»Hannibal«-Skandal

Keine Rechtsextremen, nirgends

Skandal? Welcher Skandal? Ein Netzwerk rechtsextremer Elitesoldaten hat sich in Chatgruppen über Umsturzpläne ausgetauscht. In den Medien der Bundeswehr erfährt man darüber nichts.

Es waren Mordpläne rechtsextremer Elitesoldaten gegen Politiker und Linke, die an Pläne für einen faschistischen Militärputsch erinnern – im November 2018 deckten die Tageszeitung Taz und das Magazin Focus unabhängig voneinander auf, dass sich ein militantes rechtes Netzwerk aus Soldaten, Reservisten, Polizisten und Mitarbeitern des Verfassungsschutzes im Umfeld des Vereins Uniter gebildet hatte. Diese »Schattenarmee« tauschte sich den investigativen ­Berichten zufolge in mehreren Prepper-Chatgruppen über den »Tag X« aus, den Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung, an dem unliebsame »Poli­tiker und Menschen aus dem linken Spektrum festzusetzen oder zu liqui­dieren« seien. Als Administrator der Chatgruppen fungierte »Hannibal« ­alias André S., ein 33jähriger Soldat der Eliteeinheit »Kommando Spezial­kräfte« (KSK), zugleich Vorsitzender und Mitbegründer des Vereins Uniter, in dem sich vor allem aktive und ehemalige Elitesoldaten und Polizisten seit 2012 organisieren und inzwischen sogar international paramilitärische Schulungen anbieten, wie weitere Taz-Recherchen ergaben.

Doch die Reaktionen in anderen Medien blieben ziemlich überschaubar. Das NDR-Medienmagazin »Zapp« brachte im Dezember, also einen Monat nach den ersten Berichten über das Netzwerk, einen Beitrag über die sehr unterschiedliche Reichweite wichtiger journalistischer Enthüllungen, in dem auch kritisiert wurde, dass speziell die öffentlich-rechtlichen Medien die Hannibal-Story kaum aufgegriffen hätten und generell wenig Folgeberichterstattung leisteten, wenn sie nicht an den Ausgangsrecherchen beteiligt seien. Im Unterschied dazu förderten die Schweizer Wochenzeitung Woz und die österreichische Tageszeitung Der Standard weitere Aspekte zu dem dubiosen Verein Uniter und dessen Verbindung zu Franco A. zutage, dem Oberstleutnant der Bundeswehr, dessen mutmaßlich rechtsterroristische Pläne 2017 herausgekommen waren.

Das »Hannibal«-Netzwerk, also der KSK-Soldat André S., der Verein Uniter und deren Umsturz­pläne, werden in der Zeitschrift des Reservistenverbands mit keiner Silbe erwähnt.

Während die Bundeswehr und das Verteidigungsministerium den Fall Franco A. vor zwei Jahren nicht ignorieren konnten, verhalten sie sich beim Hannibal-Skandal auffällig zurückhaltend. Der Zeitpunkt der ersten Ent­hüllung über den KSK-Soldaten André S. hätte kaum ungünstiger für die Bundeswehr ausfallen können, war doch tags zuvor eine großangelegte multimediale Werbeserie über das KSK angelaufen, »Kämpfe nie für dich allein«, die ganz zeitgemäß für die junge Zielgruppe über Youtube, Whatsapp und Instagram verbreitet wird. Die Wochenzeitung Bundeswehr aktuell wurde ­dagegen im November eingestellt, da das Verteidigungsministerium bei der Informationsarbeit, abgesehen von Werbeheften für Jugendliche wie der ­»Be-Strong-Infopost«, nunmehr digitale Medien nutzen will.

Bei den Beiträgen auf ihrer Website bundeswehr.de im vergangenen ­halben Jahr ist allenfalls zu bemerken, dass das Vorgehen des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) gegen sogenannte Extremisten stärker betont und ein wenig transparenter gemacht wird. Unter die Definition eines Rechtsextremismus, der zur Suspendierung bei der Bundeswehr führt, fallen hier insbesondere Reichsbürger. Vier Sol­daten wurden aus diesem Grund im vergangenen Jahr aus dem Dienst ­entlassen. Bei den übrigen 270 Fällen des Verdachts auf Rechtsextremismus, die der MAD für 2018 meldete und die keine Suspendierungen zur Folge hatten, bleibt unklar, wie extrem rechts die Soldaten eigentlich sein müssen, um als rechtsextrem eingestuft und suspendiert zu werden.

Im Unterschied zu den Presseerzeugnissen der Bundeswehr selbst hat die Zeitschrift des Reservistenverbands, die ausschließlich die 115 000 Verbandsmitglieder erhalten, ihre Aprilausgabe dem Thema »Wie rechts ist die Bundeswehr?« gewidmet. Loyal – das monatliche »Magazin für Sicherheitspolitik« heißt wirklich so – besteht zur Hälfte aus einem durchaus lesenswerten ­redaktionellen Teil, in dem es um Geopolitik, Auslandseinsätze der Bundeswehr und bewaffnete Konflikte weltweit geht, und dem Verbandsteil ­namens »Die Reserve«, in dem vor allem aus den Landesgruppen des Reservistenverbands berichtet wird. Regelmäßiger embedded journalism zum Beispiel aus Afghanistan schildert dabei recht unverblümt die Gefahrenlage vor Ort, auch für die dort lebende Bevölkerung, so dass Verlautbarungen von deutschen Regierungsvertretern, dass Afghanistan ein »sicheres Herkunftsland« sei, vor diesem Hintergrund als blanker Zynismus erscheinen müssen.

Wie heikel das Thema Rechtsextremismus in Bundeswehr und Reserve indessen ist, sieht man daran, dass die sechs langen Artikel zur Titelfrage ­allesamt vom Loyal-Chefredakteur, vom leitenden Redakteur der Reserve oder von der Leiterin der Verbandskommunikation verfasst sind. Die Auseinandersetzung mit dem Thema soll also möglichst von oben kontrolliert werden. Im Vordergrund steht dabei weniger, wie rechts die Bundeswehr im Schnitt wohl ist, sondern wie rechts Soldaten sein dürfen, um noch im Sinne des Leitkonzepts »Innere Führung« als grundgesetzorientierte Bürger in Uniform gelten zu können. Im Editorial der Ausgabe wird die Haltung zu »unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung« als maßgebliches Kriterium beschworen.
Im Verbandsteil wird in einem programmatischen Artikel zum Umgang mit rechtsextremen Reservisten darauf hingewiesen, dass es seit 2008 als ­unvereinbar gilt, zugleich Mitglied der NPD und des Reservistenverbands zu sein. 2011 wurde zudem die Satzung verschärft, um »Extremisten – egal welcher Couleur –« leichter die Verbandszugehörigkeit entziehen zu können. Seitdem seien 37 Mitglieder wegen rechtsextremer Aktivitäten ausgeschlossen worden. Die Verbandssprecherin merkt an, dass »das rechte Spektrum heute größer« sei und es hinsichtlich der Identitären Bewegung, rechtsextremer Burschenschafter, Reichsbürger und allgemein der Neuen Rechten schwieriger sei, »Extremisten« schnell zu erkennen, zumal der MAD nur beorderte, also im Rahmen der Bundeswehr aktive Reservisten überprüfe.

Bei Gewalt- oder gar Mordaufrufen in sozialen Medien etwa gegen Flüchtlinge sehe es anders aus, der Rauswurf erfolge in solchen ­Fällen reibungsloser. Allerdings stellt die Autorin ­direkt danach fest: Wenn ein Reservist »bei Facebook mit schwarzem Shirt und Glatze auf Fotos zu ­sehen ist, auf denen er am 20. April eine Torte mit der Zahl 88 in die ­Kamera hält, dann muss man entscheiden: Kann das Zufall sein oder ist es ein Fall für den Rauswurf?« Vielleicht war es ja doch nur ein Schabernack.

Besonders fragwürdig erscheint daneben der Loyal-Artikel über das KSK und seine skandalgebeutelten Elitesoldaten: An den öffentlich bekannten Beispielen von Pascal D. (Hitlergruß bei der Abschiedsfeier) und Daniel K. (Reichsbürger­parolen) wird diskutiert, ob es ein »systematisches Problem« (Martina Renner, Linkspartei) mit Rechtsextremen in der Elitetruppe geben könnte. Einige ehemalige KSK-Soldaten äußern sich exklusiv und anonym über ihre Spezialeinheit, um sie in ein besseres Licht zu rücken. Nur unterscheiden sich ihre politischen Aussagen, etwa Mutmaßungen über Pläne der Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU), zusammen »mit linken Medien« das KSK in Verruf zu bringen, kaum von der ebenfalls zitierten Rechtfertigung Daniel K.s nach seiner vorläufigen Suspendierung im Februar: »Wer mich kennt, weiß, dass ich ein ­zutiefst nationalkonservativer Patriot und überzeugter Spezialkräftesoldat bin, aber definitiv kein Nazi.«

Wirklich irritierend an der Loyal-­Titelgeschichte ist aber vor allem, dass das »Hannibal«-Netzwerk, also der KSK-Soldat André S., der Verein Uniter und deren Umsturzpläne, mit keiner Silbe erwähnt werden – nicht, wenn es um rechtsextreme Tendenzen im KSK geht, und auch sonst an keiner Stelle. Der größte Skandal des vergangenen Jahres im Umfeld der deutschen Streitkräfte wird hier, wie von Seiten der Bundeswehr insgesamt, nur beschwiegen.