Die Berliner Schaubühne führt Ödön von Horváths Stück »Italienische Nacht« in ­aktualisierter Version auf

Tanz der Genossen

Thomas Ostermeier inszeniert Ödön von Horváths »Italienische Nacht«.

Eine typische Gaststätte in der süddeutschen Provinz: Seit den sechziger Jahren ist hier nicht viel passiert, ein Glücksspielautomat hängt an der Wand in unmittelbarer Nähe eines Hirschgeweihs über der Tür, die Gardinen wirken aus der Zeit gefallen, die Einrichtung aus Holz steht auch schon ein paar Tage hier. Es werden die letzten Vorbereitungen für die abendlichen Feierlichkeiten getroffen. Die Wirtin Josefine (Traute Hoess) steht auf einer wackligen Leiter und hängt Girlanden auf, in Grün, Weiß und Rot. Unterdessen befestigt ein Mann eine Fahne vor einem der drei Fenster – sie zeigt ein schwarzes Kreuz auf weißem Hintergrund mit Adler in der Mitte, ihre linke obere Ecke schmücken die Farben Schwarz, Weiß und Rot. Josefine hat Glück: Für den heutigen Abend wurde ihr Saal gleich zwei Mal gebucht – vom Vorstand der örtlichen Sozialdemokraten, die eine italienische Nacht feiern möchten, und von Faschisten, die sich zuvor in der Gaststätte versammeln möchten.

1931 wurde »Italienische Nacht«, das gleichnamige Stück des österreich-ungarischen Schriftstellers Ödön von Horváth, uraufgeführt. Er beobachtete in seinem »Volksstück in sieben Bildern« nicht zuletzt auch, welchen Anteil am Zusammenbruch der Demokratie eine Linke hat, die die Realität der Gesellschaft ignoriert und sich in Parteikämpfen im eigenen Lager zerfleischt. Zwei Jahre später musste der Dramatiker Deutschland verlassen, nachdem im Anschluss an Hitlers Wahlsieg eine SA-Truppe sein Elternhaus gestürmt hatte.

Nun hat Thomas Ostermeier, künstlerischer Leiter der Berliner Schaubühne, die »Italienische Nacht« inszeniert und aktualisiert. Mit dem »Aufkommen einer rechtsextremen Massenbewegung«, wie es im Programmheft heißt, beschäftigt sich Ostermeier nicht zum ersten Mal. Auch in seinen Inszenierungen »Professor Bernhardi« und »Rückkehr nach Reims« geht es um die Faschisierung und die Reaktion der Linken darauf. Der wachsende Rechtspopulismus fordert das Theater heraus: »Lieber wäre es mir«, sagte Ostermeier in ­einem Interview, »wenn diese Stoffe, die von einer Gesellschaft erzählen, die sich in Lager teilt und mit Rassismen, Homophobie und Frauenfeindlichkeit agiert, auf der Bühne keine Wirklichkeit präsentieren. Mir wäre es lieber, wir wären wieder in den Neunzigern, wo alles ging und möglich war. Aber Theater ohne Kon­flikte ist langweilig. Weil sich die Konflikte in unserer Gesellschaft wieder verschärfen, ist das Theater in einer besseren Situation als vor ein paar Jahren.«

Es ist der durchweg starken darstellerischen Leistung von Alina Stiegler zu verdanken, dass sie der Rolle als Anhängsel des linken Machers und als Opfer dennoch etwas Widerständiges abtrotzen kann.

Wie bei Horváth kommt die Linke, von republikanischen Sozialdemokraten bis zu strammen Marxisten, in der Schaubühnen-Inszenierung nicht besonders gut weg. Im Angesicht der faschistischen Bedrohung auf nationaler Ebener sowie vor Ort schließen die Antifaschisten sich nicht zusammen, sondern liefern sich Grabenkämpfe. Eine Einheitsfront kommt nicht zustande.
Martin (Sebastian Schwarz), ein Genosse des linken Parteiflügels, Proletarier und bekennender Marxist, ist die Schlüsselfigur. Er plädiert für einen konsequenten Kampf gegen die Faschisten und legt sich dabei mit dem Parteivorstand an, der die Faschisten in parlamentarischer ­Tradition ignorieren möchte, da man ihnen sonst zu viel Aufmerksamkeit schenken würde. Und außerdem: Wir leben ja schließlich in einer Demokratie! Der Streit geht so weit, dass der Marxist wegen parteischädigenden Verhaltens aus der Partei ausgeschlossen wird. Der Vorstand möchte keine »Spalter« in den eigenen Reihen.

Die Konflikte werden plastisch dargestellt: Es kommt zur Schlägerei zwischen den Genossen. Die Rhetorik der Revolutionäre ist aggressiv und oft pathetisch, genau wie die der Faschisten. Der Parteivorstand kritisiert die rüde Debatte. Die friedliche Feier sozialdemokratischer Inhalte sei der wahre Antifaschismus.

Auch äußerlich unterscheiden sich die Mitglieder der Partei deutlich: Besteht das Kostüm von Stadtrat Ammetsberger (Bernd Hölscher/Hans-Jochen Wagner) aus Anzug, Hemd und Hut, tritt der Revolutionär Martin in Jeans und Lederjacke auf, was ihm Ähnlichkeiten mit einem Autonomen der Neunziger verleiht. Ziemlich zeitgenössisch gekleidet sind die Faschisten: Ihr Wortführer – ganz in schwarz – ist mit Polohemd und New-Balance-Sneakern ausgestattet worden, ähnlich auch seine Kameraden. So könnte auch ein Naziaufmarsch in Dortmund aussehen.

Diese Aktualisierung des historischen Stücks zieht sich durch die gesamte Inszenierung Ostermeiers: Beim Treffen der Faschisten wird Rechtsrock gespielt, die Sozialdemokraten reden über die DDR. Doch besonders auf inhaltlicher Ebene möchte der Regisseur mit Hilfe seines Dramaturgen Florian Borchmeyer die Analyse des aufkommenden Faschismus auf die heutige Zeit übertragen. Immer wieder sind aktuelle Zitate in die Inszenierung eingebaut: Alexander Gaulands Spruch »Wir werden sie jagen« kommt vor sowie »Volksverräter«-Rufe, wie sie auf jeder Pegida-Demonstration zu hören sind. Das ist eindrucksvoll und beklemmend gemacht, allerdings auch etwas platt. Eine Erklärung, wie der Aufstieg des Rechtsextremismus möglich wurde, bleibt die Inszenierung schuldig.

Die Diskussionen innerhalb des linken Parteiflügels sind eher im historischen Format gehalten und genau deswegen so interessant. Karl (Christoph Gawenda), Künstler und vertrauter Genosse von Martin, muss sich den Vorwurf des Müßiggangs gefallen lassen, er verbringe auch zu viel Zeit mit »den Frauen«. Ihm fehle die Erfahrung des Proletariers und er sei nur ein »halber Mensch«.

Bei den Frauenfiguren hätte man sich eine zeitgemäßere Interpretation der Rollen gewünscht.

Ostermeier übernimmt jedoch das von Horváth vorgegebene Rollenmodell: Martin will die Völkischen ausspionieren und setzt seine Freundin Anna als Lockvogel ein. Er schickt Anna »auf den politischen Strich«, wie ihm ein Genosse vorwirft, und lässt sie mit einem Faschisten anbandeln. Das abendliche Treffen endet für Anna in der Katastrophe. Statt Informationen auszuplaudern, vergewaltigt sie der Mann. Es ist der durchweg starken darstellerischen Leistung von Alina Stiegler zu verdanken, dass sie der Rolle als Anhängsel des linken Machers und als Opfer dennoch etwas Widerständiges abtrotzen kann.

Eine Gleichsetzung der heutigen Ereignisse mit denen der Weimarer Republik hat Ostermeier ohnehin nicht beabsichtigt. »Es scheint vielleicht, als würden wir die Fehler der Vergangenheit wiederholen, aber die aktuelle Situation ist natürlich anders. Das Gegenteil zu behaupten, wäre banal.«

 

»Italienische Nacht«. Von Ödön von Horváth. In einer Fassung von Thomas Ostermeier und Florian Borchmeyer an der Schaubühne Berlin.

Regie: Thomas Ostermeier. Darsteller: Bernd Hölscher, Hans-Jochen Wagner, Sebastian Schwarz, Christoph Gawenda, Alina Stiegler