Prozess gegen die Freie Kameradschaft Dresden

Pfeil nach rechts

Pannen, Tränen und eine verbotene Liebesaffäre: Der Prozess gegen Mitglieder der rechtsextremen Freie Kameradschaft Dresden neigt sich dem Ende zu.

Mehr als 100 Verhandlungstage im Prozess gegen sechs mutmaßliche Mitglieder der Freien Kameradschaft Dresden (FKD) hat der Vorsitzende Richter Joachim Kubista am Landgericht Dresden inzwischen geleitet. Bereits zu Beginn, im September 2017, war abzusehen, dass eine kleinteilige Beweisaufnahme und ein zähes Verfahren bevorstanden. Dass es letztlich über zwei Jahre bis zum Urteil dauern würde, ist dennoch überraschend. Mit Ausnahme der Angeklagten Janette P. sitzen die mutmaßlichen Mitglieder der FKD seit mittlerweile rund drei Jahren in Untersuchungshaft. Im Gespräch mit der Jungle World sagte der Ne­benklageanwalt Mark Feilitzsch, dass nach seiner Einschätzung die Angeklagten damit den Großteil der zu erwartenden Haftstrafe bereits vor der Urteilsverkündung abgesessen haben dürften.

Die FKD und ihr Umfeld waren für zahlreiche gewalttätige Übergriffe und Anschläge in der Region Dresden in den Jahren 2015 und 2016 verantwortlich oder maßgeblich an ihnen beteiligt. Die jungen Neonazis hatten im Sommer 2015 beschlossen, den Forderungen der Pegida-Kundgebungen Taten folgen zu lassen. Sowohl an den flüchtlingsfeindlichen Protesten vor dem Hotel Leonardo in Frei­tal als auch an den rassistischen Ausschreitungen vor einer Erstaufnahmeeinrichtung in Heidenau im Sommer 2015 und den koordinierten ­Angriffen extrem rechter Hooligans auf Einrichtungen im Leipziger Stadtteil Connewitz im Januar 2016 wa­ren Mitglieder der FKD beteiligt.

Gemeinsam mit der als terroristische Vereinigung verurteilten »Gruppe Freital« griff die FKD im Oktober 2015 ein linksalternatives Hausprojekt in Dresden mit Steinen, Flaschen und selbstgebauten Sprengsätzen an. Beim Dresdner Stadtfest im Sommer 2016 machten einzelne Mitglieder der Gruppe gemeinsam mit anderen Neonazis Jagd auf Ausländer und verletzten einige von diesen schwer. Unter anderem deshalb wirft die Staatsanwaltschaft den Mitgliedern der Neonazigruppe die Bildung einer kriminellen Vereinigung, Landfriedensbruch, gefährliche Körperverletzung und das Herbeiführen von Sprengstoffexplosionen vor.

Erinnerungslücken vor Gericht

Zwei Mitglieder der FKD, Florian N. und Robert S., hatten sich bei einem früheren Prozess im Sommer 2017 als kooperationswillig erwiesen. Sie ließen sich auf einen Deal mit der Staats­anwaltschaft ein und gestanden eini­ge der Taten. Dafür erhielten sie nach wenigen Verhandlungstagen im August 2017 eine vergleichsweise moderate Gefängn­isstrafe von drei Jahren und acht Monaten.

Die Angeklagten im Hauptverfahren waren bei weitem nicht so gesprächig. Wenn sie im Lauf des Prozesses Straftaten einräumten, dann in der Regel nur, um die eigene Tatbeteiligung zu beschönigen oder herunterzuspielen. So mussten zahlreiche Zeugen angehört, Videos und andere Beweise gesichtet werden, um die Tathergänge zu rekonstruieren. Als Zeugen geladen waren in den vergangenen zwei Jahren Dutzende Neonazis aus dem Umfeld der FKD. Ihr Aussageverhalten war ­geprägt von umfangreichen Erinnerungslücken. Der Dresdner Neonazi Patrik L., der selbst zu einer Haftstrafe wegen seiner Beteiligung an den rassistischen Ausschreitungen in Heidenau verurteilt wurde, nahm sogar sechs Monate Beugehaft in Kauf, um nicht gegen seine Kameraden aussagen zu müssen.

Als einzige der sechs Angeklagten war Janette P. bereit, mit dem Gericht zu kooperieren, um einer drohenden Haftstrafe zu entgehen. In einer tränenreichen Einlassung berichtete sie im Verfahren von ihrer schweren Kindheit und ihrem Weg in die organisierte Neonaziszene. Die Strategie der Verteidigung von Janette P. ist es, ihre Mandantin als Opfer und Mitläuferin der Gruppe erscheinen zu lassen. Dabei zeichnen die Ermittlungsergebnisse ein anderes Bild von der jungen Frau. Sie fungierte anscheinend als Verbindungsglied zwischen der FKD, der »Gruppe Freital«, der neo­nazistischen »Reisegruppe 44« und anderen Neonazis und Hooligans aus der Region. Neben dem mutmaßlichen Anführer der Gruppe, dem 30jährigen Studenten Benjamin Z., scheint Janette P. damit eine tragende Rolle innerhalb der FKD zugekommen zu sein.

»Despangs persönliche SA«

Ermittlungen im Zusammenhang mit der FKD laufen auch gegen den ehemaligen NPD-Landtagsabgeordneten René Despang. Dieser soll bei der Gründung der FKD anwesend gewesen sein und die Gruppe ausgiebig beraten haben. In einer Zeugenaussage sagte der Dresdner Neonazi André M., die Kameradschaft sei im Neonazimilieu auch als »Despangs persönliche SA« bezeichnet worden.

Das Verfahren gegen M. war abgetrennt worden, weil er die ihm zur Last gelegten Taten zumindest teilweise eingeräumt hatte. Im Verfahren gegen ihn wurde zudem bekannt, dass die FKD auch an Attacken anlässlich des ersten Pegida-Jahrestags in Dresden im Herbst 2015 ­beteiligt war. Damals waren Hunderte Neonazis und Hooligans in der Stadt unterwegs, um Gegendemonstranten und Linke anzugreifen. Zu einem ­Verfahren gegen diese Angreifer kam es jedoch nie.

Das Gericht hatte in den vergangenen zwei Jahren nicht nur mit der fehlenden Aussagebereitschaft der Zeugen und Angeklagten zu kämpfen. Für eine Unterbrechung des Gerichtsverfahrens sorgte das Bekanntwerden einer Liebesbeziehung zwischen einer Schöffin in dem Verfahren und dem als Rädelsführer der Gruppe angeklagten Benjamin Z. Nach dessen Aussage suchte die Schöffin bereits Ende 2015 den Kontakt zu ihm.

Sie habe sich mit Nach­forschungen zu einer Person an ihn gewandt, die vor Gericht nicht aussagen wolle und der rechtsextremen Szene angehörte. Z. habe ihr damals über die FKD berichtet und den Web-Auftritt der Gruppe gezeigt. Nachdem sie sich Anfang 2016 über Facebook mit ihm angefreundet habe, seien Z. und sie gemeinsam Essen gegangen und hätten danach eine Nacht miteinander verbracht. Bei einer Nazidemonstration am 13. Februar 2016 in Dresden sei sie aufgetaucht, um abermals Kontakt zu ihm zu suchen.

Schöffin und Richter müssen gehen

Er habe sie abgewiesen und dann erst wiedergesehen, als sie ihm später im FKD-Prozess als Schöffin gegenübergesessen habe. Z. zufolge legte sie ihm nach Verhandlungsbeginn einen Zettel auf den Tisch im Gerichtssaal, auf dem ein Herz mit einem Pfeil nach rechts gemalt war. Nachdem das Verhältnis im vergangenen Herbst bekannt geworden war, mussten die Schöffin und ein Ergänzungsrichter, der von der Liebesaffäre wusste, vom Gericht zurücktreten und ersetzt werden.

Etwa zur gleichen Zeit wurde bekannt, dass Benjamin Z. in seiner Untersuchungshaftzelle über ein internetfähiges Tablet verfügte und darüber mit Mitangeklagten kommuniziert und Absprachen zum Verfahren getroffen haben. Z. und der ebenfalls in U-Haft sitzende Franz R. tauschten sich dabei auch über eine Verfahrenszeugin aus, die sich nach Meinung der beiden vor Gericht nicht ausreichend auf Erinnerungslücken berufen und zu viel ausgesagt habe.

In wenigen Wochen werden die Plädoyers in dem Prozess erwartet. Die An­wälte der Angeklagten stellen die Pannen und Skandale als nicht korrigierbares Verfahrenshindernis dar. Sie fordern, dass das Verfahren eingestellt wird.