Wie macht man aus einem populistischen Protest gegen Steuern eine Revolution?

Der gegenwärtige Aufstand

Einige Antworten französischer Linksradikaler enthüllen nur komplette Konfusion.
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Es geht voran. Am Samstag hat die Bewegung der »Gelben Westen« mit tatkräftiger Unterstützung von anarchistischen und insur­rektionalistischen street fighters und Banlieue-Kids, die teils die Gelegenheit zum Plündern nutzten, in Paris noch mehr Sach­schäden verursacht als am Wochenende zuvor. Wie bedeutend die Beteiligung von Nazischlägern an den Unruhen war, lässt sich nur schwer ermessen; neue Graffiti wie »libre, social, national« mit Keltenkreuz machen aber klar, dass auch sie in Paris erneut auf der Straße waren. Es war der Akt IV der Bewegung der Gelben Westen, das vierte Wochenende ihrer Proteste. Nicht nur in Paris kam es zu Auseinandersetzungen mit den flics, sondern auch in einer Reihe anderer Städte.

Bei den französischen Linken und Linksradikalen hat das Auf­tauchen der Gelben Westen zu unterschiedlichen Reaktionen geführt. Jene, die Militanz fetischisieren und bereits in den Flammen auf den Champs-Elysées eine vorrevolutionäre Situation sich ankündigen sehen, waren begeistert und riefen umstandslos dazu auf, sich den Protesten gegen Steuern und den weithin verhassten Präsidenten Emmanuel Macron auf der Straße anzuschließen und ordentlich auf den Putz zu hauen. Das ging nicht ohne schwerwiegende ideologische Kollateralschäden.

Auf dem anarchistischen Blog lignesdeforce etwa beklagte Anfang Dezember das Autorenduo »Gilles et John« unter dem Titel »Banzai!« eine »vampirhafte Herrschaft, deren Steuern ein Tentakel sind« – der berüchtigte Oktopusvampir, ein Klon aus Nazi-Schnapsideen über die Herrschaft des Kapitals, spiegelt den mentalen Zustand des sich gleichzeitig erdrückt und ausgesaugt wähnenden Steuerzahlers, vom Dieselkonsumenten bis zum Klein­unternehmer. 

Die Gelben Westen erscheinen dann als moderne Variante der sans-culottes, nur mit Hosen und mit Autos.

»Die Situation ist einfach: Das Volk will den Sturz des Systems«, hieß es hingegen in einem Text, der am 3. Dezember auf der Web­site Lundi matin erschien, die der »insurrektionalistischen« Strömung nahesteht und sich an Texten wie »Der kommende Aufstand« orientiert. Volk versus System – das ist eine Ideologie, die auch den Nazis lieb und teuer ist. 

Éric Hazan, der Verleger von »Der kommende Aufstand«, redete sich derweil in einem Interview mit der linken Internet-Zeitung Mediapart um Kopf und Kragen. »Eine ganze Reihe Intellektueller sieht die Gewalt als das Übel. Jene, die nicht dieser Position an­hängen und sie manchmal für legitim halten, fuchst es nicht wenig, dass die extreme Rechte in dieser Gewalt präsent ist. Aber mich, mich stört das nicht.« Auf die Frage »Warum?« antwortete er: »Weil die Feinde meiner Feinde nicht wirklich meine Freunde sind, aber trotzdem ein wenig.« Wenn also die Nazis nur »ein wenig« seine Freunde sind, gibt es offenbar kein Problem. Da werden sich der Nazi Alain Soral und der Antisemit Dieudonné, die sich auch bereits in gelben Westen präsentierten, aber freuen.

Weil es in der gesamten schönen Bewegung der Gelben Westen um Steuern, Steuern, Steuern und gegen Macron geht, nie aber um die Abschaffung der Ausbeutung, Warenproduktion, Lohnarbeit, und die Unternehmer ungeschoren davonkommen, liegt es auf der Hand, sich – klassentechnisch strikt neutral – auf das Volk zu kap­rizieren. Einige greifen dann tief in die Klamottenkiste und landen bei der Französischen Revolution, die Gelben Westen erscheinen dann als moderne Variante der sans-culottes, nur mit Hosen und mit Autos. Der linke Nationalpopulist Jean-Luc Mélenchon zeigt sich anlässlich der gelben Proteste entzückt, meint triumphierend »Die Lösung ist das Volk«, und ruft nun zu einem »fünften Akt« der »Bürgerinsurrektion« auf.

Mit solchen Strategen kann dem gegenwärtigen Aufstand nur eine echte Revolution folgen, die aber keine soziale, sondern eher eine nationale sein dürfte.