Filme über Frauenfußball

Kriegerinnen, arme Profis und ein Hochstapler

Die Highlights des Fußballfilmfestivals 11mm.

Nun durfte sich auch noch Reinhard Grindel austoben. Das Fußballfilmfestival 11mm, seit langem von der Kulturstiftung des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) gefördert, ist längst im DFB-kompatiblen Mainstream angekommen: Mit bedeutungsschweren Reden über die Beziehung zwischen Fußball und Literatur, selbstgefälligen musikalischen Darbietungen für das gutgestellte Bürgertum und zaunpfahlwinkendem 11 Freunde-Humor zog sich der Galaabend des Festivals dahin, wobei Grindel als selbsternannter Freund der Basis kritiklos durch ein Interview hofiert wurde. Der bei solchen Anlässen maximal unbeholfen wirkende DFB-Präsident gab ein Potpourri merkwürdiger Sprüche zum Besten. Auf die Frage, ob der DFB dem Festival auch einen Porno gestatten würde: »Da hätten wir natürlich unseren Frauenausschuss gefragt.« Und übrigens schaue er natürlich Amateurfußball viel lieber als den großen Fußball – mit Bratwurst und Bier: »Ich bin eigentlich ganz anders, ich komme nur selten dazu.« Vielleicht ein Glück.

Gut auch, dass Grindel zumindest bislang nach eigenem Bekunden kein Bedürfnis hat, die Filme des Festivals zu zensieren. Die meisten sind nämlich immer noch sehr sehenswert. Dieses Jahr gab es einen Schwerpunkt zum Thema Frauenfußball.

Nos Llaman Guerreras
Die Dokumentation »Nos Llaman Guerreras« (Sie nennen uns Kriegerinnen) aus Venezuela kann alles, was ein Fußballfilm können kann: Sie erzählt eine unbekannte und großartige Geschichte vom anderen Ende der Welt mit so viel Kenntnis, Witz und Charme, dass man immer mal wieder daran zurückdenkt. Für den Film hat die Regisseurin und Produzentin Jennifer Socorro das U-17-Frauennationalteam von Venezuela begleitet, das trotz aller widrigen Umstände beinahe märchenhaft erfolgreich ist. Die jungen Frauen wurden ungeschlagen Südamerika-Meisterinnen und kamen bei Junioren-Weltmeisterschaften bis ins Halbfinale – angesichts der politischen und wirtschaftlichen Lage in Venezuela doppelt überraschend. Die »Kriegerinnen«, von einem engagierten Trainer aus dem Nichts aufgebaut, werden zur U-17-WM 2016 nach Jordanien begleitet und dürfen ihre Lebensgeschichten erzählen. Das ist stark, weil Socorro ein außergewöhnliches Gespür für das Land und die Mädchen hat. Sie begleitet viele Protagonistinnen zu ihren Familien. Einige, wie die mittlerweile in Portugal spielende Daniuska Rodriguez, wohnen in regelrechten Bretterverschlägen, andere in überschwemmtem Sumpfland. Sie sind der ganze Stolz ihrer Familien und müssen vielleicht doch am nächsten Tag mit dem Kicken aufhören, weil das Geld nicht reicht. Auch Kinder reicherer Eltern wie die Verteidigerin Sandra Luzardo, die es mittlerweile in die spanische Primera Division geschafft hat, haben ihren eigenen Kampf gegen die Widerstände der Gesellschaft hinter sich.
Beeindruckend ist vor allem, wie liebevoll die Familien ihre Töchter unterstützen. Die Mutter von Yerliane Moreno, die als Teenagerin schwanger wurde, erzählt von dem schweren Weg, ihrer Tochter eine Zukunft zu sichern. Der Großvater von Veronica Herrera berichtet vom großen Stolz, die Enkelin im Fernsehen zu sehen. Das sind keine unterdrückten Frauen, sondern Hoffnungsträgerinnen und Stars. Im Verlauf der Weltmeisterschaft wird »Nos Llaman Guerreras« zu einer Art venezolanischem Sommermärchen, aber ohne das klebrige nationale Pathos. Und man ist überrascht, wie sehr man sich wünscht, dass dieses Team den Titel holt.

Football for Better or for Worse
Wie lebt es sich so als durchschnittliche Profispielerin in Europa, wenn kein Werbefilter der Uefa darüber liegt? Die Dokumentation »Football for Better or for Worse« füllt eine Wissenslücke und folgt den Spielerinnen des schwedischen FC Rosen­gård zu einer Zeit (2015), als mit Therese Sjögran und Marta noch Superstars dort aktiv waren. Am Anfang kommt das Ganze etwas schwer in die Gänge, es wird viel und trocken über finanzielle Hintergründe erzählt, aber natürlich ist das auch eindrucksvoll: Frauenfußball auf Spitzenniveau, zeigt der Film, ist weiterhin kaum lukrativ. Die Regisseurin Inger Molin hat sich nicht für die vermeintlich offensichtlichen Diskriminierungsgeschichten im Iran oder in Afghanistan entschieden, sondern lässt Superstar Marta erzählen: »In Brasilien denken alle, ich würde so viel verdienen wie die Männer. Dabei konnte ich gerade erst jetzt meiner Mutter ein Haus kaufen.« Lohnend ist »Football for Better or for Worse« aber vor allem, weil man nah an das Team herankommt. Zum Beispiel an Torhüterin Erin McLeod und Stürmerin Ella Masar, die mit­einander verheiratet sind, wobei Masar offenbar vor allem notgedrungen als Anhängsel mit verpflichtet wurde, was das Management kurioserweise offen erzählt. Dass Masar dann plötzlich zur Topstürmerin des Vereins wird, ist nur eine der Wendungen, die es im Fußball eben gibt.

Molin begleitet Therese Sjögran, die vom Rasen ins Management wechselt, aber die Spiele so vermisst, dass sie am liebsten ständig eingreifen würde. Plötzlich muss sie auch Hoffnungen enttäuschen: Die Kamera ist bei einem Gespräch zwischen Sjögran und einer enttäuschten Nachwuchsspielerin dabei, die berichtet, dass sie ihrer Sportdirektorin nicht vertraue. So nahe sieht man Spitzenfußball selten. Zu Beginn zeigt der Film, wie die Sportdirektorin in ihrem leeren Haus sitzt, das sie seit Beginn ihrer Karriere kaum bewohnt hat, weil es für sie kein Leben abseits des Fußballs gibt – im Guten wie im Schlechten.

New Generation Queens
Eine kleine Perle, zwar qualitativ ganz sicher kein guter Film, aber ein tolles, weil abseitiges Thema: Frauenfußball auf der muslimisch geprägten Insel Sansibar, einem halbautonomen Teilstaat des ostafrika­nischen Tansania. Titelgebend sind die »New Generation Queens«, das zu dieser Zeit überhaupt erst zweite Frauenfußballteam in Sansibar. Schon wie das erste entstand, ist eine irre Geschichte: Als in den achtziger Jahren ein ausländisches Team zu Gast war, wollten sich die Politiker Sansibars nicht blamieren und heuerten flugs Athletinnen aus anderen Sportarten an, die eine Nationalmannschaft von Sansibar vertreten sollten – die ließen sich dann nicht mehr zurückhalten und machten kurzerhand als erstes tatsächliches Frauenteam weiter.

Die später entstandenen »New Generation Queens« trainieren unter widrigsten Bedingungen, werden von Männern vertrieben, von ihren Eltern als Schande empfunden, die Torhüterin wurde wegen des Fußballs von ihrem Mann verlassen. Sie spielen trotzdem. Dabei ist es ganz gut, dass der Film Untertitel hat, nicht nur aus sprachlichen Gründen: Die eigenwillige Unterlegung mit Musik ist so laut, dass teilweise die Interviews nicht hörbar sind. Dafür gibt es tolle Bilder von der Reise zu einem Turnier aufs Festland, von Blaskapellen, Marktständen und lebenden Schlangen vor dem Anpfiff. Zu sportlichen Höhen ist es für die »New Generation Queens« ein weiter Weg. Beim Turnier bekommen die Mädchen nur zwei Flaschen Wasser am Tag gestellt und müssen sich eher um den Hitzekollaps als um Ergebnisse sorgen. Ein Imam sagt vor der Kamera, Frauen seien zu diesem Sport überhaupt nicht fähig. Auf Sansibar hat man einiges noch nicht mitbekommen. Ein Happy End gibt es trotzdem.

Kaiser
Neues aus dem Männerfußball gab es nebenbei auch. Zu nennen wäre da zum Beispiel »Kaiser«, ein munterer Mix aus Dokumentation und Spielfilm über den mittlerweile einigermaßen mit Kultstatus versehenen Carlos Henrique Raposo, der kein bisschen Fußball spielen konnte, aber als Hochstapler von allen brasilianischen Spitzenclubs und sogar ins Ausland verpflichtet wurde, wobei er sich mit erfundenen Verletzungen vor jedem Spiel drückte. Der größte Star, der nie Fußball spielte, so verkaufte er sich nach Kar­riereende. Der Plot ist so gut, dass ein Film darüber kaum schlecht sein kann. »Kaiser« ist die erwartete irre Geschichte aus dem wahren Leben, wenngleich man sich manchmal gewünscht hätte, der Film hätte auf die amateurhaften Spielfilmszenen verzichtet und sich allein auf die amüsanten Schilderungen seiner berühmten Protagonisten (von Bebeto bis Renato Gaúcho) verlassen.

Das Ernüchternde daran ist, dass Raposo wohl gar kein so genialer Täuscher war Oft wussten seine Teamkameraden längst über die Masche Bescheid, deckten ihn aber, weil sie ihn mochten. Mit den Clubbossen aus dem organisierten Verbrechen kam Raposo gut klar und war vielleicht auch beteiligt. Mal organisierte er als Zuhälter dem ganzen Team wöchentlich Prostituierte, mal verkaufte er sich gut in Fernsehshows; er hatte so seinen ganz eigenen Nutzen für die Mannschaften. Er war nicht faul, er kapierte das System, und das System nutzte ihn. Die Paten, die ihr Geld mit Drogenkartellen, illegalen Wetten oder Morden verdienten, tauchen im Film als schrullig-liebenswerte Typen auf – weder Film noch Protagonisten ­verurteilen die kriminellen Verstrickungen, und alle lieben den »Kaiser«. Damit erzählt der Film unfreiwillig noch mehr über die Gründe, weshalb die Masche dieses Mannes in Brasilien funktionieren konnte. Der echte Raposo, der im Film auftaucht, ist wenig glamourös, eher ein vampirhafter, kaputter Typ mit Sonnenbrille, selbstverliebt und ­redundant. So gilt, was oft für Hochstapler gilt: Die Geschichte ist faszinierender als der Typ.