Gewerkschaften in Israel

Am Anfang war der Streik

Seite 2 – Gewerkschaften gegen Israel

Im brutalistisch-monumentalen Hauptsitz der Histadrut in Tel Aviv sitzt Avital Shapira. Auch sie betont im Gespräch mehrfach die große Bedeutung der Proteste von 2011 für die gewerkschaftliche Organisation. Sie seien ein Beispiel für den politisch dynamischen Charakter der israelischen Gesellschaft, der von Außenstehenden häufig übersehen werde. In ihrem Büro findet sich neben Kängurus, »Be Berlin«-Bären und anderen Gastgeschenken auch eine während der Bar Mitzwa ihres Sohnes angefertigte Zeichnung, auf der sie Luftballons mit den Buchstaben »BDS« zersticht. »Der Zeichner sollte darstellen, was ich beruflich so mache – gut getroffen, oder?« sagt Shapira selbstbewusst.

Als Leiterin der Abteilung für internationale Beziehungen hat Shapira den Kampf gegen die antiisraelische Kampagne Boycott, Divestment and Sanctions (BDS) zu einer ihrer zentralen Aufgaben gemacht. Denn vor allem in internationalen Gewerkschaftskreisen stößt BDS auf viel Zustimmung.

Rhetorisch versiert kritisiert Shapira die Forderung nach einem ­sogenannten Rückkehrrecht für palästinensische Flüchtlinge und deren Nachfahren ebenso wie die Perfidie des von der Kampagne vertretenen Apartheidsvorwurfs gegen Israel. »BDS misst mit zweierlei Maß und dämonisiert ­Israel als größtes Übel in der Region«, so Shapira. »Kritik, auch an der Histadrut, ist ja stets willkommen – aber bei BDS werden Grenzen überschritten.« Letztlich gehe es der Kampagne um die Zerstörung Israels.

Besonders ärgert Shapira, dass sich die Kampagne als propalästinensisch geriere. Dabei werde eine Verschlechterung der sozialen Lage von Palästinenserinnen und Palästinenser in Kauf genommen. Ein Beispiel dafür ist die Schließung des Werks des israelischen Unternehmens Soda Stream im Westjordanland nach BDS-Protesten, wodurch viele palästinensische Beschäftigte ihre Stelle verloren.

Auch würden die langjährige, gute Zusammenarbeit mit dem palästinensischen Gewerkschaftsdachverband PGFTU und der Einsatz der Histadrut für die Rechte palästinensischer Bauarbeiter übersehen, so Shapira. In politisch festgefahrenen Zeiten, in denen eine Zweistaatenlösung weit entfernt scheine, sei ein gewisses Maß an Pragmatismus schlicht notwendig.

Stolz deutet Shapira auf Kopien von Kooperationsabkommen zwischen der Histadrut und der PGFTU. Seit 2008 verpflichtet sich die Histadrut, die Hälfte der Mitgliedsbeiträge palästinensischer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an die PGFTU zu überweisen. Shapira tippt mehrfach auf das Logo der PGFTU. Darauf ist ein Gebiet mit Namen Palästina zu erkennen, der Staat Israel fehlt. »Natürlich sind wir darauf nicht abgebildet«, sagt sie. Ihrer Stimme ist eine Mischung aus Empörung und Ernüchterung anzuhören.

In der kleinen Büroetage von Koach la’Ovdim scheinen derart staatstragende Fragen weit entfernt. Auf die Frage, ob der kleine Verband bisher von BDS angegriffen worden sei, antwortet Vatury in seiner trockenen Art: »Wenn die sich weigern, mit uns zu sprechen, dann sollen sie es halt einfach bleiben lassen.« Koach la’Ovdim scheint sich diese Haltung leisten zu können. Austausch mit Gewerkschaften aus anderen Ländern gibt es zwar, jedoch nicht in besonders großem Umfang. Zu wichtig ist die Arbeit an Ort und Stelle, für die alle Kräfte gebündelt werden. Deshalb sei Koach la’Ovdim von der BDS-Kampagne weitgehend verschont geblieben, erzählt Vatury. »Tschüss!« ruft Pirhi in die Büroetage hinein. Er ist wieder einmal spät dran, muss los nach Safed. Dort stehen weitere Konsultationen an.