Streit um SS-Freiwillige in Finnland

Der Brauer und die SS-Brüder

In Finnland wird die Rolle der SS-Freiwilligen diskutiert. Da der Vorsitzende eines finnischen SS-Veteranenverbands eine Kneipe in Prenzlauer Berg eröffnet hat, beschäftigt der Geschichtsstreit auch Berlin.

Was hat die Antifa gegen eine Craft-Beer-Kneipe? Das erklärte kürzlich David Kiefer vom »Berliner Bündnis gegen rechts« in den Räumen des sozialistischen Bildungsvereins »Helle Panke«. Es geht um die Brauereikneipe »Bryggeri Helsinki« am Helmholtzplatz in Prenzlauer Berg, in der finnisches Craft Beer ausgeschenkt wird. Die Proteste gegen Bryggeri Helsinki haben für großes Aufsehen gesorgt, obwohl zu Beginn nur einige hundert Flugblätter in die Briefkästen der Nachbarschaft gesteckt wurden. Das Boulevardblatt Berliner Kurier fasste Ende März in einer Schlagzeile zusammen, worum es bei der Aufregung geht: »SS-Wirt von Prenzlauer Berg: Darf so einer in Berlin Bier zapfen?« Daneben war ein Foto des Geschäftsführers von Bryggeri Helsinki zu sehen, auf dem er mit einem Helm der Waffen-SS posiert.

Kiefer führte vor deutsch-skandinavischem Publikum während der Geschichtsveranstaltung mit dem Titel »Von Wiking bis Brüderhilfe – Finnland, II. Weltkrieg, die Waffen-SS und heutige Geschichtsnarrative« aus, was es mit der Geschichte auf sich hat. Es fing ihm zufolge mit einem Artikel in der Taz an, der anlässlich der Lebensmittelmesse »Grüne Woche« Mitte Januar erschienen war. Die Zeitung hatte berichtet, dass Pekka Kääriäinen, der Geschäftsführer des finnischen Unternehmens Bryggeri Helsinki, das auf der »Grünen Woche« Craft Beer ausschenkte, einem SS-Veteranenverein namens Veljesapu-Perinneyhdistys ry (Brüderhilfe e. V.) vorstehe. In dem Artikel wurden zwei weitere für Antifaschisten in­teressante Dinge erwähnt: Die Betreiber der »Grünen Woche«, die in diesem Jahr das Partnerland Finnland hatte, störten sich nicht am Engagement des Brauers in dem SS-Veteranenverein; zudem hatte dieser kürzlich eine Filiale in Prenzlauer Berg eröffnet.

Einige Wochen später, nachdem entsprechende Kurznachrichten auf Twitter die Runde gemacht hatten, die Flugblätter verteilt worden waren, die Taz mehrfach über den Fall berichtet hatte und auch andere Zeitungen die Geschichte aufgegriffen hatten, sah die Lage bereits ganz anders aus. Einigkeit herrschte in den Medien darüber, dass Kääriäinens Engagement in dem Verein »aus deutscher Sicht Befremden auslöst«, wie es die FAZ formulierte. Doch in anderen Fragen blieb die öffentliche Diskussion kontrovers: Sollten ausgerechnet Deutsche Finnen Geschichtsunterricht erteilen? Ist jemand als Nazi zu bezeichnen, weil er einem SS-Veteranenverein vorsteht? Kann zwischen dem Geschäftsmann, der Bryggeri Helsinki leitet, und dem Privatmann, der seit mehr als zehn Jahren der »Brüderhilfe« vorsteht, unterschieden werden? Ist ein Boykott von Bryggeri Helsinki angemessen, der noch weitere Menschen träfe?

Solche Gedanken machten sich etliche Schreiber, wobei sich Hannah Bethke in der FAZ mit ihrem Kommentar mit dem Titel »Berliner Bündnis gegen rechts: Radikal dumm« besonders hervortat. »Kääriäinen ist von den Anfeindungen tief getroffen. Vom Vorsitz des Traditionsvereins ist er zurückgetreten«, schrieb sie. Offenbar hatte sie zuvor jedoch keinen Blick in das finnische Vereinsregister geworfen, in dem für diesen Verein bislang keine Änderungen registriert wurden. Auch auf der Homepage des Vereins wird Kääriäinen weiter als Vorsitzender geführt. Bethke kam zu dem Schluss, die Gegner des Kneipiers hätten »die politische Deutungs­hoheit für sich beansprucht und selbst vor übler Diffamierung« nicht zurückgeschreckt.

Wurde Kääriäinen unrecht getan? Während der Veranstaltung des »Berliner Bündnisses gegen rechts« wurde die Geschichte des Vereins so beschrieben: Schon 1941 gründete sich mit ­Aseveljet (Waffenbrüder) eine Vertretung der finnischen SS-Freiwilligen. Nach der Waffenstillstandsvereinbarung zwischen Finnland und der Sowjet­union 1944 verbot die Alliierte Kontrollkommission die Organisation. Die ehemaligen SS-Freiwilligen erhielten für ihren Ostfronteinsatz keine Veteranenrente vom finnischen Staat. In der Nachkriegszeit stellte die finnische Staatspolizei vereinzelt Ermittlungen gegen Veteranen an, allerdings gab es keine Verurteilungen. Die Geschichte des finnischen Waffen-SS-Bataillons wurde zunächst eher verdrängt. Erst 1955 gründete sich die Nachfolgeorganisa­tion von Aseveljet, der eingetragene Verein Veljesapu. Dieser gibt immer noch das Magazin Achtung heraus, organisiert jährliche Treffen, Vorträge und Ausstellungen. Dem Verein trat nur ein Drittel der 1 408 Veteranen bei.

Nach eigenen Angaben hat Veljesapu zurzeit über 300 Mitglieder. Die Zahl der tatsächlichen SS-Veteranen dürfte mittlerweile überaus niedrig sein. Der Verein finanzierte in der Vergangenheit zwei Gedenksteine, einen in der Ukraine und einen auf dem Veteranenhügel des Hietaniemi-Friedhofs in Helsinki. Auf Letzterem wird die Waffen-SS nicht erwähnt, es ist nur von finnischen Freiwilligen in den deutschen Streitkräften die Rede. Der Gedenkstein wurde 1983 errichtet. Veljesapu unterhielt auch en­ge Kontakte zur »Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS«, deren Bundesverband von 1951 bis 1992 bestand, während lokale Abteilungen weiterhin existieren. Im Zuge der Kontakte zwischen deutschen und finnischen SS-Freiwilligen kam es auch zu Besuchen des ehemaligen Divisionskommandeurs Felix Steiner in Finnland. Veljesapu hat die Diskussion über die Waffen-SS-Freiwilligen über Jahrzehnte maßgeblich bestimmt, unter anderem indem der Verein niedergeschriebene Fronterlebnisse in Buch- und Magazinform herausgab.

Skandinavische Medien griffen die Berliner Diskussion um Bryggeri Helsinki mit großem Interesse auf, auch weil im Zuge einer wissenschaftlichen Veröffentlichung zu den finnischen ­SS-Freiwilligen in diesem Winter ähnliche Diskussionen entbrannt waren wie in den neunziger Jahren in Deutschland anlässlich der Wehrmachtsausstellung. Historiker sehen die Rolle des Brauereiwirts kritisch: Kääriäinen war fast zehn Jahre lang der Vorsitzende des Vereins und hat in diesem Amt zahl­reiche Interviews gegeben, zum Beispiel im September 2018 der größten finnischen Tageszeitung Helsinki Sanomat. Er kritisierte die neuesten Studien unter anderem von André Swanström. Diese würden Sachen vermischen. Zudem sagte er, die beste Quelle über die Veteranen sei die vierteljährlich erscheinende Vereinszeitung Achtung. Die jüngste Ausgabe beschäftigt sich mit den Themen Fronturlaub, Reisen und Weihnachtsvorbereitungen.

Kääriäinens Anliegen ist die Weißwaschung der SS-Freiwilligen. Gern zieht er sich auf die Aussage zurück: »Krieg ist nunmal Krieg.« Sein Einsatz in Berlin scheint jedoch vorbei zu sein. Dem »Berliner Bündnis gegen rechts« zu­folge soll er Anfang der Woche als Geschäftsführer zurückgetreten sein.