Was kommt nach Angela Merkel?

Träumen von der guten alten Zeit

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»Mehr Kapitalismus wagen« lautete der Titel seines 2008 kurz vor seinem Rückzug aus der Politik veröffentlichten Buchs. Und genau das machte Merz auch: kräftig Kasse. So ist er denn auch eigentlich ein viel zu beschäftigter Mann, um noch Zeit für irgendwelche politischen Ambitionen zu finden. Schließlich ist er Aufsichtsratsvorsitzender des deutschen Tochterunternehmens des US-Investmenthauses Blackrock, der größten Vermögensverwaltung der Welt.

Zudem gehört Merz dem Verwaltungs- und dem Aufsichtsrat der in Düsseldorf ansässigen Geschäftsbank HSBC Trinkaus & Burkhardt an, ist Aufsichtsratsvorsitzender der WEPA Industrieholding (»Hygienepapiere mit Familientradition«) und des Flughafens Köln-Bonn. Im Verwaltungsrat des Schweizer Zugfabrikanten Stadler Rail und im politischen Beirat der Stiftung Marktwirtschaft sitzt er ebenfalls. Als Vor­sitzender der »Atlantik-Brücke« macht er sich um das deutsch-amerikanische Vereinsleben verdient.

Darüber hinaus ist Merz bereits seit der Zeit, da er als Bundestagsabgeord­neter vergeblich gegen die Offenlegung seiner Nebeneinkünfte klagte, für Mayer Brown tätig. »Zu seinen Mandanten zählen zahlreiche Dax-Unternehmen und internationale Konzerne«, bewirbt die internationale Anwaltskanzlei ihren prominenten Senior Counsel. Das passt ganz gut, ist Blackrock doch an allen 30 Dax-Unternehmen beteiligt – und damit der größte Einzel­aktionär an der deutschen Börse, deren Aufsichtsrat Merz bis 2015 angehörte. Seiner Partei blieb Merz gleichwohl über die Jahre als Präsidiumsmitglied des CDU-Wirtschaftsrats verbunden. Wirtschaftspolitisch ein fanatischer Verfechter des »freien Markts«, gesellschaftspolitisch erzkonservativ – gepaart mit einer gewissen rhetorischen Begabung ist das eine Mischung, die in bestimmten Kreisen sowohl der Politik als auch der Wirtschaft ankommt. Doch reicht das für den CDU-Vorsitz?

In acht Regionalkonferenzen werden sich die Kandidatinnen und Kandidaten ab Mitte November der Parteibasis präsentieren. Die Prominentesten sind neben Merz die CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer und der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Doch Spahn wird sich in den kommenden Wochen wohl noch überlegen, ob er auf dem Bundes­parteitag im Dezember eine schwere Niederlage riskieren will. Die über­raschende Kandidatur von Merz kam für ihn mehr als ungelegen. Mit emsiger Arbeit und ­gehöriger Lautstärke hatte sich der Münsterländer in den vergangenen Jahren als potentieller Nachfolger Merkels empfohlen. Der »konservative Rebell« war für den rechten Parteiflügel jedoch nur eine Not­lösung, mit Merz tritt dessen eigentlicher Wunschkandidat an – ein Erzkonservativer ohne Fehl und Tadel. Spahn hat die falschen Verbündeten gewählt, ein Blick in die Grundsatzpositionen der entsprechenden Parteikreise genügt: Bei ihnen geht es eben nicht nur gegen Flüchtlinge und andere Ausländer, sondern stets auch gegen Homosexuelle. Die »Werteunion« betrachtet »das Leitbild ›Vater, Mutter, Kinder‹ als ­elementaren Grundpfeiler« der Gesellschaft, und für den »Berliner Kreis« meint der Begriff Ehe »einzig und allein die Zweierverbindung von Mann und Frau«. Bei solchen Leuten steht ein heterosexueller dreifacher Familienvater, der die »traditionellen Werte« beschwört, deutlich höher im Kurs als der mit ­einem Mann verheiratete Spahn.

Zwischen Merz und Kramp-Karrenbauer gilt das Rennen hingegen als ­offen. Die 56jährige ist gut vernetzt und genießt hohes Ansehen in der Union. Bei ihrer Wahl zur Generalsekretärin auf dem Parteitag im Februar in Berlin holte sie mit 98,8 Prozent der Stimmen ein sensationelles Ergebnis. Gesellschaftspolitisch ist sie ähnlich konservativ wie Merz. Was Kramp-Karrenbauer von diesem unterscheidet, ist ihre christlich-soziale Ausrichtung – und ihre Loyalität zu Merkel.

Diese ist »bereit, weiter als Bundeskanzlerin zu arbeiten«. Doch ob ihre Amtszeit noch bis zum Ende der Legislaturperiode im Jahr 2021 dauern wird, ist ungewiss. Er rechne mit Neuwahlen »spätestens im Frühsommer« nächsten Jahres, sagte ihr sozialdemokratischer Vorgänger Gerhard Schröder am Montag auf einer Festveranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung. Selbst­verständlich hätte ein CDU-Vorsitzender Merz die Ambition, selbst Bundeskanzler zu werden, und würde Merkel also so schnell wie möglich loswerden wollen. Doch nicht nur die SPD kann bei Umfragewerten unter 15 Prozent keinerlei Interesse an vorgezogenen Wahlen haben. Auch die Union müsste Neuwahlen derzeit fürchten. Für sie bliebe wegen der drohenden Verluste ihres bisherigen Koalitionspartners wohl nur noch eine »Jamaika-Koalition« – mit deutlich erstarkten Grünen, die entsprechende Ansprüche formulieren dürften. Das wäre für Merz keine erstrebenswerte Aussicht. So könnte das derzeitige Regierungsbündnis unter Merkel doch länger erhalten bleiben, als manche glauben.