»Wanderer«, das neue Album von Cat Power

Auf Abwegen

Cat Power wandert auf ihrem neuen Album durch ihr bisheriges Œuvre.

Der Wanderer ist eine klassisch männliche Gestalt. Wandern, das tun alte weise Greise, das machen die Protagonisten in den Romanen von Peter Handke und die Folksänger, die mit ihrer Gitarre auf dem Rücken von Ort zu Ort ziehen und ihre Geschichten in Form von Liedern in den Kneipen vortragen. Beim Wandern kommt man nicht nur mit der Natur in Berührung, sondern zieht sich durch die Isolation und die Einsamkeit auch zurück. Das Wandern ist, so wurde es immer wieder beschrieben, eine höchst melancholische Angelegenheit.

Man kann davon ausgehen, dass Chan Marshall sich selbst meint, wenn sie ihrem aktuellen Album den Titel »Wanderer« gibt.

Allerdings ist sie, besser bekannt unter ihrem Künstlernamen Cat Power, mit gro­ßer Sicherheit eine überaus melancholische Gestalt.

Vielleicht ist das aber auch eine Verharmlosung: Während man für ihre Musik definitiv das Adjektiv »melancholisch« gebrauchen kann, ist die Musikerin viel mehr als das, nämlich depressiv. Überaus offenherzig, laut und bisweilen wirr redete sie darüber in den vergangenen Jahren in Interviews. Wenn man diese Interviews anhört und liest, kriegt man das Gefühl, das Chan Marshall in ihrer Musik das tut, was sie beim Sprechen nicht kann: strukturieren. Ihre Songtexte sind nicht verworren, sondern klar, ihre Stimme ist ruhig, nicht sich überschlagend. Ein klassischer Fall von Sublimierung, nur dass hier statt libidinöser Anziehung das schlechte Gefühl auf eine höhere Stufe gebracht wird. Das spendet nicht nur der ­Interpretin Trost: »This recording is dedicated to the truth & those in
the struggle« ist im Begleitheft des Albums zu lesen. Solch ein Kampf, so ein Ringen kann sich schon anfühlen wie eine anstrengende Wanderung. Ist das mit dem Titel des Albums gemeint?

Cat Power wandert durch ihre eigene Diskographie. So weit die Reminiszenzen zurück­reichen, an ihre ersten drei Alben erinnert nicht viel.

Cat Power wandert hier erstmal durch ihre eigene Diskographie, die mit der neuen Platte mittlerweile zehn Alben umfasst. Das geradezu militärische Schlagzeug von »You Get« erinnert an das Cat Power einst berühmt machende »Cross Bones Style«, ein Lied auf der vor 20 Jahren erschienenen Platte »Moon Pix«, »In Your Face« hätte sich aufgrund seines minimal eingesetzten Inst­rumentenspiels und des melancholischen Grundtons von Marshalls Stimme auch gut auf »You Are Free« von 2003 gemacht. Das Stück »Black« mit seiner souligen Note und dem schon fast gerappten Text (Marshall hat sich des öfteren als großer Fan der R & B-Sängerin Mary J. Blige bezeichnet) hätte das Album »The Greatest« von 2006 komplett gemacht, die flehende Stimme auf »Nothing Really Matters« kennt man als aufmerksamer Hörer schon von dem Album »Jukebox«, das 2008 erschien. Schließlich denkt man beim Hören, dass der bereits aus­gekoppelte Song »Woman«, eine Kollaboration mit Lana Del Rey und das eingängigste Stück des neuen Albums von Marshalls vorheriger Platte »Sun« stammen könnte. Wobei, gegen den auf jenem Album zu findenden, fast elf Minuten dauernden Song »Nothin’ But Time«, auf dem Iggy Pop die zweite Stimme singt, kann »Woman« nicht anstinken.

So weit die Reminiszenzen doch zurückreichen, an manches erinnert auf »Wanderer« nicht sehr, nämlich an die ersten drei Alben von Cat Power, veröffentlicht in den Jahren 1995 bis 1996. Diese waren dem Indie-Rock verschrieben, dehnten aber auch diese Klassifizierung weit aus, waren auf ihnen, vor allem auf dem bahnbrechenden »What Would the Community Think«, doch auch viele klassische Folksongs und explizite Blues- und Countryanleihen zu hören. Aber doch gab es da das Schrammeln auf den Saiten, Verzerrungen, laute, röhrende, schmissige Gitarrenriffs und prügelnde Drums, gespielt vom Sonic-Youth-Schlagzeuger Steve Shelley.

Davon scheint sich Chan Marshall mehr und mehr zu entfernen. Ähnliches gilt auch für die andere große Indie-Sängerin der neunziger Jahre, nämlich PJ Harvey: auch sie legte die E-Gitarre nach und nach ab, Harvey spielte ihre späteren Alben ganz bewusst entweder mit dem Klavier (»White Chalk«, 2007) oder mit der Autoharp, einer Zither (»Let England Shake«, 2011) ein. Noch Cat Powers vorheriges Album »Sun« war viel lauter als »Wanderer« und beinhaltete ebenfalls eine Neuerung in Marshalls Karriere, nämlich die Benutzung von Drum Machines und Synthesizern. Und doch blieb sie bei der Gitarre, allerdings wurde die elektrische immer öfter durch eine akustische ersetzt. Ein bißchen ironisch mutet es da schon an, wenn man auf dem Cover des neuen Albums vermutlich Marshall selbst im Anschnitt sieht, die eine elektrische Gitarre hält, kommt diese doch nur höchst spärlich zum Einsatz.

Auch das Covern der Lieder anderer Musiker gehört zum Folk. Chan Marshall hat das in den 25 Jahren ihrer Karriere ausgiebig getan: Im Jahr 2000 erschien »The Covers Records«, das sich sogar fast ausschließlich der Neuinterpretation von Songs widmete, darunter Klassiker von den Rolling Stones, Bob Dylan und The Velvet Underground. Auch vor sich selbst machte sie dabei nicht halt, das Album enthielt auch eine neue, spärlich instrumentierte Version ihres Lieds »In this Hole«. Nicht das einzige Mal, ihr Lied »Metal Heart« nahm sie 2008 erneut mit dramatisch klingender Big Band auf. Nach dem der Tradition des Folk folgenden Hommagen an die klassischen Interpreten folgten Coverversionen von Soulstücken und den Liedern großer Frauen wie Liza Minelli und Billie Holiday.

Auf »Wanderer« findet sich auch ein Cover, nämlich eines Liedes von Rihanna, »Stay«. Statt wie Rihanna mit beleidigtem Gesichtsausdruck in einer Badewanne zu liegen, sitzt Chan Marshall im dazugehörigen Musikvideo an einem Klavier. »Ich liebe die Tradition, Songs zu interpretieren«, sagt sie. »Ich glaube, es ist eines der größten Komplimente, die man einem anderen Künstler machen kann. Es ist eine große Tradition in der amerikanischen Musik und eines der großen Vergnügen.« Mutig und unprätentiös verschiebt Marshall selbst diese Tradition in eine andere Richtung, weg von den Klassikern, eben hin zu Rihanna. Auch hier ist ihre Liebe zum R & B wieder zu sehen, eine Passion, die so gar nicht in das Bild einer Indie-Musikerin zu passen scheint.

»Wanderer« ist ein sehr ruhiges Album geworden, so ruhig, dass ihr Label Matador es nicht veröffentlichen wollte. Die Plattenfirma, die Marshall seit 1996 vertritt, lehnte ab und verlangte mehr Hits. Rob Schnapf, der das neue Album mixte, erzählte der New York Times, dass Cat Power aber kein »big record« habe machen wollen, »auf keinen Fall«. Und sie selbst sagt es auf ihre übliche verworrene Weise: »Ich wollte sehr vorsichtig sein. Ich wollte kein super produziertes, ähm, technisch avanciertes … Ich wollte nicht – was auch immer. Ich hatte das Gefühl, die Songs hätten ein umso größeres Potential, je einfacher sie sind.« Matador sah das anders, »Wanderer« ist Marshalls erstes Album seit 1996, das nicht auf dem Label erscheint.

Vielleicht ist Cat Power gar nicht auf Abwegen, wie der Titel dieses Textes suggeriert. Manche Wege sind eben holpriger als andere. Hauptsache, man ist in Bewegung, mal schneller, mal langsamer. Cat Power weiß, dass sie nicht die Erste ist, die diesen Weg geht. »Dieses Album handelt von meiner Reise bis hierher. Davon, von Stadt zu Stadt zu gehen, mit meiner Gitarre: mit Ehrfurcht vor denen, die das schon Generationen vor mir gemacht haben. Folksänger, Bluessänger, und alles dazwischen. Sie waren alle Wanderer, und ich bin glücklich, einer von ihnen zu sein.«

 

Cat Power: Wanderer (Domino)