Alle reden über Marie Kondo. Wir auch. Eine Debatte über gefaltete Socken und Projektionen von Glück

»Does it spark joy?«

Was sagt der Zustand deiner Sockenschublade über deine Liebesbeziehung aus? Marie Kondo behauptet, die Antwort darauf zu haben. In einer Netflix-Serie lehrt sie Menschen durch Ordnung und Minimalismus das Glück zu erreichen. Ist das nur das nächste Level der Selbstoptimierung oder ist da was dran? Zwei Meinungen.

Nobelpreis fürs Großreinemachen

Unterhosen und T-Shirts, kleingefaltet und in bunte Boxen sortiert. Seit Tagen, ach was, beinahe schon Wochen wird auf Facebook über Ordnung gestritten, beziehungsweise über Marie Kondo.

Marie Kondo wird, je nach Sichtweise, den Kommunismus bringen oder verhindern, uns alle versklaven oder befreien und außerdem gehört sie erschossen oder mit dem Nobelpreis für Großreinemachen ausgezeichnet, je nachdem. Dabei macht sie eigentlich nichts außer Ordnung, beziehungs­weise sie erklärt anderen Leuten ihre Vorstellung von Ordnung, was nun nicht der Gipfelpunkt der Zumutungen ist, aber die Zeiten sind so, dass die Menschen sich gern aufregen oder das, worüber sich andere aufregen, inbrünstig verteidigen, weswegen ausdauernd über gefaltete Unterhosen geredet werden muss.

Das Beste an Marie Kondo ist übrigens, dass sie versucht, den Deutschen die Kartoffeligkeit abzugewöhnen, jedenfalls in Bezug auf Socken und Strümpfe. Warum Socken unbedingt als Ballen aufbewahrt werden müssen, ist schon lange ein Rätsel.

Interessanterweise spielt ein Aspekt des Kondoismus bei seinen Gegnern ­allerdings keine Rolle, nämlich die nicht nur in den Bereichen Selbstoptimierung und Lebensratschläge anzutreffende, sich mit großem Ernst vermarktende Experteria. Zu der gehört in ­vielen Bereichen zwingend dazu, mit großem Drumherum-Trallala Gemeinplätze zu verbreiten. Und das, was in ein paar Haupt- und einigen verschachtelten Nebensätzen gesagt werden könnte, zu länglichen, mindestens ein­stündigen Vorträgen auszuwalzen, gern auch in Verbindung mit Powerpoint-Präsentationen, in denen einzelne Worte und vielleicht sogar sie verdeutlichende Diagramme noch einmal prominent hervorgehoben werden, was der gesamten Darbietung besondere Bedeutung verschafft, weil diejenigen, die ihr zuhören, sich dadurch verpflichtet fühlen, das alles abzuschreiben und abzumalen, weil es ja offenkundig so wichtig ist.

So ähnlich macht das auch Marie Kondo. Eigentlich ist ihre Vorgehensweise nämlich ausnehmend simpel. Wenn man Slips (und andere Kleidungsstücke) kleinfaltet und in bunte Boxen oder zur Not Plastikbehälter, deren Deckel schon seit ewig verloren gegangen sind, presst, nehmen sie weniger Platz ein, als wenn man sie einfach in eine Schublade wirft. Doch, wirklich: Selbst wenn die Unterhosen schon in einem ausgesprochen überfüllt wirkenden Dings einsortiert wurden, schafft man es erstaunlicherweise in aller Regel, doch noch ein paar mehr hineinzuquetschen, wenn man denn unbedingt möchte. Was nicht nur sehr hübsch aussieht, jedenfalls, wenn man nicht bloß langweilig-weiße Schlüpfer hat, sondern auch wirklich für mehr Platz im Schrank sorgt – und nein, man muss dazu gar nicht so akribisch falten wie Kondo, und aufrecht stehenbleiben müssen die Sachen auch gar nicht, es reicht, sie irgendwie kleinzukriegen. Mit Unterhosenzusammenlegerei wird man aber natürlich kein globaler Ordnungsstar. Und schon gar nicht reicht sie, um eine ganze Netflix-Serie zu füllen, deswegen gibt es bei Kondo neben gemeinplatzigen Merksätzen wie »Wirf halt alles weg, was du nicht brauchst oder was dich unglücklich macht« noch jede Menge Aufräumesoterik. Warum man sich vor der Aussortiererei hinknien und der Wohnung danken muss, bleibt beispielsweise unklar, zumal der Kleiderschrank, in dem zu­allererst Ordung geschaffen wird, nicht mal ein winziges Dankeschön abbekommt, ganz zu schweigen von Schubladen und Stangen und Kleiderbügeln, aber gut, das ist die Marie-Kondo-Welt, und wenn sie das gern so tun möchte, um ihre Sendezeit zu füllen, dann ist das halt so. Man muss den Quatsch ja nicht mitmachen, auch wenn auf Facebook derzeit gern so getan wird, als werde der Bundestag nächste Woche ein Gesetz verabschieden, das die Haltung von freilebenden ungefalteten Unterhosen verbietet.

Das Beste an Marie Kondo ist übrigens, dass sie versucht, den Deutschen die Kartoffeligkeit abzugewöhnen, jedenfalls in Bezug auf Socken und Strümpfe. Warum Socken unbedingt als Ballen aufbewahrt werden müssen, ist schon lange ein Rätsel.

Sie so lange übereinanderzurollen, bis sie möglichst viel Platz wegnehmen, statt sie einfach kleinzufalten und in eine hübsche Box (Pro-Tipp: Asiatisches Tech-Zeugs wird immer, immer, immer in unfassbar schicken Kartons geliefert, die einfach viel zu schade zum Wegwerfen sind) zu stopfen, ist schon ziemlich dusselig, vor allem, weil ein Strümpferand dadurch immer schneller ausleiert als der andere. Außerdem rollen die Dinger einkartoffelt schneller weg, was angesichts der Unternehmungslustigkeit von Socken natürlich nicht erstrebenswert ist. Strümpfe wollen nicht zu Kartoffeln verarbeitet werden, sagt Marie Kondo. Und selbst wenn man partout die Sache mit der Sachenfalterei nicht machen möchte, daran sollte man sich wenigstens halten. Weil nur keine Kartoffeln gute Kartoffeln sind.

Elke Wittich

 

Visionen von Frieden

Der Hype um die Netflix-Serie »Tidying Up with Marie Kondo« verrät verstörende Dinge über die menschliche Psyche.

Wer die vergangenen vier Wochen nicht in einer Höhle verbracht hat, wird den Namen Marie Kondo mindestens einmal schon gehört haben. Seit die Serie »Tidying Up with Marie Kondo« am 1. Januar auf Netflix anlief, ist das Aufräumen plötzlich zu einem sehr beliebten Small-Talk-Thema geworden, besonders für die Altersgruppe zwischen Mitte 30 und Mitte 40. Sehr wichtig dabei: eine Meinung haben. Entweder man liebt die erfolgreiche, aus Japan stammende Aufräum- und Ordnungsberaterin oder man hasst sie. Für beide ­Haltungen gibt es Argumente, die mehr oder weniger überzeugend erscheinen mögen – was aber gar nicht geht, ist, dass Frau Kondo und ihre »magische« Aufräummethode, die sie unter den Namen »KonMari« patentieren ließ, einem herzlich egal sind. Denn diese adrette Frau, die ständig lächelt und sich so anmutig inmitten von Bergen von Sachen bewegt, scheint irgendetwas ganz tief in der menschlichen Psyche zu berühren.

Eigene Recherchen haben ergeben, dass 13jährigen der Name Marie Kondo zumindest bekannt ist: »Die Aufräumtante? Ja, schon gehört. Warum ist die eigentlich überhaupt auf Netflix?« Wenn sie wüssten.

In den Folgen der Serie werden dem Zuschauer verschiedene Lebensmodelle präsentiert. Bei Familie Friend zum Beispiel arbeitet Kevin rund 60 Stunden pro Woche und sieht die Kinder nach eigenen Angaben »nur nebenbei«. Er ist genervt davon, dass eine Haushalts­hilfe für die Wäsche angestellt werden musste, schließlich bleibt Ehefrau ­Rachel den ganzen Tag mit den Kindern zu Hause. Rachel fühlt sich mit der ­Organisation des Haushalts überfordert, wie sie ständig wiederholt, oft mit Tränen in den Augen.

Bei der nächsten jungen Familie, den Mersiers, sehen wir eine in Vollzeit als Friseurin arbeitende Mutter, zwei Kinder im Alter von elf und zwölf und ­einen Vater, der als Musiker tätig ist. Dieser behauptet von sich, gar nicht im Haushalt zu helfen, aber der Beste im Essenbestellen zu sein. »Sie stellt ­sicher, dass wir etwas essen«, beschreibt er lässig die Funktion seiner Ehefrau. Weder Daddy cool noch die beiden angehenden Teenager scheinen sich jemals dafür interessiert zu haben, wo eine Tasse oder die eigene Sporthose hingehört, dafür wird Mama angerufen – und davon fühlt sich Mama gestresst.

Wie viel solche gestresste, von Schuldgefühlen geplagte Frauen bereit sind, Marie Kondo für ihre wertvollen Ratschläge zu bezahlen, ist nicht bekannt. Wer weiß, wie viel sie für folgenden Tipp ausgeben würden: Erstmal die Männer freundlich darauf hinzuweisen, dass die fünfziger Jahre bald seit einem ganzen Menschenalter vorbei sind und dass ihr Nichtstun das größte Hindernis für ­einen organisierten Haushalt ist. Erst wenn sich jeder für seinen eigenen Kram zuständig fühlt, würde das Ritual des Abschiednehmens von Sachen, die keine »Freude entfachen« – im deutschen Sprachgebrauch auch als »ausmisten« bekannt – vielleicht irgendeinen Sinn ergeben.

Auch den hippen Comedy-Autoren, die ihre bereits ziemlich aufgeräumte Wohnung noch ordentlicher haben möchten, weil sie sich darin »nicht erwachsen« fühlen und glauben, ihre Liebesbeziehung werde so »nicht ernst genommen«, möchte man ans Herz ­legen, es erstmal mit einer Haushaltshilfe zu versuchen, bevor sie vom Gefühl des existentiellen Versagens zerfressen werden. Aber für Beziehungsprobleme hat Netflix bekanntlich andere Formate im Angebot.

Also, zurück zum Aufräumen, beziehungsweise zur Frage, was Marie Kondo mit uns – jedenfalls mit vielen – macht. Eine ziemlich interessante Methode, dies zu erforschen, ist Menschen nach ihr zu fragen, die immun gegen den Hype um sie zu sein scheinen, Teenager zum Beispiel. Eigene Recherchen haben ergeben, dass 13jährigen der Name Marie Kondo zumindest bekannt ist: »Die Aufräumtante? Ja, schon gehört. Warum ist die eigentlich überhaupt auf Netflix?« Wenn sie wüssten. Wenn sie nur ahnten, wie viel Freude sie »entfachen« könnten, wenn sie nur einige wenige Kondo-Moves üben würden. Aber das ist genau der Punkt: Diese Freude ist nicht ihre eigene. Das kann gar nicht sein, denn dieses »Glück«, das Frau Kondo ihren Kunden in Aussicht stellt, ist pure Projektion. Genau genommen sind es Kinder und Teenager, die das Kondo-Prinzip am besten ­beherrschen: sich von dem verabschieden, was keine »Freude bereitet«: Auf die Eltern hören? Hausaufgaben? Gesundes Essen? Aufräumen? Weg damit! Das ist zugegebenermaßen eine ­etwas freie Interpretation der KonMari-Philosophie, die auf etwas ganz ­anderes abzielt als nur »Ordnung schaffen«.

»Was für ein Leben willst du führen?«, fragt Kondo die Menschen, die sie ­besucht, bevor sie zum »Freude ent­fachen«-Part übergeht. Die einzige Antwort, die in der Gegenwart dieser Frau möglich erscheint, lautet: »Ein sortiertes, organisiertes und planbares Leben, was sonst?« Anschließend durchleben diese Menschen existentielle Krisen, in denen das Gefühl, im ­Leben versagt zu haben, Visionen von innerlicher Ordnung und Harmonie und von einem Haushalt auslöst, in dem Dinge eine Seele haben. Marie Kondo bietet eine Antwort auf das Bedürfnis einer verunsicherten Gesellschaft nach Bestätigung, danach, Dinge richtig zu machen, also Regeln zu befolgen, was zu einer Form von instant gratification führen. »Du bist ein guter Mensch«, lautet dann die Belohnung. Es ist ein Spiel, das man jedenfalls spielen kann. Mit Erwachsensein hat das aber wenig zu tun.

Federica Matteoni