Puerto Rico nach dem Rücktritt von Ricardo Rosselló

Der Gouverneur geht, die Junta bleibt

Mehr als zwei Wochen dauerten die Massenproteste an, die Puerto Ricos Gouverneur Ricardo Rosselló aus dem Amt trieben. Doch er versucht, seinen Nachfolger zu bestimmen.

Nach dem Protest wird aufgeräumt. Die Plakate und Transparente mit den Slogans »Ricky – wir werfen dich raus« und »Rosselló, nimm die Junta gleich mit« hat die Stadtreinigung bereits beseitigt. Am 24. Juli kündigte Ricardo Rosselló nach mehr als zwei Wochen der größten Proteste, die die Insel jemals gesehen hat, schließlich seinen Rücktritt an und kam dem am 2. August nach.

Die von den USA eingesetzte Junta hat sich mit ihrer wirtschaftsliberalen Privatisierungs­politik unbeliebt gemacht und gilt als Hort der Korruption.

Der scheidende Gouverneur hat in einer seiner letzten Amtshandlungen Pedro Pierluisi zum Vizegouverneur ernannt, der nach dem Rücktritt die Rolle des Gouverneurs kommissarisch einnimmt. Der 60jährige Anwalt tritt wie Rosselló für die offizielle Aufnahme Puerto Ricos als regulärer Bundesstaat in die Vereinigten Staaten ein, gilt als Parteigänger der Demokraten und steht zudem Rossellós Familie recht nahe.

Das könnte genauso zum Problem werden wie die Tatsache, dass der geschäftstüchtige Pierluisi als Berater der Institution tätig war, die de facto die ­Finanzen Puerto Ricos im Auftrag der USA verwaltet: der Junta de Gobernación Fiscal. Die hat sich mit ihrer wirtschaftsliberalen Privatisierungspolitik in den vergangenen Jahren unbeliebt gemacht und gilt als Hort der Korruption. Allerdings war die Insel bereits vorher für Korruption berüchtigt.

Gewaltphantasien gegen Frauen

Puerto Rico ist ein sogenanntes Außengebiet der USA und kein Bundesstaat. Die boricuas, wie sich die Puerto Ricaner nennen, sind US-Bürger zweiter Klasse. Sie dürfen ihren Gouverneur zwar wählen, sind aber bei Kongress- und Präsidentschaftswahlen in den USA nicht stimmberechtigt und stehen seit 2017, als angesichts eines Schuldenbergs von 74 Milliarden US-Dollar offiziell die Zahlungsunfähigkeit festgestellt wurde, unter finanzieller Zwangsverwaltung durch die USA. Dafür ist die Junta zuständig, deren Mitglieder vom US-Kongress ernannt werden. Sie hat die Korruption mit ihrer Privatisierungspolitik eher noch verstärkt. Jüngstes Beispiel ist die Festnahme von Erziehungsministerin Julia Keleher, die mehr als 100 Schulen der Insel unter der Regie der Junta schließen ließ und Privatschulen förderte.

De facto wollte sich die Regierung der bildungspolitischen Verpflichtungen entledigen. Doch nicht dafür wurde die Ministerin von FBI-Beamten Anfang Juli abgeführt, sondern weil sie öffentliche Gelder an unqualifizierte, aber politisch nützliche Vertragspartner vergeben haben soll. Ein Skandal, der nur wenige Tage vor der Veröffentlichung jener Textbotschaften bekannt wurde, die die Proteste gegen Rosselló auslösten.

In einer Chat-Gruppe bei Telegram hatten Rosselló und Mitglieder seines Führungszirkels – die jedoch nicht alle der amtierenden Regierung angehörten – sich sexistisch, homophob und rassistisch über Politikerinnen und andere Personen geäußert. Die Chat-Protokolle veröffentlichte das Zentrum für Investigativen Journalismus am 13. Juli, tags darauf begannen die Proteste.

Zu den skandalösesten Aussagen aus den 889 veröffentlichten Seiten gehörten unter anderem Gewaltphantasien gegen Frauen, darunter die Bürgermeisterin der Hauptstadt San Juan, Carmen Yulín Cruz, die Rosselló als Hure beschimpfte und die der Staatssekretär und Chief Financial Officer, Christian Sobrino, dem Chat zufolge »erschießen« wollte. Rosselló antwortete im Chat, Sobrino würde ihm damit einen »großen Gefallen« tun. Auch die Opfer des Hurrikans »María«, der im September 2017 die Insel verwüstete und einer Studie der Havard University zufolge 4.300 Tote hinterließ, verhöhnte Rosselló. »Haben wir keine Leichen mehr, die wir den Krähen vorwerfen können?« fragte er in der Chat-Gruppe.

»Schaffen wir es?«

Bedeutend für den Erfolg der Protestbewegung war die Tatsache, dass sich prominente Künstler wie Ricky Martin, Residente, der ehemalige Sänger von Calle 13, und der Reggaetón-Star Bad Bunny den Protesten anschlossen und bei mehreren Demons­trationen an der Spitze marschierten. »Afilando los Cuchillos« (Die Messer schärfen) heißt der Song, den Residente und Bad Bunny schrieben und in dem sie den Rücktritt Rosellós verlangten. Das habe dazu beigetragen, dass die jüngere Generation ebenfalls auf die Straße zog, um sich gegen eine »ignorante, respektlose Politik von oben« zu wehren, so René Pérez Joglar alias Residente. Er hatte zu der Demonstration am 24. Juli mit aufgerufen und am 25. Juli provokant gefragt: »Schaffen wir es?«

Das haben sie. Rosselló, dessen Vater bereits Gouverneur war und dessen Familie zu den reichsten und einflussreichsten Puerto Ricos gehört, ist am 2. August zurückgetreten. Pierluisi, der Wunschnachfolger der Familie Rosselló, begann seine politische Karriere unter dem damaligen Gouverneur ­Pedro Rosselló und wurde am Wochenende vor dem Repräsentantenhaus als Gouverneur vereidigt. Er muss diese Woche noch vom Senat bestätigt werden. Dann soll er bis zum November 2020 regieren, wenn Wahlen anstehen – und die Anerkennung als 51. Bundesstaat der USA, die längst nicht alle Puerto-Ricaner wünschen. Das Thema könnte ebenso wie die ­ungeliebte finanzielle Zwangsverwaltung durch die USA in den kommenden Monaten zur vieldiskutierten Frage auf der Insel werden.

Der Senatspräsident Thomas Rivera Schatz, dem nachgesagt wird, selbst gern Gouverneuer werden zu wollen, bezweifelte am Mittwoch vergangener Woche, dass Pierluisi den nötigen politischen Rückhalt in den beiden Kammern des Parlaments habe. Auch in den sozialen Medien wird der designierte Gouverneur kritisiert. Dort wird er oft als »Thronfolger« und als Mitglied einer Bande von korrupten Machos bezeichnet. Es wird sich zeigen, ob der »revolutionäre Akt«, den der puerto-ricanische Politikwissenschaftler José J. Colón in dem erzwungenen Rücktritt Rossellós sieht, zu einer dauerhaften politischen Veränderung führt.