Die Urheberrechtsreform der EU könnte Künstlern schaden

Frisch gefiltert

Die um­strittenen Upload-Filter könnten den großen Internetkonzernen nutzen, die eigentlich zur Kasse gebeten werden sollten.
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Eine trockene Angelegenheit, die allenfalls für Autoren und Verlage interessant zu sein scheint, wurde zu einer schmutzigen Lobbyschlacht, die Desinformation, Beschimpfungen, Morddrohungen und einseitige Berichterstattung mit sich brachte. Am 26. März verabschiedete das Europaparlament die umstrittene Richtlinie zur Reform des Urheberrechts. Größter Streitpunkt der Reform waren sogenannte Upload-Filter, die das Hochladen von urheberrechtlich geschützten Inhalten unterbinden sollten, sobald die EU-Mitgliedstaaten die neue Richtlinie in nationales Recht überführt haben. In über einem Dutzend europäischer Länder hatte es vor der Abstimmung Demonstrationen gegen die Reform gegeben, die größten davon mit bis zu 200 000 Menschen in Deutschland; eine Petition gegen die Reform erhielt fünf Millionen Unterschriften, was die EU nicht davon abhielt, die Reformgegner als Mob zu beschimpfen.

Während Frankreichs Kulturminister Franck Riester bereits angekündigt hat, »in wenigen Tagen« mit dem Testen von Upload-Filtern beginnen zu wollen, streitet die CDU intern noch darüber, ob die Richtlinie in Deutschland nicht auch ohne Upload-Filter umsetzbar sei. Katarina Barley, die Spitzenkandidatin der SPD für die Europawahl, macht EU-Wahlkampf mit der Aussage, dass sie Upload-Filter ablehne, nachdem sie wenige Wochen zuvor als Bundesjustizministerin der Reform zugestimmt hat. Der an der Aushandlung der Reform beteiligte Europaparlamentarier Axel Voss (CDU) fiel mit Äußerungen auf, von denen nicht ganz klar ist, ob es sich um bewusste Desinformation oder schiere Ahnungslosigkeit handelt, zum Beispiel dass es legal sein solle, ganze Zeitungsartikel hochzuladen –  was weder vor noch nach der Reform der Fall war beziehungsweise sein wird.

Die Reformgegner bezeichnete Voss abschätzig als ferngesteuerte »Bots« und gab seinerseits an, Morddrohungen erhalten zu haben. Der Internetunternehmer Volker Rieck behauptete in der FAZ, Hinweise gefunden zu haben, dass ein großer Teil der Tweets der Reformgegner aus den USA stamme, was sich als falsch erwies. Mehrere Medienhäuser berichteten höchst einseitig und die DPA fügte zeitweise jeder Agenturmeldung einen Textblock bei, in dem stand, dass sie die Reform befürworte. Daniel Caspary (CDU) unterstellte den Demonstrierenden, sie seien gekauft worden. Bei der Debatte im EU-Parlament am 26. März wurde Julia Reda (zu dem Zeitpunkt noch Mitglied der Piratenpartei), die zum Gesicht der Protestbewegung gegen die Reform geworden war, in ihrer Rede so oft von Störungen und Zwischenrufen unterbrochen, dass die stellvertretende Parlamentspräsidentin einschreiten musste. Caspary wurde hingegen das Mikrophon abgedreht, weil er seine Redezeit überschritt.

EU-Gegner nutzen die Gunst der Stunde. Auf Twitter schrieb etwa der britische Konservative Boris Johnson, die Urheberrechtsreform sei ein klassisches Beispiel dafür, warum Großbritannien aus der EU austreten und selbst die Kontrolle zurückerlangen müsse. Er wird nicht der einzige sein, der so denkt. Denn viele junge Menschen, die gegen die Reform demonstrierten, dürften nun von der EU enttäuscht sein. Mittlerweile stellt sich die Frage, ob die Reform nur der Internetfreiheit schadet oder auch der EU und der Parteiendemokratie.

Dabei entzündete sich der Streit an einer Reform, die die Rechte der Urheber gegen die Internetkonzerne stärken soll, wie die Reformbefürworter stets wiederholten. Letztere fanden sich vor allem in Medienhäusern, bei Presseverlagen, Musiklabels, Tages- und Wochenzeitungen, Verwertungsgesellschaften wie GEMA oder VG Wort sowie den meisten Autoren- und Journalistenverbänden. Sie beklagen, dass Google, Facebook und ähnliche Unternehmen Milliardeneinnahmen mit hochgeladenen Inhalten generieren, ohne dass die Urheber nennenswert an diesen Einnahmen beteiligt würden.

Auf der anderen Seite steht eine Koalition aus Digitalwirtschaft, Technologieunternehmen, Start-ups, Wissenschaftlern, der Open-Source- und Hackerszene, Wikipedia sowie Youtubern und freien Publizisten, die mit Internet groß geworden sind – großteils also auch Urheber. Sie kritisieren, dass die neue EU-Richtlinie fast ausschließlich Regelungen enthalte, die zwar Rechteverwerter wie Verlage und Musik­label besserstelle, nicht jedoch die eigentlichen Urheber, also Musiker, Autoren und Künstler. Um von künftig höheren Einnahmen zu profitieren, müssten die Urheber zunächst bessere Konditionen mit den Medienhäusern aushandeln, was erfahrungsgemäß allenfalls etablierten und erfolgreichen Künstlern und Autoren gelingen dürfte.

Urheber stehen auf beiden Seiten in einem Konflikt, der auf ihrem Rücken zwischen Rechteverwertern alter und neuer Schule ausgetragen wird: auf der einen Seite klassische Medienhäuser, die im Internet nur einen neuen zu regulierenden Vertriebsweg für ihre Inhalte sehen; auf der anderen Seite Internet-Plattformen, die in erster Linie ihren Nutzern Kommunikationsräume bieten, die zumindest ursprünglich für den nichtkommerziellen Gedankenaustausch gedacht waren. Während die einen sich über unerwünschte Kopien ihrer Werke empören, befürchten die anderen, dass ihre Inhalte künftig im Upload-Filter hängen bleiben könnten.

Die Upload-Filter sind der Knackpunkt der Reform, obwohl dieser Begriff im Gesetzestext nicht vorkommt. Der umstrittene Artikel 17 (vormals 13) regelt die Haftung für illegal hochgeladene Inhalte neu. Mussten bisher die Nutzer einer Plattform für Urheberrechtsverstöße geradestehen, haftet künftig die Plattform. Das macht das Betreiben von Plattformen, auf denen die Nutzer frei Inhalte veröffentlichen können, zu einem unkalkulierbaren Risiko. So sollen Internetkonzerne gezwungen werden, Inhalte künftig von den großen Medienhäusern lizenzieren zu lassen. Jeden Upload, egal ob Bild, Text, Audio oder Video, müssten sie mit Hilfe eines automatischen Filters mit einer Lizenzdatenbank abgleichen. Liegt keine Lizenz vor, wird der Upload blockiert.

Abgesehen davon, dass solche Filter nur sehr unzuverlässig arbeiten, führt das zu einem unerwarteten Effekt: Lädt ein Nutzer etwa ein Foto hoch, das sich nicht in den gängigen Lizenzdatenbanken findet, müsste die Plattform aus Selbstschutz den Upload blockieren – schließlich hat sie keine Möglichkeit zu erkennen, ob es sich um ein Werk des jeweiligen Nutzers handelt oder um das geschützte Werk eines Dritten. Upload-Filter können also zu der paradoxen Situation führen, dass das Hochladen eigener Werke unmöglich wird, während weiterhin kommerzielle Inhalte hochgeladen werden können, wenn eine Plattform Lizenzen für sie erworben hat. Weil dann nur noch lizenzierbares Material der großen Medienhäuser veröffentlicht werden könnte, befürchten die Reformgegner, dass das Internet zu einer Art Kabelfernsehen mutiert.

Nutzen würde diese Situation ironischerweise den großen Internetkonzernen. Sie haben die nötigen Ressourcen, um Lizenzen zu erwerben, können sich Rechtsabteilungen leisten und haben das Know-how, halbwegs brauchbare Filter zu entwickeln, die sie an ihre Konkurrenten verkaufen und so an deren Umsätzen mitverdienen können.