Au-pair als Ausbeutung

50 Cent pro Stunde

Albtraum Au-pair: Junge Frauen aus Indonesien werden von deutschen Gastfamilien als billige Arbeitskräfte ausgebeutet.

In Deutschland sind Tausende Au-pairs tätig. Das sind junge Erwachsene aus dem Ausland, die bei einer Gastfamilie wohnen und sie bei Kinderbetreuung und kleineren Haus­arbeiten unterstützen. Im Gegenzug erhalten sie Kost, Logis, Versicherungsschutz sowie ein Taschengeld. Ein zentraler Bestandteil ihres Aufenthalts soll es zudem sein, ihre Sprachkenntnisse zu vertiefen und die hiesige Alltagskultur kennen­zulernen. Dieses Tauschverhältnis hält das Wort Au-pair fest: Es bedeutet, ein auf gegenseitigem Nutzen beruhendes Verhältnis einzugehen, in dem das Au-pair einem Familienmitglied gleich aufgenommen wird. In Gesprächen mit vier Au-pairs aus Indonesien stellt sich jedoch heraus, dass die Realität oft anders aussieht.

Zwar gibt es Gastfamilien, die es mit der Gegenseitigkeit ernst meinen, aber viele suchen nur nach einem billigen Dienstmädchen. Sie vergleichen die Kosten für Kinderkrippe, Babysitting, Haushaltshilfe und Putzkraft mit denen für ein zeitlich flexibles, stets abrufbares Au-pair. Nicht selten versuchen Alleinerziehende, mit einem Au-pair die Doppelbelastung durch Beruf und Kind in den Griff zu bekommen.

»Die Bürokratie in Deutschland ist so schrecklich. Ich hatte immer das Gefühl, dass kein Fehler passieren darf, damit ich hierbleiben kann.«

»Wenn ich Überstunden gemacht habe, war ich Teil der Familie, wenn ich weniger gearbeitet habe, war ich nur das Au-pair-Mädchen. Vor Beginn meines Deutschkurses habe ich einige Monate zehn bis zwölf Stunden pro Tag gearbeitet. Als ich dann in einen Deutschkurs gegangen bin, hat meine Gastmutter begonnen, meine Stunden genau auszurechnen. Sie hat immer gemeckert, obwohl es selten unter 30 waren«, sagt Diah*, die nach ihrem Germanistikstudium als Au-pair nach Deutschland kam. »In den letzten Monaten ist es besonders schlimm geworden. Ich sollte mit ihrem Ex-Mann besprechen, wann er die Kinder hat, aber er ist einfach in den Urlaub gefahren und sie hat sich angeblich immer mit Freunden getroffen. Ich war mit den Kindern dann allein.«

Die Rahmenbedingungen des Au-pair-Status sind im Europäischen Abkommen über die Au-pair-Beschäftigung festgelegt, das Deutschland 1976 unterzeichnet, aber nie ratifiziert hat. Dennoch werde meist danach verfahren, heißt es in dem Merkblatt der Bundesagentur für Arbeit »›Au-Pair‹ bei deutschen Fami­lien«. Dem folgen Lobbyorganisationen wie das European Committee for Au Pair Standards (ECAPS) und Verbände wie die Au-pair Society e.V. oder die Gütegemeinschaft Au pair e.V., die daneben eigene Qualitätsstandards entwickelt haben. Entscheidend ist, dass dieses Abkommen Au-pairs einen Sonderstatus zwischen Arbeitskräften und Studierenden zuweist und sie als Schutzbedürftige definiert, für die mittels nationaler Regulierungen besondere Sorge zu tragen ist.

Zu den für Au-pairs gängigen Aufgaben gehört es, die Kinder morgens kindergarten- oder schulfertig zu machen, sie zu beaufsichtigen, mit ihnen zu spielen oder etwas zu unternehmen. Außerdem sollen sie den Kindern bei der Hausarbeit helfen, also beispielsweise ihr Zimmer aufräumen oder ihre Wäsche machen. Ferner arbeiten sie wie ein verantwortungsvolles Familienmitglied im Haushalt mit, etwa indem sie putzen oder Haustiere versorgen. Die Wochenarbeitszeit soll durchschnittlich 30 Stunden betragen. Bezahlter Urlaub und Freistellungen für kulturelle oder religiöse Zwecke sind vorgesehen.

»Ich war von sechs Uhr morgens bis spät abends beschäftigt. Pause machen konnte ich nie, weil das Baby immer da war. Ich musste kochen, putzen, die Wäsche machen und so weiter.«

Ganz anders bei Maharani*, die mit Anfang zwanzig als Au-pair das erste Mal ins Ausland reiste und die Kindererziehung und Haushaltsführung in der Gastfamilie beinahe vollständig übernehmen musste. »Ich war von sechs Uhr morgens bis in den späten Abend beschäftigt. Morgens musste ich den Tisch decken und das Frühstück vorbereiten. Etwas Kleines unternehmen oder Pause machen konnte ich nie, weil das Baby immer da war. Außerdem musste ich jeden Tag kochen, den Haushalt machen, also putzen, die Wäsche machen und so weiter. Meine Gastfamilie hat das nie gemacht. Das Baby der Gastmutter ist bei mir aufgewachsen. Ich habe mitbekommen, wie es laufen gelernt hat und die ­ersten Wörter gesagt hat. Ich war sehr traurig, als ich die Familie und das Baby verlassen musste, denn ich war ja wie eine Mutter.«

Als Kompensation für ihre Dienste sollen Au-pairs ein mindestens acht Quadratmeter großes, abschließbares Zimmer mit Tageslicht und ein Taschengeld in Höhe von 260 Euro pro Monat erhalten. Wie wichtig das wenige Geld ist, erläutert Maharani: »Ich habe meiner Familie immer 150 bis 200 Euro pro Monat geschickt. Ich wollte damit meinen jüngeren Brüdern helfen.« Hinzu kommt eine Privatversicherung, die die Haftpflicht, Unfälle und den Krankheitsfall abdeckt. Geschenke, Verpflegung und weitere Eventualitäten miteingerechnet, belaufen sich die ­monatlichen Gesamtkosten üblicherweise auf etwa 600 bis 700 Euro. Die Hin- und Rückflugtickets zahlen die Au-pairs sogar meist aus eigener Tasche. Maharani erinnert sich: »Ich konnte mir gar nicht vorstellen, überhaupt ins Ausland zu gehen, weil es so teuer ist. Der Durchschnittslohn in Indonesien liegt ja umgerechnet nur bei 165 Euro. Irgendwie hat es geklappt.«

Deutschkurse sollen mit 50 Euro zuzüglich der Anfahrtskosten bezuschusst werden, doch für Au-pairs aus Drittländern ist das wenige Geld keine große Hilfe, wie Arief* erzählt: »Das Geld bereitet mir die größten Sorgen. Der Deutschkurs und die öffentlichen Verkehrsmittel sind zum Beispiel sehr teuer. Ich plane deshalb alle meine Ausgaben ganz genau und gönne mir nichts. Trotzdem wird ein Studium nach dem Au-pair-Jahr wahrscheinlich zu viel kosten. Indonesier müssen nämlich für ein Studentenvisum 8.640 Euro auf ein Sperrkonto einzahlen. So viel Geld kann ich mir nicht leihen. Deshalb möchte ich erst eine Ausbildung machen und arbeiten. Ich möchte meine echte Familie schon finanziell unterstützen. Das ist aber nicht leicht. Ich habe sie wegen meiner Ziele verlassen, was sehr schwer für uns war. Nun möchte ich, dass sie stolz auf mich ist.«

Oft vergeben Gastfamilien Vermittlungsaufträge an sogenannte Au-pair-Agenturen. Sie wünschen sich überwiegend Au-pairs aus englischsprachigen oder anderen westlichen Ländern. 2017 stammten aber circa 6 115 von 13 500 Au-pairs aus Osteuropa, Brasilien, Kolumbien, Tansania und aus Ost- und Südostasien. Bei Problemsituationen wie beispielsweise einem Familienwechsel, Fragen nach Rechtssicherheit, interkultureller Kompetenz und geprüften Gast­familien ist es hilfreich, eine Agentur im Rücken zu haben. Allerdings reicht ein Gewerbeschein, um ins Vermittlungsgeschäft einsteigen zu können. Alternativ kann eine Agentur im Ausland beauftragt werden. Es liegt auf der Hand, dass dabei die Profitgenerierung dem Wohlergehen der Au-pairs mindestens gleichgesetzt wird. Da es keine Agenturpflicht bei der Au-pair-Vermittlung gibt, spielt die Selbstorganisation übers Internet eine immer größere Rolle. Auf Facebook oder in sogenannten Au-pair-Galerien stellen sich die jeweiligen Parteien vor und erläutern ihre Motivationen, Vorzüge und Vorstellungen. Nicht selten klaffen Selbstdarstellung und Realität weit auseinander. Detaillierte ­Informationen über den zukünftigen Arbeitsplatz und eindeutige Tätigkeitsbeschreibungen erhalten die Au-pairs vorab selten.

Setiawati* ist in einer guten Gastfamilie gelandet. »Die Zeit war wunderbar, sie ist mir unvergesslich. Als ich angekommen bin, hat mir meine Gastmutti einen Blumenstrauß, ein Eintracht-Trikot und ein Fahrrad geschenkt. Einmal im Monat sind wir ins Waldstadion zum Fußball gegangen. Wir sind ja große Eintracht-Fans. Erst habe ich mich zum Beispiel ­darum gesorgt, dass es ein Problem ist, dass ich Muslima bin und ein Kopftuch trage. Sie haben mich deshalb aber nicht anders behandelt. Sie sind sogar sehr besorgt um mein Essen gewesen. Ich habe jedes Essen gekriegt, das ich wollte. Ich musste auch keine Angst wegen des Visums haben und wenn etwas anfiel, haben sie mir sehr geholfen.«

Visa für Au-pairs aus Drittstaaten sind vergleichsweise leicht erhältlich. »Für mich war ein Au-pair-Jahr der einfachste Weg nach Deutschland. Es ist viel günstiger als ein Studenten­visum und ich konnte vor meinem Studium noch einmal Deutsch lernen.« Sollte es seitens der deutschen Auslandsvertretung und der zuständigen Ausländerbehörde keine Bedenken geben, muss der Bundesagentur für Arbeit nur noch eine Arbeitsplatzzusage vorliegen. Die beiden erstgenannten Institutionen verlangen teils nicht einmal Originaldokumente, wenn eine Agentur die Visa­angelegenheiten regelt. Die Bundesagentur für Arbeit verlangt allerdings einen von der Gastfamilie ausgefüllten Fragebogen, einen gültigen Arbeitsvertrag und eine Unterschrift des Au-pairs zur Bestätigung der Lektüre eines Merkblatts. Obwohl die Beschäftigungsdauer als Au-pair vertraglich mindestens sechs Monate betragen muss, muss innerhalb der ersten drei Monate nach Ankunft dem Aufenthaltsgesetz entsprechend erneut eine Aufenthaltsgenehmigung zum Zweck der Beschäftigung als Au-pair bis zum Vertragsende bei der Ausländerbehörde beantragt werden. »Die Bürokratie in Deutschland ist so schrecklich. Ich hatte immer das Gefühl, dass kein Fehler passieren darf, damit ich hierbleiben kann«, sagt Maharani rückblickend. »Ich dachte darüber nach, die Gastfamilie zu wechseln, hatte aber Sorgen, weil ich dann ein neues Jahresvisum hätte beantragen müssen.«

Es ist nicht vorgesehen, Gastfamilien genauer zu begutachten, bevor sie ein Au-pair beherbergen und für sich arbeiten lassen dürfen. Der Bundesagentur für Arbeit genügen Arbeitsvertrag und Fragebogen. Interkulturelle Kompetenzen sind beispielsweise sehr wichtig, wie Arief berichtet: »Es gab viele Missverständnisse. Deutsche sind immer sehr ­direkt. Ich bin es aus Indonesien gewohnt, nur indirekt zu sagen, was ich will. Das ist sonst sehr unhöflich. Ich bin aber hier, um die Kultur kennenzulernen. Auch wenn meine Gastfamilie einer anderen Kultur angehört, akzeptieren sie mich. Ich bin Moslem und esse zum Beispiel kein Schweinefleisch. Wir haben trotzdem ziemlich oft zusammen gegessen. Das finde ich gut.«

Wirkliche Missstände würden nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit aber verfolgt, auch wenn sie empfiehlt, darüber zuerst mit den privat geführten Au-pair-Agenturen zu beraten. Da junge Au-pairs unter anderem um ihren Aufenthaltsstatus fürchten oder anderweitigem Druck ausgesetzt sein können und Gastfamilien sich nicht selbst anzeigen, dringt selten etwas rechtlich Relevantes nach außen. Etliche Berichte über sexuelle Übergriffe, Passentzug, dunkle Kellerzimmerchen, unerträgliche Überstunden, Psychoterror und dergleichen finden sich etwa in diversen Magazinen und auf Videoportalen. Die Au-pairs, die zu Wort kommen, haben ihre Gastfamilien meist schon verlassen, bevor sie sich äußern. Kleine Vereine wie die Au-pair-Hilfe e. V. und ihre Netzwerke versuchen ihr Möglichstes, um die Betroffenen während ihrer Tätigkeit zu unterstützen.

Vielen jungen Erwachsenen bietet das Au-pair-Programm die einzige Möglichkeit für einen längeren Auslandsaufenthalt. Einmal in Deutschland angekommen, ist es dennoch reine Glückssache, wie ihre Gastfamilie sie behandelt. Entsteht kein gutes, einvernehmliches Verhältnis, stehen die Au-pairs mit dem Rücken zur Wand. »Ich habe mich gar nicht getraut, es offen zu sagen, wenn ich etwas nicht wollte«, berichtet Maharani. Diah erläutert: »Egal was passiert ist, ich versuche, dankbar zu sein, weil ich es ohne die Gastfamilie nicht nach Deutschland geschafft hätte.«

In Deutschland ist unter dem Deckmantel eines Quid-pro-quo-Kulturaustauschs ein dereguliertes Arbeitsverhältnis mit einem Stundenlohn von circa 50 Cent möglich, dem ein junger Mensch ohne lebenspraktische Kenntnisse der Gesellschaft, in der er sich aufhält, beinahe schutzlos ausgeliefert ist. Wenn die Bundesrepublik das Europäische Abkommen über die Au-pair-Beschäftigung ratifizieren oder eigene Maßnahmen einleiten würde, die darauf hinauslaufen, Au-pairs als Schutz­bedürftige mit einem Sonderstatus anzuerkennen und für sie Sorge zu tragen, wäre bereits viel gewonnen.

* Die Namen der Au-pairs wurden geändert.