70. Sudetendeutscher Tag in Regensburg

Versöhnliches Stammestreffen

Revisionistische Töne wie in der Vergangenheit waren auf dem 70. Sudetendeutschen Tag in Regensburg kaum mehr zu hören. Doch die Sudetendeutsche Landsmannschaft vertritt weiterhin ihre Volkstums- und Opferideologie.

Die Rednerliste in der Regensburger Donauarena war prominent besetzt. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder, sein Amtsvorgänger, der Bundesinnenminister Horst Seehofer (beide CSU), und der Regensburger ­Bischof Rudolf Voderholzer waren geladen, um am Wochenende auf dem 70. Sudetendeutschen Tag zu sprechen, einem »großen Familienfest«, wie ­Seehofer die Veranstaltung nannte. Seit 1954 hat der Freistaat Bayern die Schirmherrschaft über die Sudetendeutschen inne, die neben Altbayern, Franken und Schwaben als »vierter Stamm Bayerns« gelten. Das wurde 1962 sogar urkundlich festgehalten; Seehofer und Söder betonten es in ihren Reden mehrfach. Zwischen Bayern und Sudetendeutschen bestehe eine tiefe Verbundenheit, »beide pflegen eine große Liebe zur eigenen Heimat«, so See­hofer.

Seehofer und Posselt äußerten den Wunsch, in Zukunft möge ein Sudetendeutscher Tag in Tschechien stattfinden. Die tschechische Regierung erteilte prompt eine Absage.

In diesem Jahr war mit Tomáš Jan Podivínský ein tschechischer Diplomat auf dem Sudetendeutschen Tag ver­treten. Darin äußert sich die schon länger stattfindende Entspannung zwischen dem tschechischen Staat und dem Vertriebenenverband Sudetendeutsche Landsmannschaft (SL). Noch 2002 stand der Sudetendeutsche Tag in Nürnberg unter anderen Vorzeichen. Der Funktionär Horst Rudolf Übelacker sprach damals von der »Raubsicherungspolitik« der Tschechischen Republik, die »deutsches Eigentum« betreffe.

Der rechtsextreme und revisionistische Witikobund, dem Übelacker angehörte, ist weiterhin Teil der SL. An ­diesem Beispiel lässt sich eine ideologische Veränderung in der SL veranschaulichen. Der 1950 gegründete Witikobund setzte sich aus ehemaligen führenden Nationalsozialisten aus dem Sudetenland zusammen. In der Ver­einspublikation Witikobrief schrieb Übelacker 1974: »Zu den gewaltigsten Geschichtslügen der jüngsten Ver­gangenheit gehören die sechs Millionen Juden.« Über Jahrzehnte hinweg stellte der Witikobund den Vorsitzenden der SL und nahm großen Einfluss auf die Ziele des Verbands. Damit scheint es vorbei zu sein. In diesem Jahr durfte der Witikobund keinen eigenen Stand mehr betreiben. Er war auf dem Sudetendeutschen Tag aber dennoch am Stand der SL Oberbayern vertreten. Dort warb man offensiv für eine Petition gegen die sogenannten Beneš-Dekrete, also die Erlasse, die von der tschechoslowakischen Exilregierung während des Zweiten Weltkriegs und nach dessen Ende erlassen wurden und die Enteignung und Abschiebung der deutschen Bevölkerung regelten.

Der Einfluss des Witikobunds wurde in den vergangenen Jahren stark zurückgedrängt. In der 2015 verabschiedeten Grundsatzerklärung der SL sind keine direkten revisionistischen Forderungen und Gebietsansprüche an Tschechien mehr enthalten. Die SL will jedoch weiterhin erreichen, dass »die Tschechische Republik die in den Jahren 1945/1946 vom Präsidenten, der Regierung oder dem Parlament der damaligen Tschechoslowakei erlassenen und fortwirkenden Dekrete, Gesetze und Verordnungen, die Unrechtstatbestände – kollektive Entrechtung, Enteignung, Zwangsarbeit, Vertreibung und Ermordung – anordneten beziehungsweise ­legalisierten, außer Kraft setzt«.

Jene Veränderung ist Bernd Posselt zuzuschreiben. Er ist seit 2008 Sprecher der »Sudetendeutschen Volksgruppe« und seit 2014, wie schon von 2000 bis 2008, Bundesvorsitzender der SL. Zudem ist er seit vielen Jahren eine ­prägende Figur des Think Tanks Paneuropa-Union, die er als Präsident des deutschen Ablegers vertritt. Als Politiker der CSU, für die er von 1994 bis 2014 im Europaparlament saß, ist er ein wichtiger Vermittler zwischen den ­Vertriebenenverbänden, der Paneuropa-Union und der Partei. Sollte Manfred Weber (CSU) zum EU-Kommissionspräsidenten gewählt werden, zöge Posselt an dessen Stelle ins Europaparlament ein. 2010 besuchte Posselt mit dem damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Seehofer die tschechische Regierung, was ein Novum für einen Ver­triebenenfunktionär darstellte. Seit einigen Jahren besuchen immer wieder Personen aus Tschechien die Sudetendeutschen Tage.

Posselt zeigte sich in Regensburg ganz als überzeugter Europäer und rief in seiner Rede »zur Völkerverständigung, zur guten Nachbarschaft, zur Ver­söhnung, zur europäischen Einigung« auf. »Nur ein ­geeintes Europa kann in der Welt ein starker Akteur sein«, hatte er bereits die anwesenden Journalisten während einer Pressekonferenz am Freitagvormittag wissen lassen. Dem Nationalismus, wie ihn die AfD vertrete, gelte es entschieden ent­gegenzutreten. Doch über allem thront der Heimat-, Traditions- und Volkstumskult: So beschwor Posselt die »böhmisch-mährisch-schlesische Heimat« der sudetendeutschen »Volksgruppe«. Dem Nationalismus stellte er ein Europa der »Volksgruppen« gegenüber. Dazu passen Ver­anstaltungen wie der »Große Volkstumsabend«, das »Sudetendeutsche Volkstanzfest« und allerlei Vorträge zu »Heimat« und »Identität«.

Zudem blieb auf dem Sudetendeutschen Tag ein Element des Revisionismus bestehen: Das Bild von den Sudetendeutschen als Opfer des tschechos­lowakischen Hasses nach Kriegsende war omnipräsent und fand sich auch in vielen Büchern an den Informationsständen. Die Beteiligung der Sudetendeutschen an den deutschen Kriegsverbrechen und ihr mehrheitliches Bekenntnis zum Nationalsozialismus fanden hingegen keine Erwähnung.

Stattdessen war häufig von der Versöhnung mit Tschechien die Rede. Seehofer und Posselt äußerten in Regensburg den Wunsch, in Zukunft möge ein Sudetendeutscher Tag als Zeichen der Versöhnung in Tsche­chien stattfinden. Dem Ansinnen erteilte die tschechische Regierung ­jedoch prompt eine Absage. »Das würde ich für eine nicht zu akzeptierende Provokation halten«, sagte der tschechische Ministerpräsident Andrej Babiš am Montag der tschechischen Zeitung Pravo.