Rassismus in Israel

Juden zweiter Klasse

Äthiopische Juden werden in Israel rassistisch diskriminiert. Nach dem Tod eines 19-Jährigen haben sich nun Demonstranten schwere Straßenschlachten mit der Polizei geliefert.

Die Proteste waren heftig. Anfang Juli demonstrierten in Israel Tausende äthiopische Jüdinnen und Juden gegen Polizeigewalt und rassistische Diskriminierung. Auslöser war der Tod des 19jährigen Salomon Tekah, dessen Familie vor einigen Jahren aus Äthiopien eingewandert war. Er starb am 30. Juni in Kiriat Haim nördlich von Haifa durch einen Schuss eines Polizisten, der nicht im Dienst war. Er habe einen Warnschuss auf den Boden abgegeben, nachdem er von drei jungen Menschen äthiopischer Abstammung bedrängt worden sei, sagte der Polizist später aus. Der derzeitige Ermittlungsstand bestätigt, dass die Kugel, die Tekah tötete, vom Boden abgeprallt war; der Polizist wurde am Montag aus dem Hausarrest entlassen.

Für Kampftruppen der israelischen Armee werden äthiopische Juden besonders oft rekrutiert, auf dem Arbeitsmarkt verdienen sie nur halb so viel.

Viele Angehörige der äthiopischen Gemeinde in Israel stellen aber in Frage, dass es sich bei dem fatalen Schuss um Notwehr gehandelt habe, und sehen Tekah als ein weiteres Opfer von Polizeigewalt. Wie kommt es, so fragen sie, dass Terroristen neutralisiert werden können, ohne sie zu töten, Israelis äthiopischer Abstammung aber nicht? Sie verweisen auf den Fall Yehuda Biada, der im Januar in Bat Yam von Polizisten erschossen wurde. Der 24jäh­rige, der an einer psychischen Störung litt, war mit einem Messer auf die Straße gegangen, woraufhin seine Familie die Polizei um Hilfe bat.

Die Demonstrationen, die auf Tekahs Tod folgten, wurden rasch gewalttätig. Hunderte aufgebrachte Protestierende verbrannten Reifen und lieferten sich handfeste Auseinandersetzungen mit der Polizei. Samuel von Fidel, einer Organisation, die sich um die Integration von äthiopischen Jüdinnen und Juden in die israelische Gesellschaft kümmert, sagte der Online-Zeitung Times of Israel: »Polizeibrutalität ist nur die Spitze des Eisbergs. Sie ist real, sie existiert, aber sie ist nur ein Teil dessen, was uns dazu drängt, immer wieder zu protestieren. Sie ist buchstäblich nur ein Symptom für die allgemeine Denkweise.« Michal Avera Samuel war 1984 im Rahmen der verdeckten Militäroperation »Moses« aus einem der Lager im Sudan, wohin viele äthiopische Jüdinnen und Juden vor einer Hungersnot geflohen waren, nach Israel evakuiert worden.

Misslungene Integration

In einer weiteren streng geheim gehaltenen Militäroperation namens »Salomon« wurden 1991 während des Bürgerkriegs innerhalb von 36 Stunden mehr als 14 000 Jüdinnen und Juden aus Äthiopien nach Israel ausgeflogen. Die meisten von ihnen kamen als überzeugte Zionistinnen und Zionisten. Schon 1950 berichtete Jacob Weinstein von der Jewish Agency der Gewerkschaftszeitung Davar aus Äthiopien, dass die alten jüdischen Gemeinden ein großes Interesse an der Entstehung des Staats Israel gezeigt hätten und Hunderte aus ihren Dörfern in die äthiopische Hauptstadt Addis Abeba gekommen seien, um nach Wegen zu suchen, Israel im Unabhängigkeitskrieg zu unterstützen.

Die Luftbrücken »Moses« und »Salomon« waren israelische Erfolgsgeschichten. Allerdings misslang die Integration der äthiopischen Jüdinnen und Juden, sie wurden und werden diskriminiert. Das Judentum der äthiopischen Einwanderer wurde vielfach in Frage gestellt und deren religiöse Führer ihrer Autorität beraubt. Shmuel Schnitzer, Redakteur und Mitbegründer der Zeitung Maariv, schrieb 1994 in einem Artikel mit dem Titel »Import von Tod« von »Tausenden von Glaubensabtrünnigen«, die »gefährliche Krankheiten« brächten. Im Januar 1996 wurde bekannt, dass Blutspenden von Israelis äthiopischer Herkunft heimlich weggekippt worden waren. Nachdem ein Wohnprojekt in Kiryat Malakhi 2012 Äthiopier dezidiert als Käufer ausgeschlossen hatte, kam es zu Unruhen, die in einen Protestmarsch auf Jerusalem mündeten. Ein daraufhin veröffentlichter Kommissionsbericht zeigte die Chancenungleichheit klar auf: Die Zahl der für Kampftruppen der israelischen Armee rekrutierten äthiopischen Juden lag über dem Durchschnitt doch auf dem Arbeitsmarkt verdienten sie nur halb so viel und waren doppelt so oft ohne feste Anstellung.

»Die Generation meiner Eltern hat schweigend gelitten. Meine Generation litt schweigend, bis wir nicht mehr schweigen konnten. Die jüngere Generation, die hier mit dieser ungerechten Realität aufgewachsen ist, wird nicht zum Schweigen gebracht«, sagte Michal Avera Samuel von Fidel.

Die Demonstrationen eskalierten nach Tekahs Beerdigung am 2. Juli, als einige Demonstrierende Fahrzeuge in Brand steckten und sich gewalttätige Auseinandersetzungen mit Polizisten lieferten, die versuchten, ihre behelfsmäßigen Straßensperren zu durchbrechen. Dutzende Polizisten wurden verletzt und über 100 Demonstrierende festgenommen. Wegen der Blockade der Stadtautobahn in Tel Aviv steckten Tausende Autofahrerinnen und -fahrer mehr als fünf Stunden lang fest. Am folgenden Tag ebbten die Proteste ab. Tekahs Familie hatte darum gebeten, diese während der siebentägigen jüdischen Trauerzeit auszusetzen.

Verschwörungstheorien kursieren

Die Proteste wurde in Israel sehr unterschiedlich wahrgenommen. Während sich viele Israelis mit den Demonstrierenden solidarisch zeigten, tauchten in den sozialen Netzwerken auch zahlreiche rassistische Aussagen über die Protestierenden auf. Verschwörungstheorien, nach denen der Protest der Israelis äthiopischer Herkunft im Dienst ganz anderer Interessen stehe, machten die Runde. Der Minister für öffentliche Sicherheit, Gilad Erdan, verurteilte die »unerträgliche« Gewalt einiger Demonstrierender, widersprach aber Spekulationen, wonach die Proteste gelenkt seien. Erdan sagte, dass er sich mit Dutzenden von Aktivisten getroffen habe, die von Misshandlungen durch die Polizei berichtet hätten: »Sie haben sich nicht alle Geschichten ausgedacht und sich nicht koordiniert.«

Als die Proteste am 8. Juli wieder aufflammten, stellten deren Organisatoren mehrfach klar, dass es dabei nicht um den getöteten Salomon Tekah gehe, sondern um »den nächsten Salomon Tekah«. Vergleichbar heftige Ausschreitungen äthiopischer Juden hatte es in Israel 2015 gegeben. Auslöser war damals ein Video, das zeigt, wie Damas Pakada, ein Soldat äthiopischer Herkunft, von Polizisten grundlos angegriffen wird. Nach Meinung sehr vieler Israelis äthiopischer Herkunft veranschaulichte das Video, wie sie in Israel behandelt werden. Als Reaktion auf die Ausschreitungen 2015 bildete die Regierung einen Ausschuss, der von Emi Palmor, der Generaldirektorin des Justizministeriums, geleitet wurde. Er untersuchte die Behauptungen der äthiopischen Gemeinde, dass deren Mitglieder wegen ihrer Hautfarbe in allen Bereichen des Lebens Diskriminierungen ausgesetzt seien. Der Abschlussbericht, der im Juli 2016 vorgelegt wurde, bestätigte die Behauptungen der Gemeinde, insbesondere in Hinblick auf die routinemäßige Ungleichbehandlung durch die Polizei. Der Ausschuss gab auch 53 praktische Empfehlungen zur Behebung der Probleme.

Der Bericht sei eine Gelegenheit zur nationalen und institutionellen Selbstreflexion gewesen, sagte Palmor im Oktober 2017 der israelischen Tageszeitung, Yedioth Ahronoth. Man versuche zu verstehen, was bei der Einwanderung schiefgelaufen sei und wie die Fehler korrigiert werden könnten. Palmor konnte von einigen positiven Entwicklungen berichten, so habe der Staat das Bestehen von insti­tutionellem Rassismus anerkannt und Verantwortung dafür übernommen. Außerdem meinte sie, dass sich die Konflikte zwischen der Polizei und Israelis äthiopischer Herkunft abschwächten.

Obwohl auch jüngste Erhebungen der israelischen Zeitung Maariv eine deut­liche Verbesserung der Situation von Israelis äthiopischer Abstammung kons­tatieren, erinnern die Proteste der vergangenen Tage daran, dass die Lage für sehr viele der 150 000 Menschen zählenden Einwanderergruppe noch lan­ge nicht zufriedenstellend ist.