Was kommt nach Angela Merkel?

Träumen von der guten alten Zeit

In der CDU wird die Nachfolge Angela Merkels vorbereitet. Die Partei­rechte freut sich über Friedrich Merz als Kandidaten für den ­­Partei­vorsitz. Mit Annegret Kramp-Karrenbauer hat eine weitere Wert­konservative Ambitionen angemeldet. Die Liberalisierung der Partei unter Merkel lässt sich jedoch nicht einfach rückgängig machen.

Er ist wieder da: »Mein Name ist Friedrich Merz – mit ›e‹.« So eröffnete der bald 63jährige seinen Auftritt in der Bundespressekonferenz. »Es ist in der Tat lange her, dass ich bei Ihnen war.« Während seines nicht einmal 20minü­tigen Auftritts vor der Presse in Berlin demonstrierte Merz, dass er ganz der Alte geblieben ist. Drei Tage nach dem miserablen Ergebnis der CDU bei der Landtagswahl in Hessen reihte er sorgsam eine Phrase an die nächste. »Die CDU braucht jetzt Aufbruch und Erneuerung«, verkündete er. Die »Öffnung und Modernisierung« der Partei müsse vorangetrieben werden, was für ihn bedeute, dass »gerade in Zeiten von Migration und Globalisierung nationale Identität und traditionelle Werte einen festen Platz in unserem Denken und Handeln haben«. Sich selbst beschrieb er als jemanden, der von seiner »ganzen Überzeugung und Neigung her ein Wirtschaftsliberaler, ein Wertkonservativer und ein sozialpolitisch engagierter Mensch« sei – womit er die drei Grundströmungen der CDU in einer Person verkörpere. Allerdings beschränkte er den Nachweis seines sozialen Anspruchs auf die Feststellung: »Deutschland hat eine viel zu kleine Anzahl von Aktionären.«

Neun Jahre nach seinem freiwilligen Ausscheiden aus dem politischen ­Geschäft versucht sich Friedrich Merz an der Rückkehr in die große Politik. Auf dem Bundesparteitag Anfang Dezem­ber in Hamburg will er für den Vorsitz der CDU kandidieren. Manche in der Partei sehen ihn geradezu als Heilsbringer. So berichtet eine Person aus dem Führungszirkel der Union in ­einem Hintergrundgespräch, in ihrem Landesverband begegne sie gerade »gestandenen Männern«, die mit feuchten Augen sagten: »Die gute alte Zeit kommt wieder.«

Wirtschaftspolitisch ist Merz ein fanatischer Verfechter des »freien Markts«, gesellschaftspolitisch erzkonservativ – eine Mischung, die in manchen politischen und wirtschaftlichen Kreisen ankommt.

Welche gute alte Zeit gemeint ist, wird allerdings nicht erläutert. Sind es die siebziger Jahre, in denen Merz sich als Schüler in der Jungen Union für sein großes Vorbild Franz Josef Strauß und gegen die Ostpolitik des damaligen SPD-Bundeskanzlers Willy Brandt engagierte? Oder soll es die Zeit nach seinem Einzug in den Bundestag 1994 sein, als der katholische »Lebensschützer« zu den Unionsabgeordneten gehörte, die in der Abtreibungsdebatte 1995 ­gegen den Regierungskompromiss stimmten? Vielleicht handelt es sich auch um die Zeit, als er als Fraktions­vorsitzender der Union ab dem Jahr 2000 ebenso gegen die Reform des völkisch geprägten deutschen Staatsangehörigkeitsrechts wie gegen die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften kämpfte? Sein Lieblingsthema seinerzeit war allerdings die »Begrenzung des Sozialstaats«.

Ohnehin ließe sich die Zeit selbst in der CDU nur bei Strafe des eigenen ­Untergangs zurückdrehen. Denn die Liberalisierung der Partei, die Merkel Teilen der Union angelastet wird, war ein unumgänglicher Prozess, geschuldet der gesellschaftlichen Entwicklung in der Bundesrepublik. Sonst hätte die CDU schon längst ihre Mehrheitsfähigkeit verloren. Das wissen auch die klü­geren Leute in der Partei. Auch wenn es nicht einfach sei, könne es nur darum gehen, »unterschiedliche Strömungen in die Mitte zu integrieren«, so die Person aus dem CDU-Führungskreis. »Ganz sicher« würde es ihr zufolge nicht funktionieren, sich nach rechts zu bewegen. Aber was will die Partei dann mit Merz?

 

»Mehr Kapitalismus wagen« lautete der Titel seines 2008 kurz vor seinem Rückzug aus der Politik veröffentlichten Buchs. Und genau das machte Merz auch: kräftig Kasse. So ist er denn auch eigentlich ein viel zu beschäftigter Mann, um noch Zeit für irgendwelche politischen Ambitionen zu finden. Schließlich ist er Aufsichtsratsvorsitzender des deutschen Tochterunternehmens des US-Investmenthauses Blackrock, der größten Vermögensverwaltung der Welt.

Zudem gehört Merz dem Verwaltungs- und dem Aufsichtsrat der in Düsseldorf ansässigen Geschäftsbank HSBC Trinkaus & Burkhardt an, ist Aufsichtsratsvorsitzender der WEPA Industrieholding (»Hygienepapiere mit Familientradition«) und des Flughafens Köln-Bonn. Im Verwaltungsrat des Schweizer Zugfabrikanten Stadler Rail und im politischen Beirat der Stiftung Marktwirtschaft sitzt er ebenfalls. Als Vor­sitzender der »Atlantik-Brücke« macht er sich um das deutsch-amerikanische Vereinsleben verdient.

Darüber hinaus ist Merz bereits seit der Zeit, da er als Bundestagsabgeord­neter vergeblich gegen die Offenlegung seiner Nebeneinkünfte klagte, für Mayer Brown tätig. »Zu seinen Mandanten zählen zahlreiche Dax-Unternehmen und internationale Konzerne«, bewirbt die internationale Anwaltskanzlei ihren prominenten Senior Counsel. Das passt ganz gut, ist Blackrock doch an allen 30 Dax-Unternehmen beteiligt – und damit der größte Einzel­aktionär an der deutschen Börse, deren Aufsichtsrat Merz bis 2015 angehörte. Seiner Partei blieb Merz gleichwohl über die Jahre als Präsidiumsmitglied des CDU-Wirtschaftsrats verbunden. Wirtschaftspolitisch ein fanatischer Verfechter des »freien Markts«, gesellschaftspolitisch erzkonservativ – gepaart mit einer gewissen rhetorischen Begabung ist das eine Mischung, die in bestimmten Kreisen sowohl der Politik als auch der Wirtschaft ankommt. Doch reicht das für den CDU-Vorsitz?

In acht Regionalkonferenzen werden sich die Kandidatinnen und Kandidaten ab Mitte November der Parteibasis präsentieren. Die Prominentesten sind neben Merz die CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer und der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Doch Spahn wird sich in den kommenden Wochen wohl noch überlegen, ob er auf dem Bundes­parteitag im Dezember eine schwere Niederlage riskieren will. Die über­raschende Kandidatur von Merz kam für ihn mehr als ungelegen. Mit emsiger Arbeit und ­gehöriger Lautstärke hatte sich der Münsterländer in den vergangenen Jahren als potentieller Nachfolger Merkels empfohlen. Der »konservative Rebell« war für den rechten Parteiflügel jedoch nur eine Not­lösung, mit Merz tritt dessen eigentlicher Wunschkandidat an – ein Erzkonservativer ohne Fehl und Tadel. Spahn hat die falschen Verbündeten gewählt, ein Blick in die Grundsatzpositionen der entsprechenden Parteikreise genügt: Bei ihnen geht es eben nicht nur gegen Flüchtlinge und andere Ausländer, sondern stets auch gegen Homosexuelle. Die »Werteunion« betrachtet »das Leitbild ›Vater, Mutter, Kinder‹ als ­elementaren Grundpfeiler« der Gesellschaft, und für den »Berliner Kreis« meint der Begriff Ehe »einzig und allein die Zweierverbindung von Mann und Frau«. Bei solchen Leuten steht ein heterosexueller dreifacher Familienvater, der die »traditionellen Werte« beschwört, deutlich höher im Kurs als der mit ­einem Mann verheiratete Spahn.

Zwischen Merz und Kramp-Karrenbauer gilt das Rennen hingegen als ­offen. Die 56jährige ist gut vernetzt und genießt hohes Ansehen in der Union. Bei ihrer Wahl zur Generalsekretärin auf dem Parteitag im Februar in Berlin holte sie mit 98,8 Prozent der Stimmen ein sensationelles Ergebnis. Gesellschaftspolitisch ist sie ähnlich konservativ wie Merz. Was Kramp-Karrenbauer von diesem unterscheidet, ist ihre christlich-soziale Ausrichtung – und ihre Loyalität zu Merkel.

Diese ist »bereit, weiter als Bundeskanzlerin zu arbeiten«. Doch ob ihre Amtszeit noch bis zum Ende der Legislaturperiode im Jahr 2021 dauern wird, ist ungewiss. Er rechne mit Neuwahlen »spätestens im Frühsommer« nächsten Jahres, sagte ihr sozialdemokratischer Vorgänger Gerhard Schröder am Montag auf einer Festveranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung. Selbst­verständlich hätte ein CDU-Vorsitzender Merz die Ambition, selbst Bundeskanzler zu werden, und würde Merkel also so schnell wie möglich loswerden wollen. Doch nicht nur die SPD kann bei Umfragewerten unter 15 Prozent keinerlei Interesse an vorgezogenen Wahlen haben. Auch die Union müsste Neuwahlen derzeit fürchten. Für sie bliebe wegen der drohenden Verluste ihres bisherigen Koalitionspartners wohl nur noch eine »Jamaika-Koalition« – mit deutlich erstarkten Grünen, die entsprechende Ansprüche formulieren dürften. Das wäre für Merz keine erstrebenswerte Aussicht. So könnte das derzeitige Regierungsbündnis unter Merkel doch länger erhalten bleiben, als manche glauben.