Der Antifeminismus der Gruppe »Kandel ist überall«

Mutter mag Migranten nicht

Neue Rechte treten vorgeblich für das Wohl und die Sicherheit von Frauen ein. An der Gruppe »Kandel ist überall« wird deutlich, dass sich hinter der Rhetorik lediglich Antifeminismus und Propaganda gegen Einwanderung verbirgt.

Die Neue Rechte gibt sich modern und übernimmt auch Versatzstücke ­linker Rhetorik – unter anderem aus dem Feminismus. Im Jahr 2018 fiel in Deutschland in dieser Hinsicht vor allem die Gruppe »Kandel ist überall« auf. Ein Blick in die Verlautbarungen der Gruppe zeigt exemplarisch, ­welcher Strategie sich die Neue Rechte bedient: Sie vertritt einen ideologischen Antifeminismus, schaltet sich jedoch zugleich in die Diskussion über die Rechte und den Schutz von Frauen ein – um sie gegen Migranten zu ­wenden.

Ende 2017 ermordete ein Flüchtling aus Afghanistan im pfälzischen ­Kandel seine 15jährige ehemalige Freundin. Personen aus dem neurechten ­Milieu nahmen diesen Fall zum Anlass, um Stimmung gegen Flüchtlinge und die Flüchtlingspolitik der Regierung Angela Merkels zu machen. Während ­eines Gedenkmarschs mit etwa 400 Teilnehmern kam es zu Tumulten, der Bürgermeister der Stadt erhielt Morddrohungen, nachdem er sich gegen die pauschale Verurteilung von ­Migranten ausgesprochen hatte, auch Flüchtlingsinitiativen wurden bedroht. Für den 28. Januar 2018 riefen das sogenannte Frauenbündnis und »Kandel ist überall« zu einer Demonstration auf. Es kamen ungefähr 1000 Teilnehmer­innen und Teilnehmer. Im März 2018 gab es zwei weitere Demonstrationen, an einer beteiligten sich rund  4000 Personen.

Als Erklärung für Mordtaten wie in Kandel dienen den rechten Gruppen die »unüberwindlichen kulturellen Unterschiede zwischen Europäern und nichtwestlichen Migranten«.

Die Gruppe fasst ihr Programm in ­einem »Manifest« zusammen. Sie fordert darin »den sofortigen Stopp jed­weder Zuwanderung«, »Abschiebung jetzt«, »die Bewahrung der kulturellen Identität des deutschen Volkes«, »die Wiedereinführung der Wehrpflicht«, eine »breite Information über die ­unüberwindlichen kulturellen Unterschiede zwischen Europäern und nichtwestlichen Migranten«, »die so-fort­ige Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft« und »Deutschland zuerst«. Angesichts der großen Teilnehmerzahl und der Programmatik erhielten die Proteste in der Presse auch die Bezeichnung »Pegida des Westens«.

Die Führungsfigur von »Kandel ist überall« ist Christina Baum, eine ­Ab­geordnete der AfD im baden-württembergischen Landtag. Das zentrale Organ für die Öffentlichkeitsarbeit der Gruppe ist die Facebook-Seite »Kandel ist überall«. Diese wurde am 21.Januar 2018 erstellt und erhielt bis Ende 2018 fast 10000 Likes. Wesentlich für die Propaganda der Gruppe ist die ­Verallgemeinerung: Alle Einwanderer aus nichteuropäischen und vor allem diejenigen aus muslimisch geprägten Ländern gelten als Gefahr für deutsche Frauen, als Erklärung für die Mordtaten in Kandel und anderen Städten dienen allein die »unüberwindlichen kulturellen Unterschiede zwischen Europäern und nichtwestlichen Migranten«, die im »Manifest« behauptet werden.

In ihrer Rede auf der größten Demon­stration in Kandel am 3.März 2018 dankte Christina Baum den »tapferen Frauen, die hierhergekommen sind, um mit uns für unsere Freiheit und unsere Selbstbestimmung zu kämpfen«. Der Begriff der Selbstbestimmung ist in diesem Fall doppeldeutig: Er könnte auf die Selbstbestimmung der Frau abzielen, etwa in sexueller Hinsicht oder in der Frage von Schwangerschaftsabbrüchen – wobei Baums Partei Ab­trei­bungen eindeutig ablehnt. Im Programm der AfD ist hingegen lediglich von deutscher und nationaler Selbst­bestimmung die Rede. Rhetorisch lässt Baum so zwei Dinge in eins fallen: Die Sache der deutschen Nation ist ihr zugleich Sache der deutschen Frau und umgekehrt. Die Frage der öffentlichen Sicherheit von Frauen wird so für den Nationalismus gekapert.

Dass mit »Selbstbestimmung« nicht im feministischen Sinn die der Frau ­gemeint sein kann, zeigte Baum in ihrer Rede dadurch, dass sie »Kandel ist überall« deutlich vom Feminismus abgrenzte: »Ich wurde mehrfach vorher gefragt, ob wir jetzt eine neue feministische Frauenbewegung seien. Das sind wir natürlich nicht! Die Feministinnen, die findet ihr bei den lächerlichen Me-Too-Aktionen mit Tanzaufführung.« Zudem sagte sie: »Und wir lassen uns auch nicht länger auseinanderdividieren und in einen ideologisch herbei­geführten Geschlechterkampf hineinziehen. Wir gehören zusammen. Und deshalb noch einmal tausend Dank an alle Männer. Ihr seid da, wenn man euch braucht, und dafür lieben wir euch.« Männer werden auch in den Posts von »Kandel ist überall« in der traditionellen Geschlechterrolle als starke Beschützer dargestellt. In einer Demonstrationsanleitung, die ­mehr­ ­fach gepostet wurde, werden Frauen dazu aufgefordert, sich von ­Männern beschützen zu lassen: »Nehmt euch ein, zwei Männer dazu, die zur Sicherheit in der Nähe spazieren gehen.«

Das von der Gruppe vertretene ­Frauenbild ist durchweg konservativ. Baum verknüpfte in ihrer ersten Rede auf einer Demonstration in Kandel Weiblichkeit mit Mutterschaft: »Ich stehe heute hier als Frau, als Mutter und als Oma – und zeige Gesicht.« In den zehn Forderungen des »Manifests von Kandel« kommt das Wort »Frau« kein einziges Mal vor. Dasselbe gilt für die Forderungen des »Frauenbündnisses«, die auf seiner Homepage zu finden sind. Wie beim »Manifest« handelt es sich eher um einen Querschnitt des AfD-Programms – vom »Verbot von Gender und Frühsexualisierung an Kindergärten und Schulen« bis hin zur Abschaffung der GEZ.

Die Propaganda der Gruppen von Kandel entspricht der Linie der Neuen Rechten: Flüchtlinge und Migranten hätten die sexualisierte Gewalt nach Deutschland eingeschleppt. Nicht umsonst ist die erste Forderung im »Manifest von Kandel« die nach dem »sofortigen Stopp jedweder Zuwanderung nach Deutschland«. Das tatsächlich vorhandene Problem des Sexismus und insbesondere der Gewalt gegen Frauen wird vollständig nach außen projiziert, Einwanderer werden an­gesichts der »unüberwindlichen kulturellen Unterschiede zwischen Euro­päern und nichtwestlichen Migranten« als schlechthin fremdartige Sexmonster imaginiert. So wird die reale Gefahr für Frauen, sexualisierte Gewalt zu ­erleiden, zu einer Bedrohung des »deutschen Volks« umgedeutet.

Die ideologische Aus­­rich­tung der Gruppe »Kandel ist überall« und des »Frauenbündnisses« lässt sich am treffendsten als Antifemi­nismus im Mantel der Sorge um das Wohl der Frau fassen. Dem AfD-Grundsatzprogramm entsprechend bleibt die Rolle der Frau eindimensional: Frauen ­erscheinen als schutzbedürftige Wesen mit der Lebensaussicht auf Mutter- und Großmutterschaft. Die einzigen Forderungen, die »Kandel ist überall« im Namen von Frauen stellt, sind Schutz und Sicherheit – genau genommen handelt es sich also nur um eine Forderung, die wiederum lediglich auf eines abzielt: auf eine restriktive ­Mig­ra­tions- beziehungsweise eine Ab­schot­tungs­politik. Dazu kapern die Prota­gonist­innen gern einmal die Rhetorik des ihnen verhassten Femi­nismus.