Schlager statt Hymnen

Homestory #20

Bertolt Brecht oder Xavier Naidoo? Die Deutschen suchen eine neue Hymne.

Die deutsche Nationalhymne erklingt vor jedem Spiel der deutschen Fußballauswahlmannschaft; wer nicht mitsingt, verwirkt mittlerweile in den Augen der Öffentlichkeit sein Recht, für das Team zu spielen. Selbst vor dem Finale des DFB-Pokals, wenn sich kommende Woche in Berlin Teams aus Leipzig und München mit Spielern aus Ungarn, der Schweiz, Österreich, Frankreich, Dä­nemark, Schweden, Portugal, Brasilien, Polen und anderen Ländern gegenüberstehen, wird sie gespielt.

Der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow sprach sich vergangene Woche für eine neue Hymne aus. »Ich singe die dritte Strophe unserer Nationalhymne mit, aber ich kann das Bild der Naziaufmärsche von 1933 bis 1945 nicht ausblenden«, begründete der Politiker der Linkspartei sein Ansinnen.

Nun hat man es in der Redaktion der Jungle World nicht so mit dem Nationalen. Insofern könnte uns diese Diskussion einerlei sein. Doch als Alternative schlugen Ramelow und Parteifreunde Bertolt Brechts »Kinderhymne« vor. Brecht – immerhin. Hören wir doch mal rein: Von Leidenschaft ist da die Rede, mit der ein gutes Deutschland zum Blühen gebracht werden soll; von Völkern und von der Liebe zum Land. Nein, die Kinderhymne kann uns auch nicht überzeugen.

Da es um Musik geht, könnten wir ja eigentlich mal unsere Nachbarn vom Tonstudio fragen. Da sind, wie wir kürzlich an dieser Stelle berichteten, bisweilen richtige Berühmtheiten zu Gast. Vor ein paar Tagen wurde im Hof unserer Fabriketage ein Musiker gesichtet, mutmaßlich auf dem Weg ins Studio, der zwar durchaus berühmt ist, in den vergangenen Jahren aber wegen seiner Nähe zur sogenannten Reichsbürger-Bewegung mindestens genauso oft in den Schlagzeilen war wie wegen seiner Musik: Xavier Naidoo. In einem seiner Lieder textete er in Anspielung auf die jüdische Bankiersfamilie Rothschild, »Baron Totschild« gebe hierzulande den Ton an. In seinem Lied »Marionetten« verglich er Politiker mit Marionetten, die von Puppenspielern kontrolliert werden – bis »wir euch mit scharfer Schere von der Nabelschnur Babylons trennen«. Von Fachleuten wurden diese Liedtexte Xavier Naidoos als antisemitisch kritisiert. Antisemit will Naidoo aber keinesfalls genannt werden – dafür zog er erfolgreich vor Gericht.

Das ist also auch keine Option. Am besten lassen wir einfach den ganzen Nationalhymnenquatsch und feiern stattdessen eine ­wilde Schlagerparty. Zum Beispiel am Samstag im Berliner Festsaal Kreuzberg, moderiert von Patsy l’Amour laLove und Doris Belmont, mit den Stargästen Arie Oshri, Transophonix und Sophie Dieschong-Senf – anlässlich des Eurovision Song Contest, der ­dieses Jahr in Tel Aviv stattfindet. Da schwingt womöglich sogar unser Kollege die Hüften, der just von einer Tour mit einer Doom-Metal-Band zurückgekehrt ist.