Was kümmert mich der Dax - Wir wissen mehr über unsere rechten Mitbürger, als wir jemals wissen wollten

Wenn Deut­schland spricht

Kolumne Von

Hartnäckig hält sich die These, es sei dem Gedeihen der Gesellschaft ­abträglich, dass die Menschen heutzutage nur in ihren Blasen, also unter Gleichgesinnten, kommunizierten. Diverse Medien haben deshalb jüngst in der Aktion »Deutschland spricht« 20000 Menschen »zum Streiten vermittelt«. Ein kontrollierter Laborversuch mit angemeldeten und geprüften Teilnehmern, der viel nahezu kostenlosen Content liefert und Menschen zusammenbringt, die auch sonst miteinander ins Gespräch hätten kommen können. Andere aber wollen »mit Rechten reden«, was sich schon etwas problematischer gestalten kann.

Und wozu eigentlich? Dank Internet und sozialer Medien wissen wir ohnehin viel mehr über unsere Mitmenschen, als wir jemals wissen wollten. Auch über jene, von denen wir aus guten Gründen niemals irgendetwas wissen wollten. Die extreme Rechte gibt es ja nicht erst seit gestern. Aber der Kontakt war früher sporadisch. Wenn bei der Familienweihnachts­feier Onkel Herbert nach ein paar Schnäpsen erzählte, dass diese angebliche Sache mit den Juden eine Erfindung eben dieser Juden gewesen sei, konnte man mit ihm streiten, es bleiben lassen oder ihm sagen, er möge doch einfach die Klappe halten. Man wusste, dass man ihn erst in einem Jahr wiedersieht und selbst das mit einer guten Ausrede vielleicht vermeiden kann. Nun aber begegnet man den besorgten Herberts zuhauf in den sozialen Medien. Der anderen Seite geht es übrigens genauso: Es gibt nicht mehr nur diesen einen verlausten kommunistischen Kiffer, dem Tante Hermine öfter etwas hinter die Löffel hätte geben müssen – sie sind jetzt überall. Der Mythos, »wir« hätten genug gemeinsame Werte, um in einer Gesellschaft zusammenzuleben, lässt sich kaum noch aufrechterhalten. Diese Erkenntnis mag schlecht für den Patriotismus sein, aber wie man heutzutage so gerne sagt: Irgendjemand muss ja mal Klartext reden.

Die Leute finden sich schließlich nicht zufällig in Blasen zusammen. Dazu müssen sie nicht in allem einer Meinung sein. Wären sie es, gäbe es ja keinen Gesprächsstoff. Vegetarier können mit Carnivoren, Auto- mit Radfahrern, Raucher mit Nichtrauchern koexistieren und diskutieren. Schwieriger ist das mit jenen Mitmenschen, die einen entrechten, ausbürgern oder ins KZ schicken wollen. Zivilisiertes Zusammenleben beruht auf Distanz, zuweilen größtmöglicher. Man könnte in Anlehnung an Blaise Pascal sagen, alles Unheil rühre nur daher, dass die Menschen nicht friedlich in ihrem Blasen bleiben können. Aber die extreme Rechte verschwindet leider nicht, wenn man weniger von ihr hört. Sie wirkt allerdings stärker, als sie ist, wenn man ihr zuhört, und man stärkt sie, wenn man sie zum legitimen Gesprächspartner erhebt.