaus größeren Steinblöcken, als sie später verwendet wurden. Dies könnte, so Maeir, die Legende von ­Goliath erklären, den David vor den Toren der Stadt besiegt haben soll. Man habe damals wohl angenommen, ­nur Riesen könnten eine solche Stadt errichten.

Eine für David weniger ruhmreiche Episode soll sich ebenfalls vor dem Tor der Stadt abgespielt haben. Dort wollte er auf der Flucht vor König Saul Zuflucht suchen, doch er war bereits als Krieger berühmt und entschloss sich deshalb zu einem Täuschungsmanöver. »Er kritzelte auf die Torflügel und ließ seinen Speichel auf seinen Bart nieder­laufen. Achisch (der König der Stadt) sprach zu seinen Dienern: Ihr seht ja, tollgeworden ist der Mann, warum lasst ihr ihn zu mir kommen? Mangelt’s mir an Tollen, dass ihr diesen herkommen lasst, damit er sich an mir austolle?« (1. Samuel 21)

Das Graffito Davids am Torflügel dürfte man vergeblich suchen, doch ist bemerkenswert, dass der Tanach keine geradlinige Heldengeschichte Davids erzählt. Die jüdische Überlieferung diente nicht zuletzt der Propaganda und der Selbstvergewisserung, ist aber ­bemerkenswert differenziert und nachdenklich; man scheute sich nicht, ­Widersprüchliches auch einmal stehenzulassen. Dahinter sollte die heutige Geschichtspolitik nicht zurückfallen.