In Berlin findet die Deutsche Kinder- und Jugendmeisterschaft im Jugger statt

Pompfen inklusive

Am Wochenende findet in Berlin die 6. Deutsche Kinder- und Jugendmeisterschaft im Jugger statt. Erstmals wird sie weitgehend inklusiv organisiert.

»Was ist Jugger? Ein Hund?« Mit solchen Fragen wird man konfrontiert, wenn man erwähnt, dass man sich gerade mit dem Thema »Jugger« beschäftigt. Völlig falsch liegt die fragende Person damit allerdings nicht. Die Sportart Jugger geht auf den Endzeit-Film »Die Jugger – Kampf der Besten« aus dem Jahr 1989 zurück, in dem »Jugger« als »moderne Gladiatoren« unter anderem um einen »Hundeschädel als Prämie« kämpfen, wie es in der Filmbeschreibung heißt.

»Man kann verschiedene Leute integrieren, weil man verschiedene Fähigkeiten braucht. Als Läufer muss man was ganz anderes können, als wenn man eine Pompfe spielt.«

Anfang der Neunziger übernahmen sportliche Nerds die Idee und setzten sie als unblutigen Mannschaftssport um. Gekämpft wird mit selbstgemachten, mit Schaumstoff gepolsterten Waffen, den sogenannten Pompfen: Q-Tip, Stab, Langpom­pfe, Kurzpompfe, Schild und Kette. Begleitet wird das Spiel von Trommelschlägen, den »Steinen«, jeweils im Abstand von 1,5 Sekunden; eine Halbzeit dauert 100 Steine. Es geht darum, den Spielball, den »Jugg«, ins gegnerische Tor, das »Mal«, zu befördern, wobei dieser nur vom unbewaffneten »Läufer« jedes Teams ­berührt werden darf. Die anderen vier Spieler des Teams, die »Pompfer«, kämpfen dem Läufer den Weg frei. Die Teams sind gemischtgeschlechtlich, Spieler und Positionen werden immer wieder (aus)gewechselt. Wer von einer Pompfe getroffen wird – der Kopf gilt nie, die Hände nur unter bestimmten Bedingungen als Trefferzone – muss eine bestimmte Anzahl Trommelschläge aussetzen, »strafknien«.

Mittlerweile gibt es zahlreiche ­nationale und internationale Wettkämpfe im Jugger, seit einigen Jahren auch für Kinder und Jugendliche. Am 8. und 9. Juni findet in Berlin auf dem Gelände der Turngemeinde in Berlin (TiB) am Columbiadamm die 6. Deutsche Kinder- und Jugendmeisterschaft (DKJM) im Jugger statt. 16 Kinder- und 24 Jugendteams nehmen daran teil. Organisiert wird das Turnier dieses Jahr vom im Berlin ansässigen Verein Indiwi, der sich für Inklusion und Teilhabe in der Kinder- und Jugendarbeit einsetzt. Mit einem Kinder- und einem Jugendteam war Indiwi vergangenes Jahr bereits bei der 5. DKJM in Halle vertreten. Das Besondere dieses Jahr: Die 6. DKJM ist weitgehend inklusiv, gefördert wird sie von der »Aktion Mensch«.

Es das erste Mal, dass Indiwi das Turnier ausrichtet. Inklusiv sollte es von Anfang an werden. »Wir würden das Turnier sonst auch nicht ausrichten. Das ergibt für uns nur Sinn, wenn wir die Inklusion transportieren«, sagt Volker Kohle, Vorstandsmitglied von Indiwi und einer der Jugger-Trainer, im Büro des Vereins. Im Raum stehen überall Kisten mit Flyern, Broschüren und Trikots für das Turnier. In den Ecken stapeln sich Pompfen und andere Spielgeräte neben zusammengefalteten Rollstühlen, im Nebenzimmer spielen Kinder Kicker, in der Werkstatt einen Raum weiter wird mit Holz gewerkelt.

Inklusion soll bei der 6. DKJM auf mehreren Ebenen realisiert werden: Das Gelände wird möglichst barrie­refrei zugänglich sein, die Jugger-Regeln werden in einer Broschüre in leichter Sprache erklärt. Geplant sind zudem Assistenzen vor Ort, Hinweise und Erklärungen in Piktogrammen sowie lautsprachliche Erklärungen und ein Rollstuhlparcours. »Wir hoffen noch sehr auf eine Gebärdendolmetscherin oder einen -dolmetscher, aber die sind schwer zu kriegen«, sagt Miko Kutter vom pädagogischen Team und Jugger-Trainer bei Indiwi. Man arbeite unter anderem auch mit Visualisierungen, so der Organisator des Turniers: »Die Pompfen werden mit Blinkern und akustischen Signalen ausgestattet.«

Auch ein Testspielfeld soll es geben, damit alle Jugger ausprobieren können. »Da versuchen wir, mit verschiedenen Barrieren zu spielen. Man kann sich zum Beispiel Brillen aufsetzen, die das Sehen erschweren. Dafür werden dann mehr akustische Mittel eingesetzt, um das Spiel zu regulieren«, erklärt Kutter. Das funktioniere auch umgekehrt, wenn man mit Kopfhörern spiele. »Dann braucht man für die Dinge, die akustisch laufen – eben die Trommel –, ein visuelles Signal. Wir führen eine Schwierigkeit ein und schauen, welche technischen oder sonstigen Hilfsmittel wir brauchen, um das wieder auszugleichen.« Menschen ohne und mit Behinderung könnten das dort gemeinsam testen.

Jugger biete sich vor allem wegen der Rollenverteilung als inklusiver Sport an, so Kutter. »Man kann verschiedene Leute integrieren, weil man verschiedene Fähigkeiten braucht. Als Läufer muss man was ganz anderes können, als wenn man eine Pompfe spielt.« An Jugger schätze Kutter auch das »Flair des Unperfekten«. Die Strukturen der relativ neuen Sportart entwickeln sich noch. »Man muss das auch mit einem wachsamen Auge beobachten, denn der Charme am Jugger ist ja ­gerade, dass es kein Verbandssport und nicht professionalisiert ist«, so Kutter, der 2017 über seine Kinder zum Jugger gekommen ist. Kohle ist seit 2016 dabei, seit er Jugger zum ersten Mal auf dem Tempelhofer Feld beim Training der Erwachsenen von Jugger e. V. gesehen hat. »Die Dynamik des Spiels ist sehr gut, man kann ganz unterschiedliche Sachen machen«, schwärmt er. »Man kann sich auspowern, hat den Zweikampf, aber insgesamt einen Teamsport.«

Den Wettbewerb im Sportbereich sehen die beiden Jugger-Trainer ­allerdings kritisch. »Inklusion und Leistung sind ein Widerspruch. Man muss den Leistungsaspekt rausnehmen«, sagt Kohle. Warum dann ein Wettbewerb wie die DKJM? »Mit dem Widerspruch müssen auch wir uns auseinandersetzen. Wir wollen ein Team aufstellen, und dass es so gut wie möglich abschneidet, aber auch, dass es ein inklusives Team ist«, so Kutter.

Damit bildet Indiwi selbst bei der 6. DKJM eine der wenigen Ausnahmen. Am 3. Mai 2008 trat die UN-Behindertenrechtskonvention in Kraft, die gleichberechtigte Teilhabe für alle Menschen fordert und die auch Deutschland unterzeichnet hat. Doch bislang geht es mit der Inklusion in Deutschland nicht nur im ­Arbeits- und Schulbereich langsam voran, es gibt auch nur wenige inklusive Sportvereine.

An einem Samstagvormittag im Mai auf dem Tempelhofer Feld in Berlin heißt es wieder einmal »Drei, zwei, eins – Jugger«. Von zwei Seiten des Spielfelds rennen mit Pompfen bewaffnete Kinder aufeinander zu, dazwischen wuseln die Läufer mit dem Jugg, Trommelschläge begleiten das Spiel. Die Teams von Indiwi trainieren für das große Turnier. »Es macht einfach großen Spaß«, erzählt Can* nach dem Training etwas verschwitzt am Spielfeldrand. Der Neunjährige ist seit anderthalb Jahren ­dabei. »Am liebsten spiele ich Langpompfe, am zweitliebsten Kette«, sagt er. Er würde mit seinem Team bei der bevorstehenden DKJM gern auf den zweiten oder dritten Platz kommen, denn »der Pokal für den ersten Platz ist golden und sieht nicht so schön aus wie der für den zweiten oder dritten«.

Vom Hundeschädel spricht bei diesem Training übrigens niemand. Es wird auch nicht mit einem Plastikhundeschädel gespielt wie in manchen anderen Jugger-Gruppen, der hier eingesetzte Jugg sieht eher aus wie eine zu groß geratene ovale Tablette. Die Kinder sind auch zu klein, um den namensgebenden Film anschauen zu dürfen. Selbst manche Trainer haben ihn nicht zu Ende gesehen. »Ich ertrage den nicht, nach zehn Minuten habe ich ausgemacht«, so Kohle. Nach »lustigen kleinen Trendsportarten, die etwas nerdig sind oder komisch«, suche er allerdings immer.
Das neue große Ding ist mittlerweile Quidditch, der Ballsport mit Besen aus der Fantasybuchreihe »Harry Potter«. Auch darin gibt es mittlerweile Meisterschaften. Bei ­Indiwi wird Quidditch auf den inklusiven Kinder- und Jugendreisen ­gespielt.

* Name von der Redaktion geändert