Sportler als Zirkuspferde

Wrestling bis zum Herzstillstand

Ausgebeutet, austauschbar und mit Anabolika aufgepumpt: Wrestler arbeiten in den USA unter prekärsten Bedingungen. Die meisten bleiben im Ring, bis der Körper kollabiert.

Die Bedingungen, unter denen professionelle Wrestler arbeiten, hat CM Punk, bürgerlich Phil Brooks, vor einigen Jahren überaus deutlich ­beschrieben. Der ehemalige Wrestler, der acht Jahre lang für den Beinahemonopolisten WWE (World Wrestling Entertainment) in den Ring stieg, zog sich 2014 freiwillig aus dem Sport zurück; als Grund nannte er vor ­allem den brutalen Umgang mit der Gesundheit der Sportler. Nach einer Gehirnerschütterung habe ihn beispielsweise der Teamarzt gedrängt, trotzdem am nächsten Tag auf Europa-Tour zu gehen.

»Jeder weiß, wenn du eine Verletzung hast, arbeitest du trotzdem. Denn sonst verlierst du deinen Platz.«

CM Punk trat immer wieder gesundheitlich angeschlagen auf und musste sich nach eigenen Aussagen nach jedem Kampf übergeben. Der Arzt habe ihn deshalb so mit Medikamenten zugedröhnt, dass er sich bei einem smackdown »in die Hose geschissen« habe. Er sei psychisch in einem völlig desolaten Zustand ­gewesen. Der ehemalige Wrestler berichtete zudem, fehlende Verletzungspausen seien normal, oft sei er schon während seiner Krankenhausaufenthalte für den nächsten Kampf eingeplant worden. Und so beschloss CM Punk schließlich, sich aus dem Wrestling zurückzuziehen – was er sich leisten konnte, im Gegensatz zu vielen Kollegen.

Die vorzeitigen Todesfälle unter Wrestlern waren jüngst wieder ein Thema in der Öffentlichkeit, diesmal in der US-amerikanischen Satire­sendung »Last Week Tonight« mit John Oliver, die auf umfangreiches Material zurückgreifen konnte. Lance Cade, der 2010 mit nur 29 Jahren ­wegen des Missbrauchs von Schmerzmitteln an Herzversagen starb, wird in der Sendung mit den Worten ­zitiert: »Jeder weiß, wenn du eine Verletzung hast, arbeitest du trotzdem. Denn sonst verlierst du deinen Platz.« Superstar Bret Hart kommt ebenfalls zu Wort, er sagt über den Vorstandsvorsitzenden der WWE, Vince McMahon: »Vince hat Wrestler immer wie Zirkustiere behandelt. Wenn die Karriere vorbei ist, haben viele nichts mehr. Dann entsorgen sie dich, das ist das Leben eines Profi-Wrestlers.« Und Roddy Piper, der wie andere seiner Kollegen aus finanzieller Not nicht mit dem Wrestling aufhören konnte, sagte: »Es gibt keinen Austrittsplan. Was soll ich ­machen, wenn meine Rente erst mit 65 anfängt? Ich schaffe es realistisch betrachtet sowieso nicht bis 65.« 2015 starb er mit 61 Jahren an einem Herzstillstand.

»Vince hat Wrestler immer wie Zirkustiere behandelt. Wenn die Karriere vorbei ist, haben viele nichts mehr. Dann entsorgen sie dich, das ist das Leben eines Profi-Wrestlers.«

Nicht erst seit Darren Aronofskys Drama »The Wrestler« von 2008, in dem ein sozial abgestürzter ehemaliger Wrestler trotz eines Herzinfarkts noch einmal in den Ring steigt, wird die Not der Kämpfer gelegentlich halbherzig diskutiert. Dass es den Wrestlern besonders dreckig geht, liegt zum einen an den Vertragsbedingungen in der Branche. Wrestler und Wrestlerinnen müssen bei ihrer Organisation offenbar unterschreiben, für niemand anderes zu kämpfen, und befinden sich faktisch im Besitz mächtiger Unternehmen, zumeist der WWE, sind aber trotzdem nicht fest angestellt. Auf dem Papier sind sie Freiberufler und damit ohne Ansprüche und Mitbestimmungsrechte. Es gibt für die Kämpfer weder eine Sommerpause noch eine automatische Gesundheitsversicherung oder eine Rente; sie müssen dort antreten, wohin der Boss sie schickt. In einer Welt ohne Gewerkschaft und externe Kontrollen sind sie dem Unternehmen schutzlos ausgeliefert. Und das ist nicht das einzige Problem.

Denn die Basis für Ausbeutung liegt im Charakter des Berufs selbst. Beim Wrestling zählt bekanntlich nicht die sportliche Leistung allein. In einer Branche, die sich zwischen Show, Schauspiel und Sport bewegt, ist nicht nur für Außenstehende schwer nachvollziehbar, warum der eine Wrestler zum Champion auserkoren, der andere abgeschrieben wird. Ohne ­objektive Leistungskriterien ist jeder ersetzbar, und Ersatz ist in der Milli­onenbranche schnell gefunden. Wer sich wehrt, ist raus.
In den meisten Profisportarten ist mit Mitte 30 Schluss. Für die Athleten ist das schmerzhaft, aber abzusehen und planbar. In einem Theatersport wie Wrestling, in dem man noch mit 60 Jahren in den Ring steigen kann, ist der Zeitpunkt des Ausstiegs nicht so klar vorgegeben. Und wer, wie die meisten, nichts anderes gelernt hat, bleibt dabei, solange es ­irgendwie geht – bis der Körper kollabiert.

In einer Studie von 2014 wurden die Todesfälle männlicher US-amerikanischer Profi-Wrestler zwischen 1985 und 2011 mit Sterbealter und Todesursachen der durchschnittlichen männlichen Bevölkerung abgeglichen. Dabei bestätigten die Forscher nicht nur das frühe Sterben der Sportler – 16 Prozent der Verstorbenen wurden keine 50 Jahre alt –, sondern verwiesen auch auf die Hauptursache: 38 Prozent der Tode wurden durch Herzprobleme verursacht. Insgesamt, so stellten die Wissenschaftler fest, hätten Wrestler eine 15 Mal höhere Wahrscheinlichkeit, an Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu sterben. Außerdem stürben sie um ein Vielfaches öfter an Drogenüberdosis oder Suizid als die Männer der Vergleichsgruppe. Nur die wenigsten der verstorbenen Wrestler hatten aber für die WWE oder ihren Vorläufer gearbeitet, der Markt ­damals war viel stärker fragmentiert.

»Wir haben alle möglichen Drogen genommen, wir haben alles gemacht, um unseren Platz im Fernsehen zu ­behalten.«

Die gestählten Muskelberge im Wrestling entstehen zumeist nicht auf natürlichem Weg. In den achtziger Jahren wurden Anabolika eingesetzt; mit den Jahren bemühte sich die WWE zwar, diese und andere illegale Mittel durch Dopingkontrollen einzudämmen, kümmerte sich aber nicht um die Ursachen, nämlich das Idealbild des Wrestlers und die oft chronischen Schmerzen, die diese Art von Profi-Wrestling verursacht. Die Profis fanden Auswege: Muskelwachstum durch raffiniertere Mittel, Schmerz lindern durch legale Schmerztabletten und Alkohol. Das passiert sogar vergleichsweise offen, entsprechende Berichte gibt es viele. »Alle in der Kabine helfen einander (mit Tabletten) aus«, schrieb der ehemalige Wrestler Hardcore Holly in seiner Autobiographie. »Das ist ein ungeschriebenes Gesetz. Die Chefs wissen, dass das passiert, und verschließen die Augen.« Kollege Sean Waltman erzählte: »Ich kam in ein Unternehmen voller Leute, die jede Nacht Tonnen von Tabletten und Tonnen von Alkohol konsumierten. Ich geriet ziemlich schnell selbst in diesen Strudel.« Und der ehemalige Wrestler Marc Mero sagte: »Wir haben alle möglichen Drogen genommen, wir haben alles gemacht, um unseren Platz im Fernsehen zu ­behalten.«

Zwar hat die WWE seit dem tablettenbedingten Herztod des Superstars Eddie Guerrero im Jahr 2005 ein eigenes Gesundheitsprogramm, zu dem neben Herztests auch verschärfte Dopingkontrollen zählen. Aber auch diese Kontrollen haben ­allerhand Schlupflöcher, wie es zu erwarten ist, wenn ein Veranstalter seine eigenen Stars kontrolliert. Beinahe sicher ist auch, dass die Herzprobleme nicht allein von Medikamenten stammen: Der Studie von 2014 zufolge waren 98 Prozent der untersuchten Wrestler übergewichtig oder krankhaft fett. Wer ihnen wirklich helfen möchte, müsste also das Körperbild eines ganzen Sports verändern.

Viele Sportler aber forcieren dieses Bild selbst. Es bleibt die offensichtliche Frage: Warum tun Wrestler ihren Körpern das an? Wrestling ist ein Sport der unteren Schichten und hat eine lange Tradition. Ähnlich wie ­Boxen oder Football ist Wrestling ein sehr physischen Sport; die Möglichkeit, nur mit körperlichen Fähigkeiten Karriere zu machen, hat Menschen, denen der Zugang zu höherer Bildung häufig verwehrt war, immer angezogen. Durch das Fernsehen und das Internet hat es Wrestling geschafft, in den USA und anderswo auch ein gutbürgerliches Publikum zu gewinnen, aber die Sportler sind weiterhin meist working class heroes. Ihre Körper sind Statussymbol und auszubeutende Arbeitskraft zugleich. Wer würde auf höchster Ebene aufgeben? Lieber weiter Tabletten schlucken.

Die großen Gewinne aber fließen an Veranstalter wie Vince McMahon. Der Unternehmer hat gute Verbindungen ins konservative Establishment. Seine Frau Linda McMahon trat mehrfach für die Republikaner an und finanzierte die Wahlkam­pagnen aus dem üppigen Privatvermögen der Familie. 2017 wurde sie von Donald Trump als Leiterin der Small Business Administration ­eingesetzt. Gesundheitsversicherung oder gar Renten für die Wrestler der WWE? »Das ist so ein kompliziertes Thema«, sagte Linda McMahon 2017 der Las Vegas Sun. Das derzeitige Programm der WWE hat die Fürsorge ausgeweitet, nach Angaben des Unternehmens gibt es mittlerweile bezahlten Urlaub, Lebensversicherungen, freie Tage im Krankheitsfall und eine Versicherung für den Fall einer Behinderung. Über der langen Liste von Annehmlichkeiten steht online allerdings die Einschränkung »may include« – garantiert wird also nichts.