Small Talk mit Elisa Haberman und Frederike Sonntag von den »Medical Students for Choice« über die Paragraphen 218 und 219

»Die Paragraphen 218 und 219 streichen«

Sie fordern die Streichung der Paragraphen 218 und 219 aus dem Strafgesetzbuch, weil diese gegen die Selbstbestimmung von Schwangeren sowie von Ärztinnen und Ärzten verstießen. Sie protestieren gegen die fehlende Lehre der medizinischen Aspekte des Schwangerschaftsabbruchs an deutschen Hochschulen und schaffen Abhilfe mit »Papaya-Workshops«: Die »Medical Students for Choice« sind eine Gruppe von Studierenden der Medizin. Die Jungle World sprach mit Elisa Haberman und Frederike Sonntag von den »Medical Students for Choice« an der Berliner Charité.
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Was bedeuten für Sie als Studierende der Medizin die Paragraphen 218 und 219?
Haberman: Diese Paragraphen sprechen unseren zukünftigen Patientinnen ihre körperliche Selbstbestimmung ab und hindern uns im späteren Berufsleben daran, unsere Patientinnen vernünftig zu informieren. Wir halten es für wichtig, solidarisch mit unseren Patientinnen zu sein. Es sollte Teil eines demokratischen Grundverständnisses sein, dass alle Personen entscheiden können, was mit ihrem Körper passiert.
Sonntag: Bisher werden kaum medizinische Aspekte des Schwangerschaftsabbruchs an Universitäten gelehrt. Die derzeitige Gesetzeslage erschwert eine bessere Integration in das Curriculum. Es ist also klar, dass hochschulinterner Aktivismus allein hier nicht ausreicht. Wir werden nicht zufrieden sein, ­bevor nicht die Paragraphen 218 und 219 aus dem Strafgesetzbuch gestrichen wurden.

Wie beurteilen Sie den neuen Gesetzentwurf für Paragraph 219a?
Sonntag:
Dem neuen Gesetzentwurf zufolge dürfen Ärztinnen und Ärzte immer noch keine detaillierten Informationen auf ihren Praxisseiten veröffentlichen: Ob Abbrüche medikamentös vorgenommen werden oder operativ, mittels Vakuumaspiration oder Curettage, dürfen sie nicht öffentlich preisgeben. Dies zeigt mangelndes Vertrauen in Ärztinnen und Ärzte sowie  Schwangere. Hinzu kommt, dass in Deutschland immer noch etwa 15 Prozent aller Abbrüche per Curettage, also der Ausschabung der ­Gebärmutter, vorgenommen werden – eine Methode, die die WHO als veraltet und weniger sicher beschreibt. Es fehlt an der entsprechenden Lehre.

Hat die Charité mittlerweile ein Einsehen?
Haberman:
Die Charité hat im vergangenen Sommersemester bei der vorgesehenen Lehrveranstaltung zur Thematik des Schwangerschaftsabbruchs eine Änderung beschlossen. Weiterhin sollen jedoch nur die ethischen und rechtlichen Aspekte behandelt werden. Der Abbruch wird immer noch nicht als ­medizinischer Eingriff behandelt, zu dem medizinische Grundkenntnisse vermittelt werden. Es wurde uns jedoch vor kurzer Zeit zugesichert, eine Änderung der Lehrveranstaltungen erneut zu diskutieren. Wir sind gespannt.

Sie versuchen, das mit selbstorganisierten Übungen zu kompensieren – an einer Papaya.
Sonntag: Als studentische AG der Charité bieten wir bereits seit etwa drei Jahren den »Papaya-Workshop« auf dem Unigelände an. Das praktische Üben fördert den Wissenszuwachs deutlich, der Andrang war groß und das Feedback sehr gut. Kritik daran wurde erst im Kontext der medialen Aufmerksamkeit laut, die wir im Zuge der Debatte um den Paragraphen 219a und die Verurteilung der Ärztin Kristina Hänel bekamen. Uns sollte die Nutzung Charité-eigener Räume für den Workshop verboten werden. Letztlich wurde das angedrohte Raumverbot aber zurückgenommen.

Welche Mythen gibt es in der Debatte über Schwangerschaftsabbrüche?
Haberman: Es gibt zahlreiche Vorurteile über Personen, die einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen: Sie seien jung, verantwortungslos, würden nicht richtig verhüten, seien egoistisch und kinderfeindlich. In Wirklichkeit sind die wenigsten Frauen, die einen Abbruch haben, unter 18, und die große Mehrheit hat bereits Kinder. Der größte Mythos ist wohl, dass Frauen diese Entscheidung nicht selb­ständig und verantwortungsvoll treffen können.