In Israel könnte der regierende Likud abgewählt werden

Gantz oder gar nicht

Für die bevorstehenden Wahlen in Israel haben sich viele neu gegründete Parteien registriert. Die konservative Regierung unter Führung des Likud könnte abgewählt werden, für eine linke Regierung dürfte es nicht reichen.

Langweilig wird es vor den Wahlen in Israel am 9. April nicht. Das israelische Parteiensystem ist sehr dynamisch und heterogen. Keine einzige jener Parteien, die 1949 in der ersten israelischen Knesset saßen, findet sich heute noch im israelischen Parlament – zumindest nicht unter dem ursprünglichen Namen. So haben sich auch seit der Ankündigung des Wahltermins eine ganze Reihe neuer Parteien für die Wahlen zur 21. Knesset registriert. Zum Teil handelt es sich um Abspaltungen, wie die Partei Gesher unter der Sozialpolitikerin Orly Levy-Abekasis, die bei den vorgezogenen Neuwahlen 2015 noch für Avigdor Liebermans Partei Israel Beitenu angetreten war. Andere Parteien sind Neugründungen, etwa Hosen L’Yisrael mit dem ehemaligen Generalstabschef Benny Gantz an der Spitze. Sie hat sich mittlerweile mit der Partei Telem von Moshe Ya’alon zusammengetan, einem weiteren ehemali­gen Generalstabschef, der für den Likud bis zum Zerwürfnis mit Benjamin ­Netanyahu im Mai 2016 Verteidigungsminister war.

Lange sah es so aus, als würde der konservative Likud bei den anstehenden Wahlen erneut deutlich gewinnen, obwohl Netanyahu eine Anklage wegen Korruption droht. Die neue Formation unter Gantz macht es nun wieder spannend, auch wenn man derzeit angesichts mangelnder programmatischer Aussagen eher raten muss, wofür diese Liste steht. Hosen L’Yisrael versammelt sowohl Zentrumspolitiker und pragmatische Linke als auch Kandidaten aus dem politischen Umfeld Netan­yahus. Gantz kommt aus einem säkular-sozialdemokratischen Milieu. Im Wahlkampf nutzt er bisher vor allem seine militärischen Erfolge in der Bekämpfung der Hamas. Gantz wird ­zugetraut, auch Wählerstimmen vom rechten Block zu gewinnen, was erstmals seit längerer Zeit eine Regierungsbildung jenseits dieses Blocks ermög­lichen könnte – allerdings wohl nur, wenn es gelingen sollte, die ultraorthodoxen Parteien, die zusammen mit elf bis 13 der 120 Sitze der Knesset rechnen können, für eine Zentrumsregierung zu gewinnen.

Die Vorwahlen im Likud haben gezeigt, dass bereits Vorbe­reitungen für die Zeit nach Netanyahu getroffen werden.

Falls Hosen L’Yisrael und die liberale Parteien der Mitte Yesh Atid von Yair Lapid, die derzeit mit bis zu 13 Sitzen rechnen kann, zusammen antreten, wären sie in der Lage, den Likud als stärkste Kraft abzulösen. Bis zum Abend des 21. Februar müssen die endgültigen Wahlvorschläge eingereicht werden. Falls ein derartiges Bündnis auch noch den ehemaligen sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Ehud Barak und den ehemaligen Generalstabschef Gabi Ashkenazi für sich gewinnen könnte, bestünde die Möglichkeit, den Likud auf unter 30 Sitze zu drücken. Zahlreiche Beobachter glauben allerdings, dass es Gantz im Gegensatz zu vielen seiner Unterstützer nicht unbedingt darum geht, Netanyahus Nachfolger zu werden. Vielmehr sehe er sich als potentieller Verteidigungsminister in einer ­neuen, etwas ins politische Zentrum gerückten Likud-Regierung – was Netan­yahu derzeit allerdings ausschließt.

Welche Koalitionen letztlich möglich werden, ist schwer vorhersagbar, weil bei so vielen Parteien wie schon lange nicht mehr unklar ist, ob sie den Sprung ins Parlament schaffen: neben Gesher und Israel Beiteinu betrifft das auch die Likud-Abspaltung Kulanu von Finanzminister Moshe Kahlon, die in der derzeitigen Knesset noch zehn Sitze hat.

Erwartet wird zudem ein historisch schlechtes Ergebnis für die Sozialdemokraten. In den ersten drei Dekaden nach der Staatsgründung haben sie die israelische Politik und Gesellschaft dominiert und auch noch in den achtziger und neunziger Jahren eine entscheidende Rolle gespielt. Die sozialdemokratische Partei Avoda hat derzeit 18 Sitze, in Umfragen kommt sie nur noch auf fünf bis zehn. Links von den Sozialdemokraten stagniert die Partei Meretz in Umfragen bei fünf Sitzen.

Beides ist Ausdruck der seit 2000 anhaltenden Krise der israelischen Linken. Der linke Zionismus hat sich nicht davon erholt, dass ihm durch Yassir Arafats Zurückweisung der aus israelischer Perspektive ausgesprochen weitgehenden Vorschläge Ehud Baraks zur Errichtung einer palästinensischen Staatlichkeit der Boden unter den Füßen weggezogen wurde. Seitdem fragt sich notgedrungen auch die zionistische Linke, was sie der Gegenseite noch Neues anbieten kann.

Von der Krise der Linken profitieren die diversen rechten Parteien. Bildungsminister Naftali Bennett und Justizministerin Ayelet Shaked hatten versucht, den Einfluss der Rabbiner in der nationalreligiösen Partei HaBayit HaYehudi etwas zurückzudrängen, um für säkulare Wählerinnen und Wähler rechts vom Likud attraktiver zu sein. Nachdem ihnen das nicht gelungen ist, haben sie in einem überraschenden Schritt die Partei HaYamin HaHadash (Neue Rechte) gegründet. Sie konnten die prominente Kolumnistin der Jerusalem Post, Caroline Glick, für sich gewinnen und erhalten nun in Umfragen bis zu acht Sitze.

HaBayit HaYehudi drohte nach der Abspaltung an der 3,25-Prozent-Hürde zu scheitern und hat sich daher mit der nationalreligiösen Partei Tkuma zusammengeschlossen. Deren Vorsitzender Bezalel Smotrich nennt sich einen »stolzen Homophoben«. Für einen sicheren Einzug in die Knesset müssten HaBayit HaYehudi und Tkuma mit weiteren rechten Parteien wie Yachad, Zehut oder Otzma Yehudit kooperieren, wozu Netanyahu aufgefordert hat, da er sonst den Verlust eines wichtigen Koalitionspartners fürchten muss. Otzma Yehudit, die in der Tradition der in Israel verbotenen rechtsextremen Organisation Kach steht, stößt bei vielen traditionellen Nationalreligiösen jedoch auf Ablehnung.

Die Vorwahlen im Likud haben gezeigt, dass bereits Vorbereitungen für die Zeit nach Netanyahu getroffen werden. Seine engsten Vertrauten haben es nicht auf die vordersten Listenplätze geschafft. Auf den Listenplätzen zwei bis fünf finden sich nun jene potentiellen Nachfolger an der Spitze des Likud, die in den vergangenen Monaten mit Netanyahu aus unterschiedlichen Gründen aneinandergeraten sind: der Knesset-Sprecher Yuli-Yoel Edelstein, der Geheimdienst- und Verkehrsminister Yisrael Katz, der am Sonntag auch zum Außenminister ernannt wurde, der Minister für Öffentliche Sicherheit und strategische Angelegenheiten, ­Gilad Erdan, und der ehemalige Bildungs- und Innenminister Gideon Sa’ar.

Auch die Vorwahlen bei den Sozialdemokraten geben Hinweise auf die zukünftige Führung der Partei, da sich Avi Gabbay nach dem zu erwartenden Wahldebakel wohl nicht lange als Vorsitzender halten wird. Auf den ersten beiden Listenplätzen sind Itzik Shmuli und Stav Shaffir, die 2011 eine führende Rolle bei den Sozialprotesten einnahmen. Sie liegen damit noch vor den ehemaligen Parteivorsitzenden Shelly Yachimovich und Amir Peretz und deutlich vor dem als Alternative zu Gabbay gehandelten Eitan Cabel, der es voraussichtlich nicht einmal ins Parlament schaffen wird.

Die antizionistischen arabischen Parteien und das von der Kommunistischen Partei dominierte Bündnis Hadash waren 2015 wegen der erstmals auf 3,25 Prozent angehobenen Sperrklausel als Vereinte Liste angetreten, in der sich marxistische Feministinnen mit Islamisten zusammenfinden mussten. Zahlreiche Beobachter hatten eine baldige Abspaltung von Hadash oder der Islamischen Bewegung erwartet, die allerdings ausblieb. Stattdessen erklärte nun Anfang Februar Ahmad Tibi, seine arabisch-nationalistische Partei Ta’al werde eigenständig antreten. Sie liegt in Umfragen derzeit bei fünf bis sieben Sitzen, die verbleibende Vereinte Liste unter Ayman Odeh bei fünf bis neun. Allerdings ist noch unklar, ob Hadash, die linksnationalistische Balad und die Islamisten von Ra’am sich tatsächlich wieder auf eine gemeinsame Liste einigen können.

Sollte eine pragmatische Regierung des Zentrums zustande kommen, wäre das von einiger sozial- und insbesondere demokratiepolitischer Bedeutung. Im Konflikt mit den Palästinensern würde vermutlich der Ton gegenüber Mahmud Abbas beziehungsweise seinen Nachfolgern in der Führung der Autonomiebehörde etwas moderater ausfallen, jener gegenüber dem radikalisierten Teil der nationalreligiösen Siedlerbewegung außerhalb der großen Siedlungsblöcke etwas schroffer. Die Probleme in der palästinensischen Politik und Gesellschaft, die eine ernsthafte Annäherung verhindern, würden dadurch allerdings kaum gelöst.

Außenpolitisch, etwa bei der Bekämpfung des iranischen Einflusses und der Hizbollah, die Israel mit über 100 000 Raketen bedroht, sind die Spielräume für jede Regierung in Israel nicht besonders groß. Jeder künftigen Regierung bleibt in diesen Fragen nur jene Mischung aus Entschlossenheit und Pragmatismus, die die israelische Sicherheitspolitik prägt. Bei seinem ersten großen internationalen Auftritt bei der Münchner Sicherheitskonferenz am Sonntag sagte Gantz, hinsichtlich der iranischen Bedrohung stehe er an der Seite seines Rivalen Netanyahu und es gebe in dieser Frage in Israel »kein links und rechts, keine Koalition oder Opposition«.