Homestory #02

Null Treffer ergibt unsere Archivrecherche, wenn man den Namen Claas Relotius bei Jungle World eingibt. Der Reporter scheint in den vergangenen zehn Jahren alle Blätter von Taz über Cicero bis Spiegel mit seinen Geschichten vollgeschrieben, aber die Jungle World verschont zu haben. Ob im Fall des Falles die Typen in den schwarzen Lederjacken aus der Dokumentation im elften Stock unseres Verlagspalastes die Fakes als solche entlarvt hätten? Spässken! Eine solche Abteilung gibt es hier nicht, aber es gibt aufmerksame Kollegen, die schon mal misstrauisch reagieren, wenn ihnen irgendetwas komisch vorkommt. Solch ein Kollege arbeitet zum Beispiel in der IT-Abteilung der Jungle World. Richtig, eine IT-Abteilung gibt es tatsächlich und sie teilt sich einen Raum am hinteren Ende des Flurs mit einem Punk-Magazin. Der IT-Kollege kümmert sich um unsere Server und wehrt Hacker ab. Bevor er Administrator bei der Jungle World wurde, besuchte er mal den Kongress 29C3 des Chaos Computer Clubs in Hamburg, der damals unter dem Motto »Not My Department« stand, und interessierte sich für die Kunstfertigkeit der Lockpicker, die zur Konferenz eingeladen worden waren, um an irgendwelchen Schlössern herumzufrickeln.

Lockpicker sind Leute, die Vorhängeschlösser ohne Schlüssel öffnen können. Ohne das Schloss dabei zu beschädigen, drücken sie beim Picken mit unterschiedlich geformten Werkzeugen die Stifte herunter, um das Schloss zu knacken. Lockpicker sind die Metaller unter den Hackern. Sie arbeiten wie ihre digitalen Kollegen mit verschiedenen Behörden zusammen, veranstalten Meisterschaften und Workshops und haben viel Spaß am gewaltlosen und zerstörungsfreien Öffnen von Schlössern aller Art.

Aus Neugier frickelte unser Kollege ein bisschen mit und wurde daraufhin von einem jungen Reporter angesprochen, der sich als Mann vom Spiegel vorstellte und ihn nach einem Interview zum Thema Lockpicking fragte. »Das war Claas Relotius«, sagt unser Kollege, der ihn damals gleich ein bisschen unsympathisch fand und sich auch keineswegs in einer Spiegel-Geschichte als Lock­picker-Nerd porträtiert sehen wollte. Vielleicht als jemand, der nur mit einem Dietrich bewaffnet seine Wohnung verlässt und nachts davon träumt, eines Tages die Spree zu sehen.