Klimapolitik in Frankreich

Bis zum nächsten Gletschersee

In Frankreich tut sich die Regierung schwer mit klimafreundlicher Politik, auch wenn das ökologische Bewusstsein in der Öffentlichkeit wächst. Erster Teil unserer Serie über Klimapolitik in verschiedenen Ländern.

Zum ersten Mal kein Skivergnügen im August. Anfang vergangener Woche wurde berichtet, dass das Skigebiet Les Deux Alpes, das sich auf einem Gletscher im Alpenmassiv Écrins befindet, wegen Tauwetters und Schneemangels den ganzen August geschlossen bleiben wird. Die dortige Piste beginnt auf 3.600 Meter Höhe. Bereits Ende Juni hatte der Bergsteiger Bryan Mestre am Mont Blanc, der höchsten Erhebung Frankreichs, einen neuen Gletschersee in 3.000 Metern Höhe entdeckt, der sich inzwischen aber zurückgebildet hat. Mestres Beobachtungen zufolge trat Schmelzwasser in einer Höhe bis 4.700 Metern auf. So hoch war die Schneegrenze dort noch nie.

Viele Französinnen und Franzosen stellen sich darauf ein, dass es so wie bislang nicht weitergehen könne, auf individueller wie politischer Ebene. 37 Prozent der befragten Französinnen und Franzosen gaben etwa in einer Ende Juni publizierten Umfrage an, sie seien bereits ganz oder zum Teil auf umwelt- und klimafreundlichere Transportmittel umgestiegen. 23 Prozent behaupteten, im Urlaub auf Flugreisen zu verzichten, um ans Urlaubsziel zu gelangen. Hinsichtlich des ­Umgangs der Regierung mit dem Thema Klimawandel gaben Ende Juli zwei Drittel der Befragten an, die Regierung tue nicht viel, 13 Prozent meinten, sie tue genug, und elf Prozent, sie widme dem Thema zu viel Aufmerksamkeit.

Die französische Exekutive brüstet sich damit, dass das im Dezember 2015 abgeschlossene internationale Klimaschutzabkommen den Titel »Übereinkommen von Paris« trägt. In diesem wurde vereinbart, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur im Vergleich num vorindustriellen Niveau auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Sieht man sich jedoch die konkreten Maßnahmen der Staaten an, läuft es ­einem Bericht des UN-Umweltprogramms von 2017 zufolge auf eine durchschnittliche Erwärmung um 2,7 bis 3,2 Grad Celsius bis ins Jahr 2100 hinaus – was katastrophale Folgen hätte.

Frankreich hält seine Ziele nicht ein

Frankreich hält sich nicht an die im Dezember 2015 gesteckten Ziele. Der am 25. Juni publizierte Bericht des französischen Klimarats belegt, von 2015 bis 2018 seien die CO2-Emissionen in Frankreich um 1,1 Prozent zurückgegangen; die nationalen Klimaziele im Pariser Abkommen sehen den doppelten Wert vor. Der Umstieg vom motorisierten Individualverkehr habe in ­dieser Periode bislang nur zu 0,1 Prozent weniger Kohlendioxidemissionen geführt statt der geplanten 0,4 Prozent. Zugleich habe der Personen­verkehr nicht um 0,4 Prozent, sondern  um 1,1 Prozent zugenommen.

Der Transportsektor stellt bislang den größten Einzelposten bei den CO2-Emittenten in Frankreich dar. 2017 betrug dessen Anteil am gesamten CO2-Ausstoß 29,7 Prozent, vor der Industrieproduktion mit 25,8 Prozent und der Landwirtschaft mit 18,9 Prozent. Der motorisierte Individualverkehr kommt auf 15,7 Prozent. Nach wie vor wird er von den Regierenden in Frankreich gehätschelt.

Als vermeintlich einzige Option wird der Umstieg von Verbrennungs- auf Elektromotoren angepriesen – die neue Umweltprobleme aufwerfen, vom Schürfen sogenannter seltener Erden für deren Herstellung bis zu deren Entsorgung. Dem Bericht des Klimarats von Ende Juni zufolge betrug der Anteil von Elektroautos an den zugelassenen PKW in Frankreich Ende 2018 nur 2,1 statt, wie zum Zeitpunkt des Pariser Abkommens vor­gesehen, neun Prozent.

Frankreich ist derzeit nach Deutschland und Spanien der drittgrößte ­Automobilproduzent in der EU. 2018 wurden in Frankreich 2,64 Millionen Fahrzeuge produziert; 2005 waren es noch 3,75 Millionen, danach brach die Produktion infolge der Weltwirtschaftskrise ein. Trotz deutlicher Erholung in den Jahren 2012 und 2013 ist die Produktion in Frankreich bei Weitem nicht auf den Stand von vor der Krise zurückgekehrt.

Die Automobilwerke beschäftigen rund 70.000 Lohnabhängige, vor der Krise waren es rund 115.000. Die Klein­wagenproduktion wurde weitgehend aus Frankreich ausgelagert, etwa nach Osteuropa. Die Fabriken von Renault und PSA auf französischem Staats­gebiet sind vor allem mit der Produktion von emissionsreichen SUVs ­sowie Nutzfahrzeugen wie Traktoren ­befasst. Der Auslastungsgrad ihrer ­Produktionskapazitäten lag im vorigen Jahr bei 86 Prozent, 2005 waren es noch 93 Prozent, 2013 krisenbedingt nur 60 Prozent.

Machtlos gegen Lobbyisten

Am 25. Juli einigten sich die beiden Parlamentskammern, Nationalversammlung und Senat, in ihrem Vermittlungsausschuss auf den Entwurf für das künftige Gesetz über Energie und Klima. Den Gesetzestext hatte im Kern noch Nicolas Hulot in seiner Amtszeit als Minister für ökologischen und solidarischen Übergang (so heißt das fran­zösische Umweltministerium seit 2017) ausgearbeitet.

Eine lange Reihe von Miss­erfolgen hatte Hulot im September 2018 dazu bewogen, sein Amt ­niederzulegen (Jungle World 36/2018). Er konnte seine Umwelt- und Klima­schutzvor­haben nicht gegen Präsident Emmanuel Macron und Premier­minister Édouard Philippe durchsetzen. Hulot beklagte »die Anwesenheit von Lobbyisten in den Kreisen der Macht«, gegen die er machtlos sei. Sein Nachfolger François de Rugy musste Mitte Juli wegen Vorwürfen der Unterschlagung öffentlicher Gelder zurücktreten. Für das Umweltressort ist seither die bisherige Transportministerin, Elisabeth Borne, mit zuständig; es gibt ­keinen eigenständigen Fachminister mehr.

Der Gesetzentwurf sieht unter anderem Energieeinsparungen durch ­Gebäudesanierungen vor – ein Vorhaben, das allerdings längst hätte realisiert werden sollen. So war es bereits Thema des Grenelle de l’environne­ment, einer Reihe von Treffen, um Strate­gien für Umweltschutz und nachhaltige Entwicklung zu erarbeiten, die im Herbst 2007 unter der Präsidentschaft Nicolas Sarkozys stattfanden.

Kein großer Wurf

Frankreichs letzte Kohlekraftwerke sollen dem Entwurf zufolge bis 2022 abgeschaltet werden. Allerdings nutzt Frankreich diesen fossilen Brennstoff ohnehin vergleichsweise wenig, die ­inländische Kohleförderung wurde bis 2004 abgewickelt. Frankreichs Führung konzentriert sich bei der Stromgewinnung statt auf fossile Energie­träger seit Jahrzehnten auf Atomkraft, was aus anderen Gründen proble­matisch ist (Jungle World 19/2016).

Führende französische Politiker und ­Unternehmer verkaufen die Atomkraft als emissionsarme Form der Energie­gewinnung. Zwar soll der Atomstromanteil von derzeit 75 Prozent auf 50 Prozent reduziert werden. Das Erreichen dieses Ziels wurde unter der Präsidentschaft François Hollandes auf 2025 terminiert, unter seinem Nachfolger Macron aber auf 2035 verschoben. Jean-David Abel von der umweltpolitischen NGO France Nature Environnement bezeichnete den Gesetzentwurf als enttäuschend, da die Orientierung auf Atomenergie die notwendige Umstellung der Energieversorgung und Entwicklung erneuerbarer Energien behindere.

Insgesamt soll die Nutzung fossiler Energieträger – also vor allem Ölkraftwerke und -heizungen – bis 2030 um 40 Prozent reduziert werden, der ­Anteil erneuerbarer Energien soll bis dahin ein Drittel des Gesamtverbrauchs betragen. Solarstationen, um Elektro­autos zu betanken, sollen entlang der großen Verkehrswege entwickelt und bürokratische Hürden dafür abgebaut werden.

Als großen Wurf kann man diesen Gesetzentwurf sicherlich nicht betrachten. Selbst 61 Prozent der Wählerinnen und Wähler der Regierungs­partei La République en Marche (LREM) meinen, die Regierung trage nicht sehr viel zum Klimaschutz bei.