Skandalöse Arbeitsbedingungen bei deutschen Reedereien

Unter billiger Flagge

Deutsche Reedereien registrieren ihre Schiffe in anderen Ländern, um Arbeits- und Sozialstandards zu umgehen – auf Kosten der Beschäftigten.

Wer die Angriffe verübte, ist immer noch unklar. Das iranische Regime weist die Anschuldigungen weiterhin von sich, die die US-Regierung nach den Attacken auf zwei Tanker in der Straße von Hormuz am 13. Juni er­hoben hat. Die 21 Besatzungsmitglieder der »Kokuka Courageous«, allesamt philippinische Seeleute, haben den Einschlag zweier Geschosse an ihrem Schiff glimpflich überstanden, niemand wurde ernsthaft verletzt.

Die Hamburger Reederei Schulte betreibt die »Kokuka Courageous«. Das 170 Meter lange Schiff fährt jedoch nicht unter deutscher Flagge, sondern ist im mittelamerikanischen Panama registriert. Bei dem Unternehmen ist das nicht ungewöhnlich. Etwa 18 000 Seeleute sind für die Reederei auf den Weltmeeren unterwegs, nur die wenigsten der 600 Schiffe des Unternehmens sind in Deutschland registriert.

Gefährlich kann die Schifffahrt für die Beschäftigten deutscher Reedereien nicht nur wegen Terrorismus werden. Weitaus häufiger sind es die Arbeitsbedingungen, die die Gesundheit gefährden.

Gefährlich kann die Handelsschifffahrt für die Beschäftigten deutscher Reedereien nicht nur wegen Piraterie oder Terrorismus werden. Weit häufiger sind es die Arbeitsbedingungen, die die Gesundheit von Crewmitgliedern gefährden. Deutsche Reedereien nehmen bei der Umgehung arbeitsrechtlicher Standards in der Seefahrt eine unrühmliche Führungsrolle ein, wenn man sich die von den jeweiligen Reedereiverbänden veröffentlichten Zahlen ansieht. Die Unternehmen unterlaufen Vorschriften des Sozial- und ­Arbeitsrechts, indem sie ihre Schiffe »ausflaggen«, sie also in anderen Ländern registrieren, in denen weniger strengere Vorgaben bestehen. Von den 2 720 Frachtschiffen der deutschen Handelsflotte sind gerade einmal 178 unter deutscher Flagge unterwegs, über 90 Prozent fuhren also unter der Flagge eines anderen Landes – einen solch hohen Anteil hat kein anderes Land. Die meisten, 686 Schiffe, sind in Liberia eingetragen, wo das weltweit größte Schiffsregister existiert. Auf Platz zwei folgt der Inselstaat Antigua und Barbuda, wo 672 deutsche Schiffe registriert sind.

Für die Schiffsbesatzungen hat die Fahrt unter solchen Flaggen nicht selten lebensgefährliche Folgen. Unfallverhütungsvorschriften gibt es kaum oder sie werden nicht eingehalten, eine hohe Zahl an Überstunden und fehlender Urlaub steigern das Unfallrisiko. Aufgaben, die eigentlich von Spezialisten erledigt werden müssten, werden oft ohnehin überlasteten Matrosen aufgebürdet: So müssen in Häfen häufig Seeleute die Ladung sichern, anstatt Ruhezeiten einzulegen und die Reedereien müssen keine spezialisierten ­Hafenarbeiter für diese Tätigkeit bezahlen.

Die Löhne sind häufig miserabel. Die Besatzungen von Containerschiffen deutscher Reedereien, die unter anderer Flagge fahren, kommen meist aus ärmeren Weltregionen und werden faktisch als Arbeitsmigranten ausgebeutet. Die Mehrheit der Matrosen kommt aus den Philippinen, aus Indien und anderen asiatischen Ländern. Die Seeleute arbeiten in der Regel mehr als 300 Stunden im Monat und ver­dienen zwischen 1 000 und 1 800 US-Dollar (rund 840 bis 1 500 Euro).

Im März gab ein Vorfall Einblick in die Bedingungen an Bord deutscher Handelsschiffe: Die australischen Behörden hinderten in Port Kembla das Schiff »Anna-Elisabeth« an der Weiterfahrt, das der Hamburger Reederei Johann M. K. Blumenthal gehört und ­unter liberianischer Flagge fährt. Die Mannschaft, bestehend aus 17 Seeleuten aus Singapur, hatte zuvor die Internationale Transportarbeiterföderation (ITF) wegen mangelnder Verpflegung, Mobbings und verweigerter Land­gänge um Hilfe gebeten. Angaben der Gewerkschaft zufolge standen an Bord sieben Dollar pro Tag für die Essensrationen zur Verfügung – für alle Mahl­zeiten der gesamten Besatzung.

Der Kampf gegen die prekären Bedingungen an Bord deutscher und anderer Handelsschiffe ist nicht leicht. Im Jahr 2000 gelang es der ITF – ihr gehört auch die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi an, die für die Beschäftigten bei deutschen Reedereien und Häfen ­zuständig ist –, einen Tarifvertrag mit dem Internationalen Arbeitgeberverband der Schifffahrt (IMEC) abzuschließen. Die Mehrheit der Seeleute weltweit ist zwar weiterhin ohne Tarifvertrag, inzwischen fallen aber immerhin etwa 12 000 Schiffsbesatzungen unter die Vereinbarung. Die Tarifbestimmungen brachten den Beschäftigten deutliche Verbesserungen. Sie schreiben eine Entlohnung von umgerechnet 1 800 ­US-Dollar im Monat vor und begrenzen die Überstunden auf 103 im Monat.

Zudem kontrolliert die ITF in Häfen die Arbeits- und Lohnbedingungen an Bord der Schiffe. Falsch eingetragene Arbeitszeiten und fehlerhafte Arbeitsverträge gehören für Inspekteure auch in Deutschland zum Alltag. Dass die Kontrollen überhaupt stattfinden können und einige Reedereien inzwischen den Tarifvertrag unterzeichnet haben, ist nicht zuletzt der Solidarität von Hafenarbeitern zu verdanken. Diese kann etwa darin bestehen, dass Hafenarbeiter sich weigern, Schiffe zu ent­laden, sollte ein Kapitän eine Überprüfung behindern. Eine enge Zusammenarbeit von Seeleuten und Hafenarbeitern gibt es bereits seit Jahrzehnten.

»Die seit 70 Jahren gelebte internationale Solidarität ist einzigartig in der Arbeitswelt«, sagte das Verdi-Bundesvorstandsmitglied Christine Behle ­anlässlich der »Aktionswoche Baltic Week« im vergangenen Herbst über diese Kooperation. In Deutschland kontrollieren bei Verdi organisierte See­leute und Hafenarbeiter beispielsweise alljährlich während der »Baltic Week«, die sich gegen schlechte Arbeitsbedingungen auf sogenannten Billigflaggenschiffen richtet, gemeinsam Schiffe in deutschen Seehäfen, im vergangenen Jahr in Hamburg, Bremerhaven, Wilhelmshaven, Bremen, Lübeck, Wismar und Rostock. Manche Inspekteure wurden dabei von Bundestagsabgeordneten begleitet.

»Als besonders erfolgreich können wir in diesem Jahr die Abschlüsse von insgesamt sechs neuen Tarifverträgen verzeichnen, die nun über 100 weitere Seeleute vertraglich absichern, sowie die Auszahlung ausstehender Heuern an fünf ukrainische Seeleute in Höhe von 1 550 US-Dollar«, sagte Maya Schwiegershausen-Güth, die Leiterin der Billigflaggenkampagne der ITF, am Ende der Aktionswoche. Der Druck auf die Reeder zeitigt mancherorts also durchaus Wirkung.