»Gloria Bell« Sebastián Lelio

Sie tanzt und tanzt und tanzt

Seite 4 – Verunsichert und gebrochen

»Gloria Bell« präsentiert die Liebe als scheiternde, sie steht im Verlauf des Films in der Mitte, bildet also nicht den Höhepunkt. Die Gründe, warum sie scheitert, sind allenfalls in der Innenperspektive der Charaktere »dramatisch«, eigentlich sind auch sie gewöhnlich und haben nicht zuletzt mit der äußerst zeitgemäßen Darstellung des Geschlechterverhältnisses zu tun.

Gebrochen, unselbständig und verunsichert sind vor allem die Männer. Arnold kann sich dem Zugriff seiner beiden Töchter nicht entziehen, für die er sich nach der Scheidung über alle Maßen verantwortlich fühlt; die Beziehung von Glorias Sohn zerbricht, die Kinder­betreuung überfordert ihn; Glorias Ex wiederum lässt es sich nicht nehmen, in Anwesenheit seiner neuen Frau gegenüber Arnold die Dominanz des zuerst Dagewesenen geltend zu machen. Arnolds ständige Anrufe, als das Verhältnis mit Gloria in die Krise gerät, werden nicht als romantische Geste verklärt, sondern als das gezeigt, was sie in vielen Fällen sind: Akte der Hilflosigkeit am Rande der Belästigung.

In die Ranglisten der beliebtesten Liebesfilme düfte ein Werk wie »Gloria Bell« freilich nicht kommen; dort stehen immer noch Filme, die mehr als 60 Jahre alt sind. Ein Ranking des American Film Institute aus dem Jahr 2002 führt auf den Plätzen eins und zwei »Casablanca« und »Vom Winde verweht«, der jüngste unter den ersten zehn Filmen ist »So wie wir waren« von 1973. Ebenso gibt es nur in drei Filmen der Top Ten ein sogenanntes Happy End, was als Indiz dafür gelten kann, dass am Liebesfilm weniger die Aussicht auf das Moment des Glücks fasziniert, sondern eher die Lust an der Dramatik, die dem Gewöhnlichen gerade abgeht. So antiklimaktisch wie die Struktur des Alltags ist auch »Gloria Bell«; gleich einem zögerlich vollendeten Kreis endet der Film, wie er begann: Gloria tanzt.

Gloria – Das Leben wartet nicht. USA 2018. Buch: Alice Johnson Boher, Sebastián Lelio, Gonzalo Maza. Regie: Sebastián Lelio. Darsteller: Julianne Moore, John Turturro. Ab 22. August in den deutschen Kinos