Israel nach der Wahl

Er macht's noch einmal

Benjamin Netanyahu steht nach den Parlamentswahlen vor seiner fünften Amtszeit. Das Wahlergebnis zeigt, wie stark die israelische Gesellschaft nach rechts gerückt ist.

Nachdem es in der Wahlnacht lange Zeit so aus­gesehen hatte, als würden Benjamin Netanyahus Partei Likud und das Bündnis Kahol Lavan (Blau-weiß) seines Herausforderers Benny Gantz gleichauf liegen oder als könnte Gantz sogar die Nase vorn haben, wurde am Ende doch der Likud mit 36 der 120 zu vergebenden Sitze die stärkste Partei im israelischen Parlament, der Knesset. Kahol Lavan kam auf 35 Sitze. Zusammen mit den übrigen rechten und den religiösen Parteien, die sich alle für eine Fortsetzung der Koalition mit dem Likud ausgesprochen haben, kann sich Netanyahu auf eine Mehrheit von 65 Sitzen stützen. Die im weitesten Sinne linken Parteien – die sozialdemokratische HaAvoda, die linksliberale Meretz und die sozialistisch-arabische Listenverbindung Hadash-Ta’al – haben zusammen gerade einmal 16 Sitze, deutlich weniger als in der letzten Knesset.

Die Wahlergebnisse bestätigen die in den vergangenen 20 Jahren stattgefundene Rechtsverschiebung in der israelischen Gesellschaft.

Im Vergleich zu den Parlamentswahlen von 2015 konnte der Likud noch einmal drei Prozentpunkte zulegen. Das Ergebnis ist jedoch keineswegs so deutlich, wie es diese Zahlen suggerieren. Kahol Lavan, ein Bündnis der vom ehemaligen Generalstabschef Gantz neu gegründeten Partei Hosen Le’Ysrael und der zentristischen Partei Yesh Atid des früheren Fernsehmoderators Yair Lapid sowie der Telem-Partei Moshe Ya’alons, war in der Lage, den Wahlausgang bis zum Schluss offen zu halten. Die Ergebnisse bestätigen zwar die Rechtsverschiebung, die in den vergangenen 20 Jahren in der israelischen Gesellschaft stattgefunden hat, doch das Land ist weiterhin tief gespalten zwischen dem nationalistischen und religiösen Lager auf der einen Seite und dem liberalen und linken auf der anderen. Nur ein Viertel der Abgeordneten sind Frauen, immerhin eine mehr als 2015.

Zwei weitere Ergebnisse der Wahl verdienen ein besonderes Interesse. Zum einen haben es zwei der besonders radikalen nationalistischen Parteien nicht ins Parlament geschafft. Moshe Feiglins Partei Zehut, die eine krude Mischung aus kulturellem Liberalismus, antiarabischem Rassismus und großisraelischem Nationalismus vertritt, scheiterte relativ deutlich an der 3,25-Prozent-Hürde. Die Partei ­HaYamin HeHadash (Neue Rechte), angeführt von Naftali Bennett und Ayelet Shaked, verfehlte diese Vorgabe nur um wenige Stimmen. Damit ist weiterhin nur ein explizit am meisten rechtsstehende Parteienbündnis in der Knesset vertreten, nämlich die aus der früheren Nationalreligiösen Partei hervorgegangene Ihud Miflagot HaYamin (Union der rechten Parteien). Zwar ist dieses Bündnis das mit Abstand rechtsextremste, das es je in eine Knesset geschafft hat – zu ihm gehört auch die indirekte Nachfolgerin der 1985 wegen Rassismus verbotenen Kach-Partei, Otzma Yehudit. Doch das Bündnis ist mit fünf Abgeordneten um drei Sitze schwächer als die im Bündnis vertretene Partei HaBayit HaYehudi in der letzten Knesset innehatte.

Die Wahl zeigt nichts Geringeres als die Auflösung des linkszionistischen, sozialdemokratischen Sektors.

Zum anderen zeigt die Wahl nichts Geringeres als die Auflösung des linkszionistischen, sozialdemokratischen Sektors. Die Arbeitspartei erhielt nicht einmal viereinhalb Prozent der Stimmen und damit nur noch sechs Mandate. Gleich viele Sitze und einige Stimmen mehr erreichte das Bündnis Ha­dash-Ta’al, das programmatisch mit der deutschen Linkspartei vergleichbar ist, allerdings überwiegend von arabischen Israelis getragen und gewählt wird. Meretz hat es wohl nur deshalb über die 3,25-Prozent-Hürde geschafft, weil die Partei relativ viele arabische Wählerinnen und Wähler mobilisieren konnte. Als relevante politische Kraft existiert der Linkszionismus derzeit nur noch dank der Unterstützung eines Teils der arabischen Israelis. Darin spiegelt sich auch der weltweite Niedergang der Sozialdemokratie wider. Doch die Niederlage ist auch Folge dessen, dass es die Arbeitspartei aufge­geben hat, ein Gegenmodell zur herrschenden, von der Rechten bestimmten Sicht auf die politische Situation in Israel zu präsentieren.

Für Netanyahu ging es bei diesen Wahlen um mehr als nur um den Erhalt der Macht. Gegen ihn soll in drei Fällen Anklage wegen Bestechlichkeit, Betrug und Untreue erhoben werden, ein vierter Fall wird geprüft. Sollte es zu einer Verurteilung kommen, droht ihm eine beträchtliche Haftstrafe. Mit einer Wiederwahl im Rücken erhoffte sich Netanyahu bessere Karten in der Auseinandersetzung mit den Richtern und Staatsanwälten. Nur aus diesem Grund und ohne jede politische Notwendigkeit hatte er die ­Regierung aufgelöst und die eigentlich erst im Herbst anstehenden Wahlen vorgezogen. Seitdem klar ist, dass Anklage gegen ihn erhoben werden wird, richtet sich das politische Handeln Netanyahus im Wesentlichen an dem Ziel aus, eine Verurteilung zu verhindern. Dabei waren weder die politischen noch die militärischen Institutionen des Landes vor Eingriffen sicher. Es steht zu erwarten, dass er sich in der neuen Legislaturperiode noch intensiver der eigenen Selbstverteidigung widmen wird.

Der Wahlkampf wurde von Netanyahu dann auch mit entsprechender Rücksichtslosigkeit geführt. Persönliche Angriffe gegen Gantz gehörten ebenso zum Repertoire wie die absurde Behauptung, dass dieser vom Iran gesteuert sei. Besonders über soziale Netzwerke wurden jede Menge Unwahrheiten und Denunziationen politischer Gegner verbreitet. Entscheidend für den Ausgang der Wahl war allerdings eher, dass Netanyahu seine Wiederwahl zur einzigen Möglichkeit stilisieren konnte, eine »linke« Regierung zu verhindern, die am Ende von einer Tolerierung durch die arabischen Parteien abhängig sei. Obwohl Kahol Lavan alles andere als eine linke Liste ist und niemals zu einer Kooperation mit den arabischen Parteien bereit wäre, verfing diese Strategie. Viele Wählerinnen und Wähler, die Netanyahu wegen dessen korrupten und autokratischen Verhaltens gerne los wären, haben ihn letztlich einem zu links scheinenden Gegenkandidaten vorgezogen.

Dass sich der Wahlkampf darauf konzentrieren konnte, lag allerdings auch daran, dass Kahol Lavan dem ­Likud keine eigenen Positionen gegenüberstellte. Bis heute ist beispielsweise unklar, welche Sozialpolitik eine von Gantz geführte Regierung betreiben würde. Genauso wenig wurde von Gantz und seiner Partei irgendeine Perspektive für die Lösung des Konflikts mit den Palästinensern präsentiert. Auf diese Weise wird mit »links« weiterhin ausschließlich der gescheiterte Oslo-Friedensprozess assoziiert. Gerade der Umstand, dass Gantz und Lapid eine Wahrnehmung ihrer Partei als links um jeden Preis vermeiden wollten und deshalb auf politische Inhalte weitgehend verzichteten, führte dazu, dass diese Zuschreibung umso einfacher und polemischer vorgenommen werden konnte.

Entscheidend für die weitere innenpolitische Entwicklung Israels wird die Frage sein, wer in der neuen Regierung das Justizministerium übernehmen wird. Bereits unter Ayelet Shaked, deren Partei HaYamin HeHadash mangels Sitzen in der Knesset nun nicht mehr an der Regierung beteiligt sein wird, gab es vom Justizministerium aus heftige Angriffe auf die Unabhängigkeit der Justiz und damit auf das konstitutionelle Gefüge Israels. Sollte das Ministerium an die rechtsextreme Union der rechten Parteien gehen, wäre mit weiteren, noch heftigeren Attacken zu rechnen, zumal Ministerium und Justiz­apparat wichtig bei den anstehenden Prozessen gegen Netan­yahu sind. Andererseits hatte Netanyahu bei der Aufstellung der Wahlliste des Likud eine Reihe innerparteilicher Gegner auf vorderen Plätzen hinnehmen müssen, von denen einige für den Posten des Justizministers in Frage kommen. Mit diesen Politikern in der Fraktion und der Regierung wird es ­Netanyahu nicht einfach haben, seinen Kampf gegen das Justizsystem zu führen und Gesetze durch das Parlament zu bringen, die ihn vor Strafverfolgung schützen würden.

Noch größere Fragezeichen stehen in dieser Hinsicht hinter den gemäßigt rechten Koalitionspartnern Avigdor Lieberman und Moshe Kahlon. Lieberman allein könnte mit den fünf Sitzen seiner Partei Yisrael Beiteinu die Regierung Netanyahu zu Fall bringen. Weder er noch Kahlon sind gewillt, Netan­yahu im Falle einer Anklage Gefolgschaft zu leisten. Die beginnende Legislaturperiode kann also allerhand Wendungen bereithalten. Es ist durchaus möglich, dass sich Netanyahu noch der letzten demokratischen Fesseln zu entledigen sucht, wenn es um seinen Kopf geht. Möglich ist aber auch, dass seine fünfte Amtszeit nicht nur seine letzte, sondern auch seine kürzeste wird.